Falschinformationen sorgen für besonders viele Klicks – ihre Verfasserinnen und Verfasser machen sich dabei starke Gefühle zunutze, sagt die Kognitionspsychologin Hannah Metzler. Sie erforscht am Complexity Science Hub in Wien, wie Emotionen die Verbreitung von Falschinformationen beeinflussen. Die Expertin hat auch eine gute Nachricht parat: Längst nicht alle Menschen vertrauen Fake News blind. Im Interview erklärt Metzler, wer diejenigen sind, die sie glauben und weiterverbreiten. Aber auch, was dafür sorgen kann, dass faktische, gut recherchierte Informationen ein stärkeres Gewicht in Debatten bekommen.

STANDARD: Starke Emotionen sorgen für viele Klicks, das macht sich auch Desinformation zunutze. Was ist die wissenschaftliche Erklärung dafür?

Metzler: Negative Emotionen ziehen unsere Aufmerksamkeit an, weil das evolutionär gesehen von Vorteil war. Wer sensibel auf Emotionen reagierte, überlebte in Urzeiten eher. Schließlich ist es besser, ich reagiere zehnmal auf das Rascheln im Busch, wenn nur einmal tatsächlich ein Säbelzahntiger dahintersteht. Ebenso ist es vorteilhaft, wenn ich früh auf die Wut von Menschen in meinem Umfeld aufmerksam werde – weil ich schneller reagieren kann. Außerdem ist es so, dass überraschende Informationen meine Aufmerksamkeit deshalb an sich ziehen, weil ich akut etwas tun muss. Bei einer langsamen, stetigen, vielleicht sogar positiven Veränderung über die Zeit – wie etwa sinkender Armut – muss ich nicht sofort reagieren. Deshalb zieht sie nicht so stark meine Aufmerksamkeit an.

STANDARD: Negative, moralische Informationen über Gruppen, die wir nicht mögen, erzeugen nachweislich besonders viel Engagement. Geht es da um Zugehörigkeit? Oder fühlen wir uns besser, wenn es anderen schlecht geht?

STANDARD: An dem Argument der Zugehörigkeit ist auf jeden Fall etwas dran. Wir Menschen sind soziale Wesen, wir denken immer in "Wir" versus "die anderen". Aufgrund der Zugehörigkeit zu unserer Gruppe sind uns alle sozialen Informationen wichtig. Das Spezielle an den sozialen Medien ist nun: Man erhält dort nur sehr wenige Informationen über andere, aber die Gruppenzugehörigkeit ist sichtbar. Deshalb sind diese Plattformen gut geeignet für den Wettkampf zwischen unterschiedlichen politischen Gruppen. Dass wir uns besser fühlen, wenn es anderen schlecht geht, würde ich jedoch nicht sagen. Wir fühlen uns ja auch nicht besser, wenn wir einen Unfall beobachten. Und trotzdem gehen wir hin und schauen. Aber einer kleinen Minderheit bringt es wohl schon etwas, emotionale und vielleicht sogar aggressive Botschaften auf Social Media zu verbreiten. Die Forschung zeigt, dass das vor allem Menschen sind, die im echten Leben nicht die Anerkennung und den Status bekommen, die sie gerne hätten. Es sind Menschen, die Angst vor dem Verlust von Privilegien haben oder denen tatsächliche Probleme das Leben schwermachen. Social Media erlaubt ihnen, über aggressives Verhalten eine gewisse Anerkennung zu bekommen.

STANDARD: Über welche Themen kursieren denn derzeit besonders viele Falschmeldungen im Netz?

Metzler: Dazu lassen sich leider noch kaum wissenschaftliche Studien finden. Denn dafür müssten wir erst länger von verschiedenen Plattformen große Mengen an Daten sammeln. Bis wir wissen, was Anfang 2024 im Netz besonders präsent war, wird es dauern. Aber Fact-Checking-Plattformen geben einen Eindruck, weil dort aktuelle Falschmeldungen aufgedeckt werden. In vielen geht es erstaunlicherweise immer noch um die Pandemie. Es wird zum Beispiel behauptet, die Pandemie hätte es gar nie gegeben. Desinformation gibt es auch zum Ukrainekrieg oder zum Israel-Gaza-Konflikt. Rund um den Klimawandel kursieren ebenfalls viele Falschmeldungen. Unlängst hat sich zum Beispiel ein AfD-Politiker zu Wort gemeldet und gesagt, Deutschlands CO2-Emissionen würden ja gar nicht so sehr zum Klimawandel beitragen.

