Tom Kitwood und Marina Kojer – diese beiden Namen prägen die Entwicklung der personenzentrierten Begleitung, Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz sowie deren An- und Zugehörigen maßgeblich. Ihre Erkenntnisse, Ansätze und Hingabe haben eine unauslöschliche Spur in der Branche hinterlassen. Beide vertreten die Haltung, dass Menschen mit Demenz bis zum Schluss Personen mit eigener Identität und Biografie sind. Sie streben, wie auch Menschen ohne Demenz, nach Beziehung, Liebe, Trost, Zuwendung, Sicherheit und Einbeziehung. Werden Menschen mit Demenz diese Dinge verwehrt, so wird ihnen ihr "Person-Sein" verwehrt. Sowohl Kitwood, als auch Kojer begreifen einen Menschen mit Demenz analog zu einem Menschen ohne Demenz – mit all den dazugehörigen seelischen, sozialen, psychologischen, spirituellen und körperlichen Ebenen und Bedürfnissen.

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Menschen mit Demenz sind bis zum Schluss Personen mit eigener Identität und Biografie.
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Visionär der personenzentrierten Betreuung

Tom Kitwood (1937 bis 1998), britischer klinischer Psychologe und Pionier auf dem Gebiet der Demenzpflege, hat gemeinsam mit der Bradford Dementia Group die Grundpfeiler für das Modell "Dementia Care Mapping" gelegt. Dementia Care Mapping ist ein Beobachtungsinstrument, das in Pflegeeinrichtungen eingesetzt wird, um sicherzustellen, dass eine Person mit Demenz eine ganzheitliche Betreuung erhält, was bedeutet, dass nicht nur ihre körperliche Gesundheit, sondern auch ihr emotionales, spirituelles und soziales Wohlbefinden berücksichtigt wird.

Zentral für Kitwoods Philosophie war die Anerkennung der Persönlichkeit von Menschen mit Demenz. Er argumentierte, dass Menschen trotz kognitiver Beeinträchtigungen ihre intrinsische Menschlichkeit bewahren und ihnen mit Würde, Respekt und Empathie begegnet werden muss. Diese Perspektive stellte gängige Vorstellungen in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz infrage, die oft nur darauf abzielten, Symptome zu behandeln, anstatt die gesamte Person dahinter wahrzunehmen und zu fördern.

Kitwoods einflussreiche Arbeit gipfelte in seinem wegweisenden Buch Dementia Reconsidered: The Person Comes First, das 1997 veröffentlicht wurde. In diesem Werk formulierte er fünf Prinzipien der personenzentrierten Pflege und betonte die Bedeutung von Empathie, Kommunikation und Beziehungsaufbau in der Unterstützung, Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz.

Stimmen der Menschen mit Demenz wahrnehmen

In der gleichen Linie der personenzentrierten Pflege leistete Marina Kojer, eine Gerontologin und Aktivistin, bedeutende Beiträge zur Entwicklung der Begleitung, Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz. Durch ihre Konzentration auf die "Erhebung der Stimmen und Erfahrungen von Menschen", die mit der Erkrankung leben, ist Kojer die Pionierin der Palliativen Geriatrie. Kojers Arbeit wurde maßgeblich von ihren persönlichen Erfahrungen als Betreuerin ihrer Mutter geprägt, die an Demenz litt.

Kojer erkannte die Bedeutung, Menschen mit Demenz zu ermächtigen, eine Stimme in ihrer Betreuung und Behandlung zu haben. Sie war und ist der Überzeugung, dass Pflegekräfte und Gesundheitsfachkräfte, indem sie aktiv auf die Perspektiven, Vorlieben und Bedürfnisse der Menschen mit Demenz hören und auf sie reagieren, effektivere und respektvollere Unterstützung bieten können.

Im Vorwort ihres Buches Alt, krank und verwirrt schreibt sie: "Es geht [..] darum, jeden Menschen, ungeachtet seines Alters und seines körperlichen und geistigen Zustands für ein gleichwertiges und gleichwürdiges Du anzusehen, ihm mit Respekt, Wertschätzung und Mitgefühl zu begegnen und ihm Selbstbestimmung zuzubilligen. Ist diese Grundhaltung, gepaart mit der unverzichtbaren fachlichen Kompetenz, vorhanden, ergeben sich die nächsten Schritte fast von selbst. [..] Niemand kann Wunder wirken, aber jede Einzelne kann durch Zuwendung, Mitgefühl, zur richtigen Zeit eingesetzte fachliche Kompetenz und nicht zuletzt durch ein wenig Kreativität dazu beitragen, dass Patientinnen – heute sprechen wir meistens von Bewohnerinnen – bis zuletzt ein gutes Leben haben."

