Junge Frau steht mit geschlossenen Augen vor einem Bürogebäude in der Sonne
Eine von innerer Entspannung getragene Gelassenheit hilft uns dabei, mit anderen offen umzugehen.
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Das Bemühen um eine stabilere innere Distanz zu dem Äußeren ist noch immer der beste Weg, die empfundene psycho-mentale Belastung im Arbeitsprozess und darüber hinaus zu reduzieren. Denn psychologischen Erkenntnissen zufolge entwickeln sich diese Belastungsempfindungen auch aus einer steten inneren Aufregungs- und infolgedessen dann auch an den Tag gelegten Konfrontationsbereitschaft. Sich an allem und jedem zu reiben schwächt zwangsläufig den körperlichen und geistigen Zustand und fördert das Empfinden, sich unwohl und belastet zu fühlen.

Doch diese entlastende innere Distanz zu dem Äußeren will erst einmal geschaffen werden. Fachleute sind sich einig, das setzt die Bereitschaft voraus, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Genauer: selbstkritisch die eigenen denk- und handlungsleitenden Verhaltensdrehbücher zu erkunden. Denn die sorgen mit schöner Regelmäßigkeit dafür, in die Erregungsfalle zu tappen, dadurch selbstgemachte Belastungsempfindungen auszulösen und sich so in der Lebensqualität zu beeinträchtigen.

Aktion und Reaktion

Der Wiener Wirtschaftspsychologieprofessor Erich Kirchler ist aufgrund seiner Erkenntnisse sicher, dass "ein Gutteil dieser empfundenen Belastungen auf automatisierte, also verselbstständigte, unreflektierte Verhaltensweisen zurückgeführt werden können". Konkreter: auf das Agieren und Reagieren auf eingefahrenen Verhaltensschienen. Auf diesem Weg schleiche sich die Reizbarkeit in den Berufsalltag ein, entwickele sich ein Reibungspotenzial und es würden wechselseitige Verletzungen ausgelöst. Aus diesen Irritationen heraus werde ständig mit Vorbehalten miteinander umgegangen.

Für Kirchler erklärt das viel von dem belastenden atmosphärischen Stress am Arbeitsplatz, der unter die Haut geht, die Gesundheit beeinträchtigt und unfroh macht. Sorge dieser Stress doch für die negative innere Vorspannung im Arbeitsvollzug, die vielfach zu beobachten sei und die zu der allseits zu beobachtenden Dünnhäutigkeit im Umgang miteinander beitrage. "Das sind die Zusammenhänge, die im Miteinanderarbeiten Mücken zu Elefanten machen. Ist dieser Prozess einmal erkannt und verstanden, eröffnet sich ein Weg, die empfundene psychomentale Belastung im Arbeitsprozess abzubauen und damit einen oft nicht erkannten und dadurch vernachlässigten Mürbemacher am Arbeitsplatz zu entschärfen", weiß Krichler.

Zeitreise ins alte Rom

Bemerkenswert ist, das Wissen um diese Zusammenhänge reicht weit zurück in die Zeit. Seneca, der 65 n. Chr. verstorbene römische Staatsmann, hat sich in seinen Schriften, insbesondere seinen Briefen an Lucilius, intensiv mit alltäglichen Verhaltensweisen befasst. Er betont: "Die Aufgeregtheit des Gemüts trägt nichts zu einer konstruktiven Gestaltung des Alltags bei." Und so war es wichtig für ihn, sich von der Hilaritas, der heiteren Gelassenheit, durchs Leben leiten zu lassen. Das ermögliche, die Vielschichtigkeit der Dinge und Erscheinungen zu erkennen, sich darüber im Klaren zu sein, es gibt auch das Gute im vermeintlich Schlechten ebenso, wie es auch das Schlechte im vermeintlich Guten gibt.

