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Demo in Dresden nach dem tätlichen Angriff auf SPD-Politiker Matthias Ecke: Ein 17-Jähriger stellte sich der Polizei.
IMAGO/Bernd März

Nicht nur in Deutschland ist das Entsetzen groß über die tätlichen Angriffe auf Politikerinnen und Politiker. Wo kommen wir hin in unserer Demokratie, wenn sich Leute ermächtigt fühlen, Andersdenkende niederzuschlagen, zu verletzen – ja, vielleicht am Ende gar zu töten? Sind wir gerade Zeugen vom Niedergang der aufgeklärten Demokratien? Was ist aus dem feierlichen Schwur geworden, quasi dem Gründungsmythos des Vereinten Europa, nach zwei furchtbaren Weltkriegen alle inhaltlichen Auseinandersetzungen künftig nur mehr am Verhandlungstisch auszutragen?

Sind wir wieder dort, wo wir vor fast 100 Jahren, in den von Aufruhr geplagten 1930er-Jahren, waren, als der gegenseitigen verbalen Diffamierung die tatsächliche Aufrüstung der politischen Lager folgte – und damit Mord, Totschlag und am Ende die Nazi-Herrschaft in all ihrer Grausamkeit und Menschenvernichtung?

Verbale Brandsätze

Die politischen Parallelen liegen auf der Hand. Wieder ist es mit der AfD eine extrem rechte Partei, die den politischen Diskurs vergiftet. Die ihre Gegner verunglimpft und verbal niedermacht, die "das System" (gemeint sind Demokratie und Rechtsstaat) verdammt und Menschenrechte missachtet. Das Vorbild der AfD ist übrigens die FPÖ. Deren Parteichef Herbert Kickl nennt, in bewusst gewählter "missverständlicher" Analogie, andere Parteien "Systemparteien" und andere Politiker "Volksverräter". Er will sogar eine "Fahndungsliste" für Regierungspolitiker einführen.

Sprache wirkt. Diese Sprache wirkt bedrohlich. Und sie wird auch zur latenten Drohung, wenn es Menschen gibt, die sich – wie eben in Deutschland – plötzlich ermächtigt fühlen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Dann zählt nicht mehr das bessere Argument, sondern die stärkere Faust. Das muss unter allen Umständen verhindert werden.

Symptombekämpfung

Insofern ist zu begrüßen, dass sich die Innenminister der deutschen Bundesländer nun zusammengefunden haben, um gemeinsam gegen diese Verrohung der politischen Kultur vorzugehen. Sie tun damit nicht weniger als den Parlamentarismus, das freie Mandat, zu schützen. Dennoch ist verstärkte Polizeipräsenz wie das Pflaster, das man auf den offenen Beinbruch auflegt: der Versuch einer Symptombekämpfung – aber eben nicht die Heilung.

Wir sind nicht in den 1930er-Jahren. Die demokratischen Systeme Europas sind stark genug, um mit Gewaltausbrüchen umgehen zu können. Eine weitere Analogie drängt sich auf – zu den Studentenunruhen in den späten 1960er-Jahren. Auch hier war die Lage zeitweise prekär, es gab Verletzte und sogar Tote. Am Ende war stets entscheidend, dass die gemäßigten politischen Kräfte aufeinander zugegangen sind, dass man gemeinsam bemüht war, politische Auseinandersetzungen auf zivilisierte Weise auszutragen.

Hassreden benennen

Diese Tugend der Mäßigung, dieses Bemühen um ein Mindestmaß an Verständnis und Respekt für den jeweils anderen – das ist auch jetzt wieder dringend gefragt. So wie jetzt darf es nicht weitergehen. Gerade die Brandsätze, die über diverse Kanäle in sozialen Medien gelegt werden, verbreiten sich schneller und gnadenloser denn je. Die Hassrede muss als solche benannt und konsequent juristisch verfolgt werden. Das politische Bemühen um die besseren Inhalte darf kein Lippenbekenntnis bleiben.

Bei einer Politik, die Gewalt sät, gibt es keine Sieger. Am Ende verlieren alle. (Petra Stuiber, 8.5.2024)