Die Mitarbeiter:innen der Gewaltschutzambulanz kommen dorthin, wo die Betroffenen sind.
Die Mitarbeiter:innen der Gewaltschutzambulanz kommen dorthin, wo die Betroffenen sind.
IMAGO/Zoonar II

Diese Woche wurden in der Steiermark die neuen Räumlichkeiten der Gewaltambulanz der Med-Uni Graz präsentiert. Das Pilotprojekt "Gewaltschutzambulanz der Modellregion Süd" soll einem "flächendeckenden Auf- und Ausbau von Gewaltschutzambulanzen in Österreich" dienen, heißt es in einer Aussendung der Medizinischen Universität Graz, wo die Ambulanz angesiedelt ist.

Gewaltschutzambulanzen wurden bereits im Dezember 2022 von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) als Maßnahme gegen Gewalt an Frauen angekündigt. Sie sollen eine besser Dokumentation und Spurensicherung für mögliche Gerichtsverfahren gewährleisten. Die Gerichtsmedizinerin Sarah Heinze leitet das erste Politprojekt in Graz. Die Gewaltambulanz soll man sich nicht als fixen Ort vorstellen, sagt Heinze im Gespräch mit dem STANDARD. Vielmehr kommen die Fachleute für eine klinisch-forensische Untersuchung dorthin, wo sie gebraucht werden.

Kommt eine Frau beispielsweise in eine gynäkologische Klinik wegen Verletzungen aufgrund von sexualisierter Gewalt, kann die Ärztin Mitarbeiter:innen der Ambulanz dorthin bestellen. Man müsse sich vorstellen, wie das sei,, wenn man als Gewaltopfer höre, man solle sich wieder anziehen, an eine andere Stelle fahren, sich dort wieder ausziehen und alles wieder erzählen, schildert Heinze eine für Betroffene unzumutbare Situation. Zu den psychischen Belastungen für Gewaltopfer komme in einem solchen Fall auch die Gefahr, dass Spuren unbrauchbar würden. Auch die WHO formuliert es als Ziel, dass Gewaltbetroffene nur einmal untersucht und befragt werden sollen.

Zeit ist Spurensicherung

Ziel soll somit eine weniger belastende, aber gerichtsverwertbare Dokumentation von Verletzungen sein, die Spuren an Körper und Kleidung umfasst. Zudem sollen Betroffene Informationen erhalten, was sie weiter tun können und welche Unterstützungsmöglichkeiten es durch Opferhilfseinrichtungen sowie psychologische oder rechtliche Beratungsstellen gibt. Die Ambulanz bietet zudem speziell für Ärzt:innen eine telefonische Beratung zu klinisch-forensischen Fragen an. Wenn keine Anzeige erstattet wird, was bei Partnerschaftsgewalt oft der Fall ist, werden die Untersuchungsergebnisse für zehn Jahre aufbewahrt, falls diese doch noch benötigt werden.

Der zentrale Faktor für eine umfassende klinisch-forensische Untersuchung ist Zeit. "Wenn Sie etwa einen blauen Fleck von einem Stoß an einer Tischkante haben, sieht man kurz darauf noch die Form und kann das leicht zuordnen, doch nach ein paar Tagen ist der Fleck verlaufen und alles gelb", erklärt die Gerichtsmedizinerin und Radiologin Heinze.

Sarah Heinze ist Universitätsprofessorin für Gerichtliche Medizin und leitet die neue Gewaltschutzambulanz.
Sarah Heinze ist Universitätsprofessorin für Gerichtliche Medizin und leitet die neue Gewaltschutzambulanz.
Med Uni Graz

Betroffene müssen auch schnell die Information erhalten, dass sie etwa nicht duschen sollen oder die Kleidung mitbringen, die sie während eines Übergriffs getragen haben.

Wenn man Verletzungen hat, die nicht behandlungsbedürftig sind, und man deshalb nicht in ein Spital oder zu einem niedergelassenen Arzt muss, kann man auch direkt in eine Gewaltambulanz kommen. "Wir haben die Räumlichkeiten, die Ruhe und Zeit für eine entsprechende Untersuchung", sagt Heinze.

Ausbau von Telemedizin

Gewaltambulanzen gab es an gerichtsmedizinischen Instituten schon bisher, allerdings gibt es nur vier Institute plus eine Außenstelle auf ganz Österreich verstreut. Neu an der Gewaltschutzambulanz in Graz ist nun, dass sie sowohl vom Bund als auch von der Steiermark zusätzlich gefördert wird. So wurde für die Gewaltambulanz in der Steiermark durch Förderung des Bundes zusätzliches Personal möglich und somit eine durchgängige Erreichbarkeit geplant, 24 Stunden, sieben Tage die Woche.

Zu einem Ausbau der Betreuung von Gewaltopfern ohne weite Wege und lange Wartezeiten gehöre auch der Ausbau von neuen Technologien wie etwa Telemedizin, die vom Land Steiermark gefördert wird, sagt Heinze. So könnten in Krankenhäusern Untersuchungen durchgeführt und Expert:innen von der Gewaltschutzambulanz zuschaltet werden.

"Eine klinisch-forensische Untersuchung muss immer von Kopf bis Fuß erfolgen, sie lässt nichts aus", sagt Sarah Heinze. Es müssen auch negative Befunde dokumentiert, diverse Proben genommen oder auch Befunde nochmal angesehen werden, die in der ersten Untersuchung noch nicht vollständig abgrenzbar waren.

Alle sind zuständig

Für eine geschlossene Beweiskette bei Gewaltfällen seien auch standardisierte Dokumentationsbögen wichtig, die Felder für alle verschiedenen Möglichkeiten anführten, sagt Heinze.

"Gerichtsmediziner:innen haben sich sechs Jahre lang mit Gewalt beschäftigt", sagt Sarah Heinze über die Ausbildung. "Wenn Sie an der Galle operiert werden wollen, gehen Sie ja auch nicht in die Augenklinik, sondern in die Chirurgie, dem primären Fachgebiet." Zentral sei auch die Aufklärung und Schulung aller Stellen, zu denen Gewaltbetroffene kommen. Seien es Gewaltschutzzentren, Beratungsstellen oder niedergelassene Ärzte und Ärztinnen. "Den Verdacht, dass etwas passiert sein könnte, das werden wir ihnen aber nicht abnehmen können", sagt Heinze. Auch die Pflegekräfte seien wichtiger Schlüssel für das Erkennen von Gewalt, sie stünden in einem anderen Kontakt zu Patientinnen und Patienten als Ärzte und Ärztinnen.

Letztliche gelte für alle ein genauer Blick und laufendes Sprechen über Gewalt. "Je mehr wir über Gewalt reden, desto mehr können wir als Gesellschaft dagegen tun", ist Sarah Heinze überzeugt. (Beate Hausbichler, 8.5.2024)