Weinberg im Schnee
Schnee in Gamlitz im Süden der Steiermark. Weinbauern und Obstbäuerinnen machen sich große Sorgen um ihre Ernte.
APA/BETTINA STRAUSS

Schon vergangene Woche wurde es in Österreich kalt, nun schneite es vielerorts in der Nacht auf Dienstag. Auch im Flachland blieb mitunter etwas Schnee liegen, beispielsweise im niederösterreichischen Allentsteig im Bezirk Zwettl und in Rohrbach im Mühlviertel, die auf 550 bis 600 Meter Seehöhe liegen. Abgekühlt ist es auf null bis zwei Grad Celsius. Das wird sich in der Nacht auf Mittwoch wiederholen: Dann kann es sogar auf 400 Meter Seehöhe schneien und kurzzeitig in noch tieferen Lagen, insbesondere im Osten des Landes, wie die Geosphere Austria prognostiziert.

Das dürfte manche überraschen, vor allem nach dem extrem warmen Monatsbeginn: An vielen Messstationen wurden mit mehr als 30 Grad neue historische Höchsttemperaturen erreicht. Und trotz der frostigen Temperaturen ist der April durch die frühen Sommertage weiterhin überdurchschnittlich warm. Rechnet man den Montag mit ein, ist der Frühlingsmonat noch immer "um zwei Grad zu warm", sagt Meteorologe Alexander Orlik von Geosphere Austria. Das sei so extrem, dass selbst der aktuelle starke Kaltlufteinbruch das nicht mehr auffangen könne.

Gewöhnliche Kälte

Wenn man die Prognosen bis zum Ende des Monats berücksichtigt, dürfte der April 2024 noch immer um ein Grad über dem Mittel der Jahre 1991 bis 2020 liegen. Das sei "deutlich weniger abnormal als März oder Februar", die besonders warm waren, aber eben noch immer überdurchschnittlich.

Im Gegensatz dazu ist das Wetter, das nun die zweite Aprilhälfte prägt, laut Orlik "gar nicht so ungewöhnlich, das kann ordentlich kalt werden". Im April 2017 gab es beispielsweise um den 20. April mancherorts über einen Meter Neuschnee. Auch die Aprilmonate der Jahre 2023, 2022 und 2021 waren eher kalt.

Schwankungen auf hohem Niveau

Wenn man sich den Monat April der jüngeren Vergangenheit seit 2001 ansieht, könne man sehen, "dass Wintereinbrüche in der zweiten Aprilhälfte alle drei bis vier Jahre vorgekommen sind", sagt Orlik. Natürliche Temperaturschwankungen gibt es wie auch schon vor 100 Jahren. Das Temperaturniveau liegt aber höher. Sein Kollege Jörg Kachelmann verglich dies kürzlich mit dem Stimmbruch: "Er bedeutet nicht, dass Männer nie mehr mit einer hohen Frequenz sprechen oder singen können", schrieb er im Schweizer Tagesanzeiger: "Die Variationen gibt es weiterhin, einfach auf einem anderen Niveau."

Marillenblüte Wachau
Marillenbäume sind längst aufgeblüht und besonders schwierig vor Kälteschäden zu schützen.
APA/HELMUT FOHRINGER

In diesem Jahr zeigt sich im April aber ein besonders starker und ungewöhnlicher Kontrast. Ein warmer Frühlingsbeginn und spätere frostige Tage können für manche Tiere und Pflanzen sowie folglich für die Landwirtschaft zum Problem werden, vor allem, wenn dies öfter vorkommt.

Zu früh zu grün

"Spätfröste sind Teil des Wetters in Mitteleuropa im Frühling", sagt Ökologe Franz Essl von der Universität Wien im Ö1-Journal um acht. "Was aber anders geworden ist: Wir haben Ende April sehr weit ausgetriebene Baumarten, sehr weit entwickelte Vegetation und damit viele Pflanzen, die sehr anfällig sind, falls es doch einmal kurz kalt werden sollte." Damit grünt und blüht alles durchschnittlich zwei Wochen früher als sonst.

Baum mit grünen Blättern und Schnee
Immer früher grünt es – was bei späteren Minusgraden für Probleme sorgen kann.
IMAGO/Jan Eifert

Im Allgemeinen können viele Pflanzen und Tiere mit tiefen Temperaturen im Frühjahr umgehen. Bienen und andere bestäubende Insekten, aber auch Spinnentiere wie Zecken suchen Schutz und warten ab, bis es wieder wärmer wird. Larven von Gelsen überstehen dies oftmals auch.

