Dimitri Lavalee geht Lucas Gourna-Douath an die Gurgel.
Das erste Duell in der Meisterrunde endete mit drei Ausschlüssen äußerst hitzig, auch für kommenden Sonntag sind eher keine Liebeleien zu erwarten.
APA/ERWIN SCHERIAU

Wien – Österreichs Fußball steht noch nicht kopf, aber der denkwürdige Mittwochabend hat ihn zumindest in eine neue, lange nicht erlebte Pose gezwungen: Nach Salzburgs 3:4-Selbstfaller bei der Austria Klagenfurt und Sturms 3:1-Auswärtssieg gegen Rapid führen die Grazer vier Runden vor Schluss die Bundesligatabelle an. Das direkte Duell am Sonntag in Salzburg hat vorentscheidenden Charakter: Mit einem Heimsieg wäre Salzburg wieder punktegleich voran; sollte Sturm mit zwei Toren Abstand gewinnen, wäre den Blackies der Titel bei sechs Punkten Vorsprung und der besseren Bilanz in direkten Duellen kaum mehr zu nehmen. So oder so winkt die heißeste Bundesliga-Schlussphase seit Ewigkeiten. Für ihre Titeljagd haben beide Teams gute Argumente.

Was für Salzburg spricht

Der Spielplan: Das Timing des vorentscheidenden Duells am Sonntag könnte für Salzburg nicht günstiger sein. Sturm musste am vergangenen Mittwoch nach Hütteldorf, kommenden Mittwoch gibt es beim Cupfinale in Klagenfurt das nächste Date mit Rapid. Auch nicht unwesentlich: Salzburg hat das eigentlich schwierige Auswärtsspiel gegen Rapid genau vier Tage nach dem Cupfinale, trifft da also entweder auf eine euphorisierte Mannschaft mit Feierrückständen oder auf eine niedergeschlagene Verlierertruppe. Schaut man auf den letzten Spieltag, tut sich noch eine Differenz auf: Salzburg spielt da gegen den LASK, der dann schon entspannt als Dritter feststehen könnte; Sturm matcht sich mit Klagenfurt, das derzeit mitten im Gewühle um die Europacup-Plätze steckt.

Der Kader: Mag sein, dass Sturm in der jüngeren Vergangenheit wie die stärkere Mannschaft wirkte, doch individuell liegt der Vorteil weiter bei Salzburg. Wie viele Sturm-Kicker hätten bei den Bullen nach halbjähriger Einarbeitungszeit ein Stammleiberl? Vier vielleicht? Umgekehrt wären es jedenfalls mehr. Sturm schätzt sich zu Recht glücklich, einen Otar Kiteishvili zu haben, doch Oscar Gloukhs Geniestreiche haben eine andere Frequenz. David Affengruber ist zweifellos gut genug für eine bessere Liga, doch Strahinja Pavlovic ist gut genug für ein Spitzenteam in einer solchen. Seedy Jatta mag eine große Zukunft bevorstehen, doch die größere winkt wohl Karim Konaté. Und, und, und.

Die Titelroutine: Dass etliche Stützen der letzten Meistermannschaft längst andernorts kicken, gehört zum Selbstverständnis der Salzburger Fußballausbildungsstätte. Dennoch gibt es ausreichend Spieler und Betreuer, die vielfach erlebt haben, wie man die letzten Schritte zu einem Meistertitel geht, wie man Fokus und Entspannung balanciert, wie man wirklich von Spiel zu Spiel kommt. Für den Herausforderer ist das alles Neuland: Die Stützen von Sturms letzter Meistermannschaft sind seit geraumer Zeit in Fußballpension.

Was für Sturm spricht

Der Druck: "Wenn im Zusammenhang mit Sport das Wort 'muss' vorkommt, wird es verdammt schwer", war im STANDARD erst am Montag zu lesen. Das Zitat von Handball-Legende Roland Marouschek erstreckt sich auch auf größere Bälle. "Die müssen, wir wollen", sagt Sturm-Rechtsverteidiger Jusuf Gazibegovic. In früheren Saisonen blühte Serienchampion Salzburg in der Meistergruppe erst so richtig auf, heuer scheint die Entscheidungsphase die Mannschaft eher zu lähmen als zu beflügeln. Fraglich bleibt, wann Sturm beginnt, den Druck zu spüren.

Das Trainerteam: Dass Sturms Kicker von erwähntem Druck noch unbelastet scheinen, liegt auch an Christian Ilzer. Man kann die Spompanadeln des Trainers rund um die Spionagevorwürfe von Rapid-Coach Robert Klauß für entbehrlich halten – man kann aber auch den Hut davor ziehen, dass Ilzer das Rampenlicht auf sich zieht und seinen Spielern so in der kritischsten Woche etwas Frieden erkauft. Ob Onur Cinel ein besserer Motivator, Taktiker und Menschenfänger ist, kann noch niemand seriös beurteilen. Aber jeder Trainer braucht Zeit, um einer Mannschaft wirklich seinen Stempel aufzudrücken. Ilzer hatte die, Cinel nicht. Zudem hat Sturms Abteilung Spielanalyse mehrfach bewiesen, für die wichtigsten Spiele ein paar Extraprozent in den Matchplan stecken zu können – siehe Cupspiele, siehe frühere Duelle mit Salzburg.

Die Motivation: Jeder bei Sturm Graz weiß, dass die Chance auf den Titel eine einmalige bleiben könnte. In der laufenden Saison kommt alles zusammen: ein Umbruch in Salzburgs Führungsetage, der Last-Minute-Abgang von Matthias Jaissle, Gerhard Struber als Ersatztrainer, der nie so richtig griff, dazu ein mäßig erfolgreicher Transfersommer. Der Budgetkaiser hat sich verwundbar gemacht. Bei Sturm wiederum könnten die goldenen Zeiten bald vorbei sein: Das Erfolgsduo Ilzer/Schicker weckt längst Begehrlichkeiten, zudem dürften zahlreiche Leistungsträger im Sommer ablösefrei wechseln. Für Sturm gilt also: jetzt oder nie. Dazu kommt der Fanfaktor, Sturms Anhang verleiht lautstärkemäßig wohl etwas mehr Flügel als die Salzburger Stadionbesucher. (Martin Schauhuber, 26.4.2024)