Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez nimmt sich eine mehrtägige Auszeit und streicht alle Termine. "Ich muss innehalten und nachdenken", heißt es in einem offenen Brief an die überraschten Bürger und Bürgerinnen des Landes, den Sánchez, dessen Koalition aus Sozialisten und Linksalternativen in Minderheit regiert, am Mittwochabend auf X veröffentlichte. "Ich brauche dringend eine Antwort auf die Frage, ob es sich lohnt (...), ob ich die Regierung weiterführen oder auf diese Ehre verzichten soll." Am kommenden Montag werde er seine Entscheidung bekanntgeben. Zuvor hatte ein Gericht Ermittlungen gegen seine Ehefrau María Begoña Gómez Fernández eingeleitet. Das Gericht erklärte die Untersuchungen zur Verschlusssache.

Spaniens Premier Pedro Sánchez und seine Ehefrau María Begoña Gómez Fernández: Im Zentrum von Ermittlungen.
Spaniens Premier Pedro Sánchez und seine Ehefrau María Begoña Gómez Fernández: im Zentrum von Ermittlungen.
REUTERS/Remo Casilli

Richter Juan Carlos Peinado am Amtsgericht Madrid ließ, ohne wie eigentlich üblich die Staatsanwaltschaft hinzuzuziehen, eine Klage der rechtsextremen Pseudogewerkschaft Manos Limpias (Saubere Hände) zu. Darin wird Gómez "Einflussnahme und Korruption im Geschäftsleben" vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft beantragte mittlerweile die Einstellung der Vorermittlungen. Die Sicht der Staatsanwaltschaft hat zwar Gewicht; über die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens entscheidet aber ausschließlich der Richter.

Die Gruppe Manos Limpias bringt seit Jahren Politiker, die der Rechten verhasst sind, vor Gericht. Bis auf ganz wenige Ausnahmen scheiterten die Klagen nach mehreren Monaten. Doch derweilen nutzen rechte TV-Talkshowgäste die Zeit, um ordentlich Stimmung zu machen.

Als Belege für die Anschuldigungen gegen Gómez liefert Manos Limpias nur Artikel aus Internetseiten. In einem Text geht es etwa um die Genehmigung von öffentlichen Subventionen an Gómez – und das, obwohl sich längst herausgestellt hat, dass es sich in diesem Fall um eine völlig andere Person in Nordspanien handelt. Weder Begoña noch Gómez sind in Spanien wirklich exklusive Namen.

Video: Vorwürfe gegen Ehefrau: Spaniens Regierungschef denkt an Rücktritt.
AFP

"Hetze und Zerstörung"

Bei der wichtigsten Anschuldigung geht es um ein Hilfspaket in Form eines Kredits von über 600 Millionen Euro für die zweitgrößte spanische Fluggesellschaft Air Europa. Es handle sich – so die rechte Presse, auf deren "Recherchen" sich die gesamte Kampagne stützt – um einen Fall von Einflussnahme durch Gómez auf ihren Ehemann und die Regierung. Die 49-Jährige, die seit Jahren im Marketingbereich für Banken und allerlei NGOs arbeitet, hatte tatsächlich Geschäftsverbindungen zu einer Tochter des Reiseunternehmens Globalia, zu dem auch Air Europa gehört. Sie hatte kurz vor der Covid-Pandemie für das Unternehmensinstitut ein Stipendienprogramm für Studenten aus Afrika ausgehandelt. Es wurde allerdings wegen Covid nie umgesetzt. Der einzige Betrag, der überwiesen wurde, waren zwei Flugtickets. Air Europa zahlte für den Kredit, für den auch die rechte Opposition stimmte, die jetzt ebenso wie Manos Limpias gegen Gómez und Sánchez wettert, mittlerweile Raten und Zinsen in dutzendfacher Millionenhöhe.

Sánchez sieht sich als Opfer "einer Strategie der Hetze und Zerstörung" gegen ihn, seine Politik und nun auch gegen seine Familie. Seit Monaten schießt sich die Rechte auf seine Ehefrau ein. Das geht so weit, dass in TV-Talkshows davon die Rede ist, sie sei eine Transgender-Person und ihre Eltern seien im Bordellgewerbe tätig. Sánchez wirft dem Vorsitzenden des rechten Partido Popular (PP), Alberto Nuñez Feijóo, und seinem Kollegen bei der rechtsextremen Vox, Santiago Abascal, vor, "notwendige Kollaborateure einer rechtsextremen digitalen Galaxie und der Organisation Manos Limpias" zu sein. Feijóo und Abascal sprachen nach der Veröffentlichung des Briefs von einem "Theater", das Sánchez aufführe, um von schweren Vorwürfen abzulenken, und forderten einmal mehr dessen Rücktritt.

Erinnerung an "Causa Oltra"

Die Ermittlungen im Falle Gómez erinnern viele an eine andere Klage durch Gruppen der extremen Rechten in der Region Valencia. Im April 2022 wurde die damalige regionale linke Vizeregierungschefin Mónica Oltra beschuldigt, ihr Amt benutzt zu haben, um ihren Ex-Ehemann, der wegen Missbrauchs einer Minderjährigen in einem Heim, in dem er arbeitete, zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden war, zu decken. Die Kläger behaupteten, Oltra und 14 weitere Angeklagte hätten Beamte unter Druck gesetzt, damit sie nicht gegen den Ex aussagen. Nach einer zwei Jahre dauernden Untersuchung, bei der auch vor dem E-Mail-Verkehr der Vizepräsidentin und des ihr unterstehenden regionalen Gleichstellungsministeriums nicht haltgemacht wurde, stellte der Richter die Ermittlungen gegen alle ein. Er habe "keinen einzigen Hinweis gefunden, dass von den Führungspositionen des Ministeriums Anordnungen oder Anweisungen erteilt wurden, die darauf abzielten, den Sachverhalt zu verheimlichen oder die Minderjährige zu diskreditieren", erklärte der Richter in seinem Schreiben.

Doch der Schaden war nicht mehr zu beheben. Oltra war im Juni 2022 zurückgetreten. Seit den Regionalwahlen 2023 regiert eine Koalition aus PP und Vox die Region Valencia. Diese räumt nun mit dem politischen Erbe Oltras auf: Gleichstellungsprogramme, Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt und zur Sensibilisierung in Sachen LGTBIQ – alles wurde gestrichen.

Jetzt warten in Spanien alle gespannt auf den kommenden Montag. Wird Sánchez zurücktreten? Die Vertrauensfrage im Parlament stellen? Kommt es zu Neuwahlen? Den TV-Talkshows geht der Stoff für Spekulationen übers Wochenende sicher nicht aus. (Reiner Wandler aus Madrid, 25.4.2024)