Rosa leuchtendes Polarlicht über nächtlicher Landschaft.
Die Sonne ist im besonders aktiven Teil ihres Zyklus: Bereits im vergangenen November konnten wie hier bei Pinkafeld im Burgenland Polarlichter beobachtet werden.
APA/AZM/MICHAEL JÄGER

Wenn in den kommenden Nächten ein farbiges Leuchten am Nachthimmel zu sehen ist, muss das nicht für alkoholische Umnachtung sprechen: Wie zweimal im Vorjahr könnten Polarlichter bis in die Alpenregionen zu sehen sein. Die Sonne befindet sich derzeit in einer der aktivsten Phasen ihres Sonnenzyklus, es kommt zu mehreren starken Sonneneruptionen, die auf der Erde für Polarlichter sorgen können. Man nennt sie Sonnenstürme oder geomagnetische Stürme.

Mehrere Sonnenstürme, wohl direkt aufeinanderfolgend, werden für den 10. und 11. Mai prognostiziert. Womöglich kommen sie schon am Freitagabend bei der Erde an. "Was wir als geomagnetische Effekte sehen werden, ist nicht wirklich vorhersehbar", schreibt das österreichische Weltraumwetterbüro der Geosphere Austria auf X, vormals Twitter. Leiter Christian Möstl zufolge "könnte, wenn alles zusammenpasst, der stärkste geomagnetische Sturm seit fast 20 Jahren entstehen", sagt er auf STANDARD-Nachfrage. Derzeit sprechen Fachleute von vier aufeinanderfolgenden Stürmen oder mehr – "so etwas hat es schon lange nicht mehr gegeben".

Person steht vor Schneelandschaft mit grünen Nordlichtern am Himmel.
In Nordskandinavien dürften die Nordlichter in den kommenden Tagen spektakulärer als sonst ausfallen.
EPA/LAURENT GILLIERON

Erwartet wird in Österreich eine weitgehend wolkenlose Nacht von Freitag auf Samstag, also optimale Voraussetzungen in Sachen Erdwetter. Das Weltraumwetter hingegen ist schwieriger kalkulierbar, weshalb auch nicht klar ist, ob die Sonnenstürme bereits in dieser Nacht Auswirkungen zeigen oder erst später ankommen. Dann wäre in Europa eher in der Nacht von Samstag auf Sonntag etwas davon zu sehen.

Ein derartig extremes Event traf auch dem US-amerikanischen Weltraumwetter-Vorhersagezentrum zufolge zuletzt 2005 ein, auf seiner Skala entspricht dies einem G4-Event, das stark ausfällt. Grund dafür sind Sonneneruptionen, die als koronale Massenauswürfe bezeichnet werden. Das Plasma, das dabei ausgestoßen wird, tritt meist aus Sonnenflecken aus, und je mehr Sonnenflecken es gibt, desto mehr Sonnenstürme entstehen.

Viele Sonnenflecken

Eine beachtliche und aktive Sonnenfleckenregion ist aktuell von der Erde aus mit bloßem Auge zu erkennen, freilich nur mit Schutzausrüstung, etwa Brillen und Filtern, wie sie für Sonnenfinsternisse genutzt werden. Sie ist 16-mal so groß wie der Durchmesser der Erde. Dort nahmen auch die geomagnetischen Stürme ihren Ursprung, die aktuell unterwegs zur Erde sind.

Jährlich treffen im Schnitt 40 Sonnenstürme die Erde. Der aktuelle Sonnenzyklus fällt stärker aus als der recht schwache vorangegangene. Im Vorjahr kam es daher im April und November zu Nordlichtsichtungen in Österreich. Das anstehende Event ist wahrscheinlich in der gleichen Größenordnung – "mit etwas Glück oder Pech, je nachdem, wie man's sieht, kann es in der Stärke etwas darüber gehen", sagt Möstl.

