Wien – STANDARD-Journalistin Colette M. Schmidt hat es sich zur Aufgabe gemacht, nicht weg-, sondern hinzuschauen, wenn die "Feinde der Demokratie" am Werk sind, "egal aus welcher Richtung sie kommen". Dafür und für ihre Reportage über eine Dragqueen-Kinderbuchlesung wurde Schmidt am Montag im Parlament in Wien mit dem Concordia-Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet. Die Jury unter dem Vorsitz von Heide Schmidt würdigte sie "für ihre beharrliche und couragierte Berichterstattung über Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten und die Bedrohung der Pressefreiheit bei Demonstrationen". Im Folgenden finden Sie die Rede von Colette M. Schmidt im Wortlaut:

Colette M. Schmidt, Redakteurin Innenpolitik & Chronik beim STANDARD,
Colette M. Schmidt, Redakteurin Innenpolitik & Chronik beim STANDARD, erhielt am Montag den Concordia-Preis für Pressefreiheit.
DER STANDARD / Heidi Seywald

"Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vertreterinnen und Vertreter der Politik, Freundinnen und Freunde und liebe Familie. Als ich vor einigen Wochen einen Anruf bekommen und erfahren habe, dass die Jury mir den Concordia-Preis für Pressefreiheit zuerkannt hat, habe ich wirklich vor Freude einen Luftsprung gemacht. Ich bedanke mich für diese Anerkennung meiner Arbeit, die ich in großer Demut annehme.

In den letzten fünf Jahren wurden in Österreich mindestens 40 Waffenarsenale am rechtsextremen Rand von den Behörden ausgehoben. 40 Mal Ansammlungen von Schusswaffen, Hiebwaffen, kiloweise Munition, Sprengmittel und oft mit dabei Nazi-Devotionalien. Bekenntnisse zu einer menschenverachtenden, gewalttätigen Ideologie. Gesammelt von Menschen, die hier in einer Demokratie mit all ihren Vorzügen leben und diese eigentlich abschaffen wollen: die geistigen Erben der Nationalsozialisten.

Jede Woche steht in irgendeinem Bundesland in Österreich jemand wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz vor Gericht. In manchen Wochen sind es bis zu zehn solcher Fälle. Die Plattform Stoppt die Rechten sammelt diese Zahlen akribisch und verlässlich.

Gleichzeitig spüren rechtsextreme Gruppen einen Aufwind. Im Zuge der Pandemie haben sie im Netz und auf der Straße neue Anhänger:innen rekrutiert, haben diese mit ihrer Ideologie von Hass, Hetze und Herrenmensch sowie atemberaubenden Verschwörungsmythen angesteckt. Warum wir das wissen: weil wir Feinde der Demokratie beobachten. Egal aus welcher Richtung sie kommen. Weil wir den politischen Diskurs beobachten, im Parlament, im Netz und natürlich auch auf der Straße.

Es ist eine Reportage über eine Demonstration, für die ich nun diesen Preis bekommen habe. Rechtsextreme, Neofaschisten und auch Mitglieder der blauen Jugend haben in diesem Fall zum Marsch gegen eine Dragqueen-Kinderbuchlesung, eine Veranstaltung zur Förderung von Toleranz und Diversität, geblasen.

Versteckt hinter Schirmen

Nicht zum ersten Mal wurden Medienvertreter:innen von rechtsextremen Aktivisten abgedrängt, mit aufgespannten Schirmen wurde uns die Sicht verstellt, die etwa zehn Zentimeter langen Schirmspitzen dabei in unsere Richtung gestoßen. Bleibt die Frage, wofür man eine Demo organisiert, mit seinen Anliegen also in den öffentlichen Raum geht, wenn man sich hinter Schirmen versteckt?

Die Polizei ließ das geschehen. Doch es ist nun einmal deren Aufgabe, die Pressefreiheit zu gewährleisten. Und genau das tut sie oft nicht. Damit das klar ist: Die Polizei entscheidet nicht, wer Journalistin oder Journalist ist.

