Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und Wiener-Festwochen-Chef Milo Rau wollen von ihrer Einladungspolitik bei den Wiener Festwochen nicht abrücken.
Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und Wiener-Festwochen-Chef Milo Rau wollen von ihrer Einladungspolitik bei den Wiener Festwochen nicht abrücken.
Heribert Corn

"Für Antisemitismus gibt es bei den Wiener Festwochen keinen Platz." Mit diesem Bekenntnis, das an sich selbstverständlich sein sollte, musste diese Woche die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler vor dem Wiener Gemeinderat antreten. Die Versicherung galt auch ihrer eigenen Fraktion. Denn die SPÖ hatte geschlossen mit allen Parteien für eine von der ÖVP eingebrachte Resolution gestimmt, in der das Mitwirken der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux und des griechischen Ex-Finanzministers und Ökonomen Yanis Varoufakis bei den Festwochen kritisiert wird.

Wie berichtet, stehen die linken Intellektuellen wegen ihrer Haltung zu Israel im Zwielicht: Ernaux unterstützte wiederholt die Israel-Boykott-Bewegung BDS (Boycott, Divestment, Sanctions), die im internationalen Kulturbetrieb in den letzten Jahren enorm viel Zulauf erhielt, aber vom deutschen und österreichischen Parlament, dem Wiener Gemeinderat und anderen europäischen Politgremien als antisemitisch eingeschätzt wird. Yanis Varoufakis wiederum unterschrieb eine Petition, in der wegen des Gazakriegs der Ausschluss Israels von der Venedig-Biennale gefordert wurde, während der Hamas-Angriff vom 7. Oktober keine Erwähnung fand. Zuletzt sagte er, dass er zivile Opfer und Gräuel auf beiden Seiten ablehne, aber "bewaffneten Widerstand gegen einen Apartheidstaat" nicht verurteilen könne.

Zuspitzung und Pose auf beiden Seiten

Festwochen-Intendant Milo Rau erklärte, er habe Ernaux und Varoufakis wegen ihres sozial- bzw. europapolitischen Engagements eingeladen, nicht wegen ihrer Haltung zu Israel. Ein physischer Auftritt der beiden bei den Festwochen ist gar nicht geplant, mitwirken sollen sie neben 98 weiteren Intellektuellen, Aktivisten und Wienerinnen in einem "Rat der Republik" – eine Art Bürgerparlament, das für die fiktive "Freie Republik Wien" eine Verfassung ausarbeiten soll. Kaup-Hasler stützt das künstlerische Demokratieexperiment, ausladen will sie Ernaux und Varoufakis nicht. Die Stadt-ÖVP in Person Laura Sachslehners schäumt und spitzt die Chose zum Skandal zu, die Bürgermeisterpartei will vor allem Ungemach mit der verständlicherweise beunruhigten Israelitischen Kultusgemeinde verhindern. Die Brücken zur unangenehm aufgefallenen Kulturlinken sollen dabei aber möglichst ganz bleiben.

Was an der hochgekochten Debatte irritiert, ist, wie unverfroren der komplexe Konflikt genutzt wird, um lokalpolitische Profile zu schärfen: Kaup-Hasler und Milo Rau ergehen sich in pathetischen Verteidigungsreden auf die Meinungsvielfalt, als ob diese schicksalshaft von zwei nicht einmal physisch involvierten Personen in den Fußnoten der Festwochen abhinge. Und Laura Sachslehner nützt die Gelegenheit, um mit Zuspitzung und Übertreibung einen Diskursgewinn einzufahren, der schon an den Stadtgrenzen endet: Während Milo Rau nämlich in Wien von der ÖVP ins Visier genommen wird, rollt man ihm in St. Pölten den roten Teppich aus. Dort darf er nächste Woche das von der schwarzen Landespolitik initiierte Festival Tangente mit einer Oper eröffnen.

Den Menschen in der Konfliktregion ist mit den Wiener Salondebatten wenig geholfen. (Stefan Weiss, 26.4.2024)