Durch ihre konsequente Lobbyarbeit für Menschen mit Demenz, aber auch für deren An- und Zugehörigen wollte und will Kojer das Stigma rund um Demenz herausfordern und eine inklusivere und mitfühlendere Gesellschaft fördern. Sie betont stets die Bedeutung, über die Diagnose hinauszublicken und die Persönlichkeit von Menschen mit Demenz anzuerkennen, und vertritt damit die Prinzipien der personenzentrierten Pflege. Kojers Bemühungen haben dazu beigetragen, dass die Lebenserfahrungen und Biografien der von Demenz Betroffenen zentral für die Betreuung und Pflege geworden sind.

Erbe und Einfluss

Der personenzentrierte und ressourcenorientierte Ansatz im Umgang mit Menschen mit Demenz hat mittlerweile in etlichen Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten sowohl für Personen aus dem Gesundheitswesen als auch für An- und Zugehörige, ehrenamtlich Tätige oder am Thema interessierte Menschen Einzug gehalten. So entwickelte Felicitas Zehetner nach dem Tod ihres Mannes 1997 den gemeinnützigen Verein MAS Alzheimerhilfe (MAS = Morbus-Alzheimer-Syndrom) in Bad Ischl. Ihr Ziel war und ist es, Verbesserungen für von Demenz Betroffene und deren Familien zu fordern und zu erreichen. Ihre Motivation war, dem allgemeinen Defätismus und der damaligen Meinung, bei Demenz/Alzheimer sei nichts zu machen, vehement zu widersprechen.

Mittlerweile hat sich aus dem ursprünglichen Selbsthilfegedanken ein Netzwerk aus Demenzservicestellen, MAS-Trainer:innen, Ausbildungen und dem visionären "Alzheimerurlaub" entwickelt. Die Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote sind geprägt vom personenzentrierten Ansatz Tom Kitwoods. Durch das MAS-Demenztraining wird das Verständnis für die Bedürfnisse, Emotionen und Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz erweitert und das Bewusstsein für ihre Würde und Autonomie gefördert.

Marianne Wilfling, MAS-Trainerin und Sozialarbeiterin, erzählt von den unterschiedlichen Effekten, die die Beschäftigung mit der personen- und ressourcenorientierten Haltung, haben kann: "Ich erleben, dass die Pflege- und Betreuungsqualität verbessert wird. Teilnehmer:innen, die ein MAS-Demenztraining absolvieren, können zum einen durch das Erlernen unterschiedlicher Techniken wie Validation oder Kommunikation ohne Worte, zum anderen durch kontinuierlicher Stärkung und Reflexion der eigenen Arbeitsweise und Haltung 'herausfordernden' Situationen anders begegnen. Sie fühlen sich besser gerüstet, um den Herausforderungen, die die Betreuung und Begleitung von Menschen mit Demenz mit sich bringen, zu begegnen. Die Ausbildung ist strukturiert und evidenzbasiert und zielt darauf ab, die Kenntnisse, Fähigkeiten und Empathie der Teilnehmer im Umgang mit Demenz zu verbessern."

Der Interprofessionelle Lehrgang für Palliative Geriatrie der Fachgesellschaft Palliative Geriatrie, die 2015 von Marina Kojer und Kolleg:innen gegründet wurde, hat die Sorge (Care) um ein gutes Leben und Sterben für hochbetagte, von Multimorbidität und/oder Demenz betroffene Menschen als Ziel. Was brauchen hochbetagte Menschen, wie können wir ihre Bedürfnisse aufnehmen und gleichzeitig als Sorgende auf uns selbst achten? Dem Erbe Kitwoods, Kojer und Saunders verpflichtet setzt sich sowohl der Lehrgang, als auch die Fachgesellschaft mit der "Sorgekultur" auseinander und stellt immer wieder die Frage nach der Veränderung und Weiterentwicklung von bestehenden Bildern und Konzepten in der Betreuung und Pflege.

Tom Kitwood und Marina Kojer prägen Haltung, Richtlinien, Praktiken und Einstellungen gegenüber Menschen mit Demenz. Ihr Engagement für die Förderung von Würde, Respekt und Persönlichkeit hat Generationen von Betreuern, Forschern und Aktivisten dazu inspiriert, sich für Exzellenz in der Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz einzusetzen.

Um diese Exzellenz allen zugänglich zu machen, stellt die Veränderung der derzeitigen Curricula der Gesundheitsberufe eine unbedingte Notwendigkeit dar. Nur wenn die personenzentrierte und ressourcenorientierte Betreuung und Pflege kein "Wahlfach", sondern eine durchgängige Haltung und Expertise darstellt, auf der die Curricula aufgebaut sind, sind wir als Gesellschaft bereit für die kommenden Herausforderungen. Demenz geht uns alle an. (Marianne Buchegger, Marianne Wilfling, 22.5.2024)