Schäden von Marille bis Ribisel

Doch für Weinreben und Obstbäume – und damit Menschen, die von ihrem Anbau abhängig sind – ist längst eine schwierige Zeit angebrochen. Die Kälte der vergangenen eineinhalb Wochen sorge für "verheerende Schäden", sagt Manfred Kohlfürst von der Landwirtschaftskammer Steiermark, der Präsident des Bundes-Obstbauverbands ist. In seinem Bundesland dürften 50 Prozent der Anbauflächen massiv geschädigt sein. Das betreffe alle Obstkulturen, "von der Marille über Apfel und Birne bis hin zu Ribisel und Stachelbeere". Die Sorge ist groß, dass weitere kalte Nächte bis zum Wochenende noch größere Verluste produzieren.

Frost wird während und nach der Blütezeit zum Problem. "Jeder Pflanzenteil im Wachstum ist anfälliger für Frost", sagt Michaela Griesser vom Institut für Wein- und Obstbau an der Universität für Bodenkultur Wien. Früchte und Blätter enthalten viel Wasser. Wird dies zu Eis, bilden sich Kristalle. "Wie wir aus der Tiefkühltruhe wissen: Gefrierendes Wasser breitet sich aus, Zellen werden zerstört", sagt Griesser. Vor allem wenn auf diese Weise die Reparaturmechanismen der Zellen beeinträchtigt werden, sterben sie ab.

Das ist anders als in der Ruhephase vor dem Frühjahrsbeginn, in der das Gewebe entwässert wird und so auch –20 Grad Celsius aushalten kann. "Aber die Pflanze stellt sich um nach dem Motto: Sobald die Temperatur passt, treibe ich aus", sagt Griesser. Die Winterfrosthärte wird früher abgebaut, Bäume treiben aus – und wenn Kälte kommt, während die Pflanzen eigentlich zu weit entwickelt sind, werden sie und die Ernte beschädigt.

Gegenstrategie: Frostberegnung und Öfen

Kohlfürst spricht von massiven Spätfrostproblemen seit 2016, zuvor sei die Lage nicht so ausgeprägt gewesen. Obstbäuerinnen und Obstbauern müssen viel in Frostschutz investieren. Effektiv ist bei Apfelbäumen die scheinbar paradoxe Frostberegnung. Dabei werden die Blüten bei Kälte bewässert. Das Wasser gefriert zu Eis, dabei wird aber auch Wärme freigesetzt, die die Blüten oder kleinen Früchte schützt. So lassen sich tiefe Temperaturen um zwei Grad abfedern.

Eis an einem Obstbaum mit grünen Blättern.
Frostschutzberegnung kann bei bestimmten Obstbäumen vor Kälteschäden schützen.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Dafür müssen freilich genügend Wasser und die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stehen. Und nicht jeder Baum kann damit umgehen: Steinobst ist empfindlicher. Hierfür stellen Landwirtinnen und Landwirte Kerzen und Öfen auf, die je nach Dichte die Temperatur um ein bis 1,5 Grad erhöhen können.

Ansonsten kann man laut Griesser wenig tun. Zudem fühlen sich neue Wanzenarten und andere Schädlinge durch höhere Temperaturen wohler und sind ein weiterer Stressfaktor. "Pflanzen können mit allem umgehen, was nicht in Richtung Frost geht", sagt die Expertin. "Temperaturschwankungen hat es früher auch gegeben, aber hohe Temperaturen und starke Temperatursprünge sorgen dafür, dass sie schon in frühen Phasen gestresst sind."

Um fünf Grad zu warm

Extremwetterereignisse wie Hagel, die durch die Klimakrise ebenfalls vermehrt auftreten, können diesen Stress nochmals massiv erhöhen. Das gelte auch für Hitze- und Trockenstress, der unter anderem die österreichischen Wälder vor eine Belastungsprobe stelle, sagt Essl: "Waldbesitzer wissen das, die Fichte stirbt in tieferen Bereichen Österreichs zunehmend ab."

Insgesamt müsse man hierzulande und weltweit mit geringeren landwirtschaftlichen Erträgen rechnen, betont der Ökologe: "In Österreich ist es um fünf Grad zu warm." Auf die dramatische Situation müssen sich Wirtschaft und Natur einstellen – was angesichts des rapiden Tempos der Erwärmung sehr schwierig ist. (Julia Sica, 23.4.2024)