Österreich und Dänemark scheinen derzeit zwei Länder auf einem anderen Planeten zu sein. Österreich kämpft seit eineinhalb Jahren gegen eine Wirtschaftsflaute, bedingt durch die hohe Inflation und den starken Anstieg der Zinsen. Die dänische Wirtschaft dagegen wächst robust, zwei Prozent Plus sollen es heuer sein.

Warum Dänemark Teuerung und hohe Zinsen weniger anhaben konnten? Das liegt zu einem guten Teil an einem Unternehmen: Novo Nordisk.

Der Pharmakonzern war mit seiner Spritze Wegovy Vorreiter auf dem Markt für Abnehmmedikamente. Der Appetithemmer dient zur Behandlung von Adipositas und hat Novo Nordisk einen Höhenflug beschert. Der Marktwert des Unternehmens hat sich binnen zweieinhalb Jahren fast verdreifacht und liegt aktuell bei umgerechnet rund 515 Milliarden Euro. Novo ist zum wertvollste europäischen Unternehmen geworden, vor der französischen LVMH-Gruppe, der Luxusmarken wie Louis Vuitton gehören.

Dass Novo kräftig in Dänemark investiert und die Absätze steigert, hat die Wirtschaftsleistung des Sechs-Millionen-Einwohner-Landes befeuert. Ohne die Pharmaindustrie wäre Dänemark zuletzt wie Österreich in einer Rezession gesteckt.

Verkaufsschlager Wegovy.
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Hinter den schimmernden Kennzahlen kämpft der Konzern aber mit einer Reihe von Herausforderungen. In einige davon gab Maziar Mike Doustdar, Executive Vice President des Unternehmens, anlässlich eines Wien-Besuchs am Dienstag Einblicke. Doustdar, dessen Position in Österreich einem Vorstandsmitglied entsprechen würde, verantwortet Marketing und Sales weltweit außerhalb Nordamerikas.

Ein Pieks für weniger Gewicht

Das Unternehmen wurde 1923 gegründet. Rund ein Viertel der Anteile gehört einer gleichnamigen Stiftung über eine zwischengeschaltete Holding, der Rest ist in Streubesitz. Novo ist auf Diabetesmedikamente und seltene Erkrankungen spezialisiert. Wegovy ist aus dem für die Behandlung von Diabetes zugelassenen Medikament Ozempic hervorgegangen. Das verschreibungspflichtige Medikament muss einmal in der Woche verabreicht werden, der darin enthaltende Wirkstoff Semaglutid wirkt im Hirn auf Rezeptoren und zügelt so den Appetit. Den Hype um das Mittel ausgelöst hat die Nachricht, dass laut klinischen Studien bei der Erstzulassung in den USA eine Gewichtsreduktion von zwölf Prozent nachgewiesen wurde – Doustdar spricht von 15 bis 16 Prozent –, während die häufigsten Nebenwirkungen mit Übelkeit und Durchfall relativ moderat sind.

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Der Markt für Abnehmmedikamente wird von Analysten als gewaltig angesehen. Das liegt daran, dass mehr als 2,4 Milliarden Menschen weltweit von Übergewicht oder Adipositas betroffen sind. In den USA sind es sogar mehr als 70 Prozent. Die Verkaufszahlen entwickeln sich jetzt schon gut, und erwartet wird, dass sich die Verkaufserlöse bei Abnehmmedikamenten bis Ende des Jahrzehnts mehr als verachtfachen werden.

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Bisher allerdings beruht der Aktienhöhenflug von Novo Nordisk vor allem auf einer Wette auf die Zukunft. Tatsächlich macht der Konzern bis heute nur einen kleinen Teil seiner Umsätze mit dem Abnehmmedikament Wegovy. Das Mittel ist aktuell neben den USA nur in einer Handvoll Ländern erhältlich, in Europa in nur sieben Staaten, unter anderem in Deutschland und Dänemark. In Österreich gibt es nur das Diabetesmittel Ozempic zu kaufen, dem derselbe Wirkstoff zugrunde liegt.