Für sie werden Wälder in großem Stil abgeholzt, sie töten Vögel sonder Zahl und machen krank: Windrädern wird in sozialen Medien alles Mögliche angedichtet.
APA/dpa/Patrick Pleul

STANDARD: Oft wird auch von Panikmache gesprochen oder gefragt, wo denn der Klimawandel sei, wenn es im Sommer 13 Grad hat. Oder es wird behauptet, dass ganze Wälder gerodet werden müssen, um Windräder zu errichten. Wer sind denn diejenigen, die solche Nachrichten verbreiten, und warum tun sie das?

Metzler: Es ist eine eher kleine, politisch motivierte Minderheit, die Desinformation verbreitet. Außerdem gibt es einen Zusammenhang zwischen rechten Parteien und Fehlinformation. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass linkere Meinungen meist besser in den Mainstream-Medien vertreten sind. Eine Rolle spielt aber sicher auch das Lobbying der fossilen Industrie. Sie stellt zum Teil falsche Informationen ins Netz, die dann von anderen verbreitet werden. Diejenigen, die das teilen, sind jene, über die wir vorher schon gesprochen haben: Sie sind oft über ihre Situation im wirklichen Leben frustriert oder haben das Gefühl, dass sie von der Gesellschaft nicht wirklich repräsentiert werden. Außerdem haben sie kein Vertrauen in Institutionen.

STANDARD: Haben sich denn die Falschnachrichten über das Klima verändert? Beobachterinnen und Beobachter sagen, es werde inzwischen weniger der Klimawandel selbst infrage gestellt als die Maßnahmen dagegen.

Metzler: Das liegt daran, dass in der Bevölkerung inzwischen ein breiter Konsens darüber herrscht, dass der Klimawandel eine starke Gefahr und menschengemacht ist. Deshalb muss die Fehlinformation neue Hintertüren finden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Eine beliebte Strategie derzeit: bestimmte Maßnahmen schlechtzureden und zu sagen, dass sie nicht funktionieren. Ein Beispiel wären die Windräder, für die angeblich Wälder abgeholzt werden oder die extrem viele Vögel töten.

STANDARD: Forschende aus Genf haben in einer Studie untersucht, wie stark Falschinformationen die Meinungen über den menschengemachten Klimawandel prägen. Das Ergebnis: sehr stark. Überrascht Sie das?

Metzler: Mir scheint, dass die Ergebnisse etwas verzerrt wiedergegeben wurden, und zwar ins Negative, wie das leider oft der Fall ist, wenn man Aufmerksamkeit bekommen will. Die Effekte der Falschinformation werden als groß präsentiert und die der Interventionen als klein, dabei ist der Unterschied nicht so groß. Falschinformation beeinflusste in der Studie vor allem Gefühle bezüglich Klimawandelmaßnahmen, viel weniger stark die Meinungen oder das Erkennen von Falschnachrichten. Man muss außerdem mitbedenken: Bei der Studie wurden Teilnehmende mit insgesamt 20 Falschnachrichten konfrontiert, das ist viel. Noch dazu wurden sie in einer wissenschaftlichen Studie präsentiert. Wenn Informationen von Experten kommen, wird ihnen eher vertraut, als wenn sie auf Social Media auftauchen. Außerdem gab es eine Intervention, die sehr wohl einen Effekt auf die Unterscheidung von falschen und richtigen Nachrichten hatte: die Menschen zu bitten, genau zu prüfen, ob etwas wirklich stimmen kann.

STANDARD: Eine Intervention, die jedoch nicht funktioniert hat: die Menschen vor den Falschinformationen mit wahren, echten Informationen zu konfrontieren. Wieso ist es denn so schwer, mit der Wahrheit gegen die Lüge anzukommen?

Metzler: Ich würde nicht sagen, dass es allgemein schwierig ist, mit der Wahrheit gegen die Lüge anzukommen. Denn was ich in unserem Leben schon alles erfahren und gelernt habe, hat einen viel größeren Effekt auf mich als eine einzelne Information, die ich online irgendwo bekomme. Zu Lügen kann man auch sagen: Es gibt viele Lügen, die sehr leicht als solche zu entlarven sind. Falschinformationen sind hingegen dazu gemacht, dass sie Menschen täuschen. Sie ist sensationell und emotional und bekommt so leicht Aufmerksamkeit.