Es ist ein bisschen unübersichtlich geworden im ideologischen Spektrum der Welt. Anhänger einer ehemals konservativen Partei bejubelten in den USA einen Putschversuch. Die globale Linke, die sich stets als progressiv ausgab, verbrüdert sich mit Terrororganisationen, die Frauen und der LGBTQ-Community alle Rechte absprechen. Und dabei sehen wir eine Explosion von Antisemitismus in einer rohen, unverblümten Art, dass einem die Luft wegbleibt.

Kein Interesse an Pressefreiheit

Es gibt aber immer noch ganz klare Leitlinien, wie Demokratietauglichkeit oder so etwas wie Humanismus. Bewegungen oder Regime, die diese Werte angreifen, haben logischerweise kein Interesse an der Pressefreiheit. Auch auf den jüngsten Demos, auf denen die Hamas verharmlost und zum Jihad aufgerufen wird, hat man keine Freude mit dem kritischen Auge der Medien.

Der äußerste rechte Rand aber drängt in die Mitte. Anders ist es nicht erklärbar, dass man ernsthaft darüber diskutiert hat, ob Menschenrechte noch zeitgemäß sind, dass Remigration, also die Deportation von Menschen, nicht schon vor Potsdam zu einem Aufschrei geführt hat und dass Vokabel wie Lügenpresse, Festung Europa oder Volkskanzler nach 80 Jahren wieder einfach so zurückkehren können in den öffentlichen Diskurs. Gleichzeitig gibt es wirklich Menschen, die glauben, "Antifaschist" sei ein Schimpfwort. Das ist es nicht. Antifaschistin zu sein ist in einer Demokratie alternativlos.

Wie lange wird es die noch geben?

In dieser Erosion braucht es eine stabile Medienlandschaft mehr denn je. Aber wir müssen heute ernsthaft fragen: Wie lange wird es die noch geben? Wir drohen zu verschwinden. Obwohl der Journalismus so essenziell für Demokratien ist, schaut man in Ruhe zu, wie er stirbt.

Morgen Früh wird die Journalistengewerkschaft weiter mit dem Verband Österreichischer Zeitungen das neue Rahmenrecht unseres Kollektivvertrags verhandeln. Was wir jetzt schon sagen können: Die Löhne in unserer Branche zu kürzen wird kein einziges Medienunternehmen retten.

Vielmehr muss sich die Gesellschaft – und damit die Politik – fragen: Will sie sich seriöse Medien noch leisten, so wie sie sich ein Gesundheitssystem, Schulen, Unis, Museen und Theater leistet? Das ist eine rhetorische Frage, denn natürlich können wir es uns nicht leisten, auf Qualitätsmedien zu verzichten. Qualitätsmedien, die übrigens auch aus den Regionen berichten, denn flächendeckende Demokratie heißt, ohne tote Winkel zu berichten – auch über Kunst und Kultur, wo wichtige Fragen des Zusammenlebens verhandelt werden. Politische Inseratenvergabe nach Gutsherrenart ist nicht demokratisch.

Wir reden immer von Medienkompetenz, die an Schulen gelehrt werden muss. Wir müssen aber dafür sorgen, dass es überhaupt noch Medien gibt, die zukünftige Generationen konsumieren können. Man könnte Abos von Qualitätsmedien steuerlich befreien, denken wir uns Zeitungen wie Unterrichtsmaterial.

Am rechten Rand hat man sich längst ein Netzwerk aus Propagandamedien aufgebaut – auch weitgehend mit Inseraten. Wir müssen dem Aufklärung und gut recherchierte Information entgegensetzen.

Die jüngere Generation, die in unserem Beruf, jedenfalls in unserer Redaktion, nachrückt, macht mir Hoffnung. Es waren auch Junge dabei, als wir das erste Redaktionsstatut des STANDARD erarbeitet haben. Sie sind nicht nur gut ausgebildet, sondern machen sich auch wirklich Gedanken über ihre Verantwortung. Sie haben es sich verdient, nicht von KI, Bots und Fake-News-Produzenten ersetzt zu werden. Wir werden sie noch dringend brauchen." (red, 13.5.2024)