Glücklich sind diejenigen, die sich über Polarlichter freuen. Aber stärkere Sonnenstürme können insbesondere bei getroffenen Satelliten für Probleme sorgen. Ihre Atmosphärenschicht in mehr als 80 Kilometer Höhe über dem Boden kann sich dann ausdehnen und dafür sorgen, dass Satelliten um zig Meter herabfallen. GPS-Systeme können bei stärkeren Stürmen um ein paar Meter danebenliegen, bei Superstürmen auch um zehn Meter und mehr.

Superstürme und Blackout

Die kommenden Sonnenstürme werden laut Möstl aber wahrscheinlich keine, bei denen es im Stromnetz Schwierigkeiten geben wird. Starke Stürme können für zusätzliche Ströme im Netz sorgen. In Extremfällen können Leistungstransformatoren in Umspannwerken beschädigt werden, bis hin zum Blackout. Auch Radiosignale und damit Funkübertragungen werden gestört.

Zu einem mehrstündigen Stromausfall aufgrund von Sonnenstürmen kam es etwa im Oktober 2003 in Schweden, berühmt ist das Carrington-Ereignis 1859, das für Polarlichter in Rom und Brände in Telegrafiestuben sorgte. Es war der stärkste wissenschaftlich beobachtete Sonnensturm, wenngleich die Mittel damals im Vergleich zu heute stark eingeschränkt waren. 2012 kam es zu einem ähnlich starken Supersturm, der die Erde knapp verfehlte.

Dass oft nur kurzfristig erkennbar ist, ob ein Sonnensturm die Erde trifft oder vorbeigeht, trägt zur Unsicherheit bei. Erst vor ein paar Tagen hat sich herausgestellt, dass hier eine "monsteraktive Quellregion" auf der Sonne sehr viele Sonnenstürme produziert hat, sagt Möstl.

November-Aurora nicht vorhergesehen

Die vier, fünf oder sogar mehr Sonnenstürme, die für das Wochenende erwartet werden, können einzeln hintereinander ankommen oder sich vermischen. "Interagierende Stürme haben das Potenzial, stärker zu sein", weiß der Experte. Sie können sich gegenseitig verstärken, einander aber auch teilweise auflösen.

Flaches Land mit gelblicher Lichtverschmutzung und darüber ein Sternenhimmel mit blassvioletter Schicht.
Schon am 2. Mai wurde in Norddeutschland, östlich von Berlin, ein Hauch von Nordlicht durch Langzeitbelichtung festgehalten.
APA/dpa/Patrick Pleul

Dies hängt davon ab, wie ihre Magnetfelder geartet sind. "Da gibt es niemanden auf der Welt, der das richtig vorhersagen kann", sagt Möstl. Insbesondere im Augenblick "sind wir quasi blind zwischen Sonne und Erde", weil keine Raumsonde wie Solar Orbiter sich genau zwischen Sonne und Erde befindet. Dies war hingegen im März der Fall. Damals konnte eine Sonnensturmvorhersage getroffen werden, die sich bestätigt hat. Der Grazer Physiker arbeitet daran, solche Konzepte für zukünftige Missionen zu entwickeln, und wird dabei mit einer der renommierten Förderungen des Europäischen Forschungsrats ERC unterstützt.

Aufgrund des Unsicherheitsfaktors informiert das österreichische Weltraumwetterbüro nur selten über mögliche anstehende geomagnetische Stürme und Nordlichter – "damit wir nicht viele Leute rausschicken, die dann enttäuscht sind", sagt Möstl. Auch bei den Sonnenstürmen im vergangenen November habe es eher ausgesehen, als würden sie an der Erde vorbeirauschen. Die Aurora borealis war dann doch selbst in Österreich beobachtbar, auch dank der klaren Nacht. "Aber jetzt sind sich eigentlich alle einig, dass das Potenzial auf jeden Fall da ist." (Julia Sica, 10.5.2024)