Welche Bedeutung einem entspannten Gemüt vor 2000 Jahren in Rom zugemessen wurde, offenbart die Tatsache, dass die Hilaritas als Gottheit des Frohsinns verehrt wurde. Sie wurde gelegentlich rückseitig auf Münzen geprägt, wo sie zusammen mit Palmenzweig und Zepter oder auch mit einem Füllhorn dargestellt war. Der durch sie verdeutlichten inneren Haltung wurde eine maßgebliche Rolle in der Lebensgestaltung zugeschrieben. Die Hilaritas galt als zuverlässiger Wegweiser zur besser gelingenden Lebensbewältigung.

Streben nach Gelassenheit

Im heutigen Sprachgebrauch erinnert der auf die antike Philosophenschule der Stoiker zurückzuführende Begriff "stoische Gelassenheit", der eine durch keine Lebensumstände zu beeinflussende Gemütsruhe beschreibt, an diese Zusammenhänge. Aus heutiger Sicht ließe sich sagen, wer sich von der Hilaritas leiten lässt, erfreut sich einer stabilen Frustrationstoleranz, die davor schützt, schnell die Fassung und Contenance zu verlieren, die vor unbedachtem Handeln bewahrt, differenziertes Denken fördert und der Tendenz entgegenwirkt, alles als bedrohlich anzusehen, als tragisch, furchtbar, katastrophal. Insofern ist die Hilaritas auch nach 2000 Jahren noch die leitende und schützende Hand, die vor selbstgemachten Belastungen bewahrt.

Die von der Hilaritas verkörperte heitere Gelassenheit ist etwas grundlegend anderes als laute, lärmende Lustigkeit oder Oberflächlichkeit, als die aufgesetzte, vorgeschobene oder gespielte Gleichgültigkeit im Sinne von "Das ist mir doch egal!" beziehungsweise "Ihr könnt mich doch alle mal!". Gleichgültigkeit signalisiert Konfliktumgehungsstrategien oder auch das Abwerten, Bagatellisieren oder Rationalisieren.

Konflikten nicht aus dem Weg gehen

All das führt im beruflichen Miteinander in Belastungen hinein, nicht aus sie heraus. Hingegen signalisiert die tatsächlich verhaltensprägende, von innerer Entspannung getragene Gelassenheit die Bereitschaft, mit anderen offen um-, auf sie zu- und einzugehen und sich in dieser Geisteshaltung mit ihnen auseinanderzusetzen.

Im Umgang miteinander am Arbeitsplatz führt das dazu, dass Konflikten nicht ausgewichen wird, dass sie nicht automatisch als etwas Bedrohliches und tunlichst zu Vermeidendes eingestuft werden, sondern dass in Konflikten ganz einfach eine andere Meinung und Sichtweise oder auch ein anderes Wollen gesehen wird.

Diese andere Sichtweise zeigt sich in der Fähigkeit, loslassen zu können, nicht festhalten zu wollen, sich nicht zu verkrampfen oder sich wider besseres Wissen auf etwas zu versteifen. Ein solches Verhalten eröffnet den Raum, sein lassen zu können, andere und anderes in ihrer Eigenart zu akzeptieren. Loslassen und zulassen, das sind die beiden Seiten heiterer Gelassenheit.

Potenzial erfassen

Der Wiener Psychoanalytiker Alfred Kirchmayr weiß und erfährt es regelmäßig: "Die entlastende Wirkung gelassenen In-der-Welt-Stehens für sich zu entdecken, vermag das Tor zu einer tiefgreifend neuen Lebensgestaltung und Auseinandersetzung mit den Lebensverhältnissen aufzustoßen."

Er gibt zu bedenken: "Als permanent Angespannter und Verbiesterter bin ich Opfer und Objekt der Lebensumstände. Als gelassener Mensch aber werde ich zum Subjekt und Gestalter meines Lebens." Man müsse diesen Unterschied erleben, um das darin enthaltene Potenzial zu erfassen. Befreiungspotenzial für sich selbst wie auch für die Menschen, die mit der eigenen Person zu tun haben. (Hartmut Volk, 4.5.2024)