Unterschätzter Boom

Das liegt daran, dass Novo unter Kapazitätsengpässen in der Produktion leidet. Laut Mike Doustdar sind sämtliche Bereiche betroffen: Es fehle an Verpackungsmaterial ebenso wie an Spritzen und an Rohstoffen für den Wirkstoff. Laut Konzernbericht wurden allein im vergangenen Jahr umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro in neue Produktionskapazitäten investiert. Mit der Nachfrage mithalten kann man dennoch nicht. Ein Startdatum für Wegovy für Österreich gibt es noch nicht, die Einführung einer Tablette, die mehr Ressourcen in der Produktion braucht, musste nach hinten verschoben werden.

Warum die Nachfrage nach dem Produkt unterschätzt wurde? Doustdar nennt drei Gründe: man habe unterschätzt, wie schnell die neue Behandlungsmöglichkeit aufgegriffen wurde, was auch auf den enormen Bedarf hinweist. Die Pandemie habe eine Rolle gespielt, weil plötzlich in mehreren Ländern der Zusammenhang von Übergewicht und schweren Krankheitsverläufen thematisiert wurde. Schließlich Schließlich habe der rege Austausch über Social Media eine Rolle gespielt, wobei Doustdar betont, dass der Konzern keine Prominenten dafür bezahle

Um die eigenen Kapazitäten zu erweitern, kaufte die Novo Holding erst vergangene Woche 60 Prozent der Anteile am Tiroler Start-up Single Use Support. Der Pharmazulieferer erzeugt Produkte, die beim Wirkstofftransport eingesetzt werden.

Ein anderes Problem abseits der Kapazitätsfrage, das dem Höhenflug von Novo entgegenstehen könnte, sind die Kosten. Die Abnehmspritze ist hochpreisig, in Deutschland sind für die ersten vier Wochen um die 170 Euro zu berappen, weitere vier Wochen gibt es für 300 Euro. Da das Medikament als Lifestyle-Mittel gilt, zahlen Krankenkassen in Deutschland im Regelfall nicht. In den USA übernimmt die öffentliche Kasse für Menschen über 65, Medicare, die Behandlungskosten im Regelfall ebenfalls nicht.

Genau diese Darstellung, Fettleibigkeit sei ein Lifestyle-Problem, will Novo Nordsik bekämpfen. "Wir glauben ganz grundsätzlich, dass Adipositas eine Krankheit ist", sagt Vizepräsident Doustdar. "Viele Menschen sagen, dass Leute selbst schuld am Übergewicht sind, weil sie zu viel essen und zu wenig Sport machen. Obwohl diese Dinge eine Rolle spielen, wissen wir, dass es eine genetisch bedingte Erkrankung ist, die dafür sorgt, dass manche Menschen leichter und schneller an Gewicht zulegen als andere".

Zudem versucht Novo, außerhalb des Kernbereichs Zulassungen zu erwirken, damit das Medikament sehr wohl auf Krankenschein erhältlich wird. In den USA wurde soeben ein Teilerfolg erzielt, weil Ozempic bei übergewichtigen Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zugelassen wurde, nachdem in einer Studie festgestellt wurde, das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle in dieser Gruppe durch das Medikament reduziert werden konnte.

Doustdar sieht in Wegovy mehr als nur ein Abnehmmedikament. Wer übergewichtig oder adipös sei, werde öfter krank und fehle öfter in der Arbeit. Ein Eine umfassende Adipositastherapie entlaste in dieser Lesart also auch Krankenkassen und die Wirtschaft insgesamt, weil die Zahl der Krankenstandstage zurückgedrängt werden könne.

Die dritte Herausforderung neben Produktion und Kostenfaktor wird für den dänischen Riesen die wachsende Zahl an Mitbewerben sein. Laut Nachrichtenagentur Bloomberg befinden sich aktuell rund 100 verschiedene Abnehmmedikamente in Entwicklung: Viele Pharmakonzerne versuchen den Erfolg zu kopieren. (András Szigetvari, 22.5.2024)