Eine Frau steht auf einer Hebebühne im Business-Kostüm
Veränderung von oben anordnen und als Führungskraft unbeteiligt bleiben: Das geht gar nicht.
Patrick George via www.imago-ima

"Noch immer scheitern rund 70 Prozent der Change-Prozesse, gleichzeitig werden viele notwendige Vorhaben wegen zu großer Komplexität oft gar nicht erst angegangen", berichtet Kurt Mayer, Managing Partner bei den Beratern von ICG, die Veränderungsprozesse in Unternehmen begleiten. Führungskräfte seien angesichts dieser Herausforderungen oft􀅌 schlichtweg überfordert, die notwendigen Transformationen in ihren Unternehmen zu gestalten. Vielfach werde noch zu sehr in technokratischen Projekten gedacht. Mitarbeitende würden bei Change-Vorhaben nicht ausreichend involviert, und der Blick werde zu wenig auf die Unterstützung von Lernen und Dialog gerichtet, sagt Mayers ICG-Kollege Manfred Höfler. Jetzt haben die beiden ein 400-seitiges Fachbuch, basierend auf 1000 Kundenfällen, auf den Markt gebracht: Change that Works. How to Make Transformation Happen.

STANDARD: Veränderungsprozesse sind eigentlich immer ein großes Thema – und ein gutes Beratergeschäft. Was hat sich verändert, was ist neu?

Höfler: Früher wurden Change-Prozesse technokratisch gesehen und vom operativen Geschäft abgegrenzt. Es gab ein Rezept, es gab zielorientierte Programme, Werkzeuge. Viele glaubten, so geht es mit Stärken-Schwächen-Analysen, Steuerungsmeetings, Roadmaps. Das war ein bisschen wie: Hier ist die reale Welt, dort ist der Change.

Change-Berater Manfred Höfler
ICG

STANDARD: Was genau ist daran falsch?

Höfler: Organisationen sind soziale Systeme, die können nicht solcherart "engineered" werden. Change ist eine Reise, die benötigt auch Raum, um neue Verhaltensmuster zu lernen – die Tagesarbeit muss immer dabei sein. Es hat sich auch die Wissensbasis über Veränderungen vertieft und verbreitert. Aus der Hirnforschung wissen wir, unser Hirn mag keine fremdbestimmten Veränderungen. Das empfinden wir als Bedrohung, es wird ein Cocktail an negativen Gefühlen freigesetzt, und es folgt als Reaktionsmuster: Flucht, Kampf oder Erstarrung.

STANDARD: Also nicht im Chefbüro aushecken und von oben anordnen, sondern?

Höfler: Führungskräfte haben eine starke Rolle. Von ihnen ist intensiver Dialog gefragt mit denen, die Veränderung leben sollen. Und Führungskräfte dürfen sich nicht ausnehmen und die anderen in den Change schicken, sich selbst aber raushalten – sie müssen als Vorbild vorangehen. Wir erleben oft noch einen "beauftragten" Change, und Führungskräfte sehen sich selbst gar nicht als Teil dieser Veränderung. Top-Führungskräfte müssen auch selbst in diesen Arbeitsprozess gehen. Ganz zentral ist es, das Warum und Wofür zu erklären.

STANDARD: Das ist ja meisten mehr Profit, stabilerer Profit ...

Höfler: Oder schlicht die Zukunftsfähigkeit. Jedenfalls können Top-Führungskräfte nichts delegieren, schon gar nicht an ein Change-Programm. Das Schlimmste ist immer, etwas zu versprechen, was dann nicht hält. Die Wahrheit ist auf lange Sicht immer besser als Unsicherheit.

STANDARD: Klarheit vor Harmonie?

Mayer: Harmoniestreben ist da nie gut. Allerdings sind Räume und Möglichkeiten zu schaffen, damit die Leute ihre Ängste artikulieren können. Es ist in Veränderungsprozessen oft paradox: Meilensteine und Rollen sollen klar dargelegt sein – aber es wird im Prozess nie so kommen wie geplant. Und es ist ja meistens nicht der eine einzige Veränderungsprozess, oft sind es viele verschiedene, auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Geschwindigkeiten. Da braucht es immer Räume der Stabilität, etwas muss auch gleich, unverändert bleiben.

Change-Berater Kurt Mayer
Andi Bruckner

STANDARD: Was beispielsweise?

Mayer: Das Büro, der Sitzplatz, das Gehalt, die Positionierung der Produkte – ein paar Faktoren eben, je nach Kontext.

STANDARD: Glaubwürdigkeit der Change-Führer ist fast immer ein Thema. Was schafft Glaubwürdigkeit, Gefolgschaft für die Veränderung?

Höfler: Als Top-Führungsperson nicht den Hero für alle Fälle spielen, sondern auch als Person mit vielen Facetten zur Verfügung stehen. Im Mittelmanagement ist es oft so, dass der Change als "Blödsinn" gesehen wird, so nicht passend und machbar. Das kann schon in diesem oder jenem Punkt so sein. Wenn das mittlere Management aber gar nicht an den Change glaubt und ihn für die Teams nicht übersetzen kann, dann wird es sehr schwierig. Glaubwürdigkeit heißt auf alle Fälle auch, sich Zeit zu nehmen für die Leute, auch wenn alles sehr turbulent ist und man vielleicht auch sehr mit sich selbst und den eigenen Ängsten beschäftigt ist. Oft verstecken sich Führungskräfte, weil sie keine Antworten haben, weil sie von Menschen umgeben sind, denen es gerade nicht gut geht.

Mayer: Vor allem auch nicht beschwichtigen! Klar bleiben!

STANDARD: Veränderung heißt meistens, etwas Altes, Bewährtes, Bekanntes und gut Eingeübtes loszulassen. Wie gelingt das am besten?

Mayer: Es zum Thema machen und Rituale einsetzen: Wovon muss ich mich verabschieden, was soll weggehen? Das kann man ja auf Zettel schreiben und dann beispielsweise in einer Feuerschale gemeinsam verbrennen. Das Ritual muss zur Organisation und in den Kontext passen. Meistens geht es eigentlich nur um das Aussprechenkönnen, um das Gehörtwerden.

STANDARD: Also Emotionen zulassen und mit ihnen arbeiten – das machen Konzerne?

Höfler: Ja, auch in Konzernen hat sich mittlerweile das Bewusstsein durchgesetzt, dass Emotionen immer da sind und dass sie wichtig sind. Veränderung ohne emotionale Betroffenheit geht nicht, da hilft kein Starren auf Zahlen.

Mayer: Es macht im Change den wesentlichen Unterschied, ob Resonanz zugelassen wird oder nicht. Und das klappt nur über persönlichen Kontakt, über Dialog und Gespräche. Nur Botschaften senden, nur Ansprachen halten, das funktioniert nicht. Erfolgskritisch ist auch, den Fokus auf positive Narrative zu setzen: Was hat funktioniert auf unserem Weg? Beschäftigte sollen das selbst erzählen, nicht der Chef in einer Ansprache. (Karin Bauer, 24.5.2024)