"Es gibt viele Lügen, die sehr leicht als solche zu entlarven sind. Falschinformationen sind hingegen dazu gemacht, dass sie Menschen täuschen. Sie ist sensationell und emotional und bekommt so leicht Aufmerksamkeit." (Hannah Metzler, Psychologin)

STANDARD: Können nicht auch echte Informationen über den Klimawandel sehr starke Emotionen hervorrufen? Ich würde meinen, dass es auch sehr aufwühlend ist, wenn sich Weltmeere erwärmen, Arten aussterben oder einige Orte der Welt künftig vielleicht nicht mehr bewohnbar sind.

Metzler: Natürlich können das auch echte Informationen! Das Problem beim Klimawandel ist mitunter nur, dass die Veränderungen langsamer passieren, weniger überraschen, und dadurch auch weniger Aufmerksamkeit bekommen. Eine große Klimakatastrophe bekommt die Aufmerksamkeit sehr wohl. Man muss jedoch sagen: Menschen sind nicht leicht zu manipulieren. Wenn etwas zu emotional oder sensationalistisch daherkommt, macht sie das mittlerweile schon skeptisch, weil das über Falschinformation bekannt ist. Das gilt auch für echte Informationen. Das sollten auch Medien im Kopf behalten.

Hannah Metzler erforscht am Complexity Science Hub in Wien, wie Emotionen die Verbreitung von Falschinformationen beeinflussen.
Verena Ahne

STANDARD: Ein Journalist und Faktenchecker sagte in einem Interview, dass Falschmeldungen insofern im Vorteil sind, als dass sie sehr präzise und kurz sind. In wenigen Worten sagen sie sehr viel. Wahrheit und Fakten seien dagegen erklärungsbedürftig. Ist das auch ein Faktor?

Metzler: Das ist definitiv ein Faktor. Die Falschinformation zeichnet eine schöne Geschichte in Schwarz-Weiß. Wenn es komplexer wird, mögen wir Menschen das nicht so gerne. Trotzdem glaube ich, dass Menschen diese Informationen sehr wohl durchschauen können, wenn die Fakten verständlich erklärt sind.

STANDARD: Was könnte dafür sorgen, dass faktische, gut recherchierte Informationen ein stärkeres Gewicht in Debatten bekommen? Wen sehen Sie in der Verantwortung?

Metzler: Der Glaube in Falschinformationen ist ein Symptom eines mangelnden Vertrauens – in Institutionen wie die Politik, die Medien, die Wissenschaft. Wir müssen die Probleme also real lösen: Wir brauchen eine Politik, die vertrauenswürdig ist, Medien, die nicht nur emotionale Storys verstärken, um Klicks zu generieren. Wir brauchen gut recherchierte Nachrichten, denen Menschen vertrauen schenken können. Ein weiterer Hebel wären die Algorithmen in den sozialen Medien. Dazu gab es bereits Versuche: Man hat für ein paar Monate einen Algorithmus eingeführt, der gleichgesinnte Inhalte weiter unten rankt in der Timeline. Tatsächlich gab es dadurch eine kleine Reduktion in der Verbreitung von Falschinformationen. Ein Algorithmus kann also dabei helfen, vertrauenswürdige Informationen zu boosten. Das könnte man nutzen.

STANDARD: Müssen die Schulen mehr über Falschinformationen aufklären?

Metzler: Ich glaube, dass das nicht schadet, aber auch nicht ausreicht. Es müsste in der gesamten Bevölkerung stärker über Wissenschaft aufgeklärt werden. Wenn die Menschen verstehen, wieso Wissenschaft mehr ist als eine persönliche Meinung, wieso sie tatsächlich ein stärkeres Gewicht haben sollte, vertrauen sie ihr eher wieder. Dasselbe gilt für den Journalismus. Das Ziel wäre, dass Menschen nicht nur Falschinformationen erkennen, sondern auch wissen, was gute Quellen sind, worauf sie vertrauen können. (Lisa Breit, 18.5.2024)