Bochum-Legionär Kevin Stöger fehlt in Ralf Rangnicks Großkader für die EM.
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Wien – Es gibt in Österreich rund acht Millionen inoffizielle Teamchefs, der offizielle ist freilich Ralf Rangnick, und das ist gut so. Es wäre die schlechteste Laune des Fußballs gewesen, hätte der 65-Jährige dem Buhlen von Bayern München nachgegeben. Rangnick hat auf Bauch und Herz gehört, ist dem ÖFB erhalten geblieben, seit dem 1. Mai herrscht Ruhe und Zuversicht. Nicht bei den Bayern.

Am Dienstagabend hat er seinen Großkader für den EM nominiert, er umfasst 29 Kicker, drei davon werden am 7. Juni extrem traurig sein, sie müssen aus dem Aufgebot gestrichen werden. Der europäische Verband Uefa erlaubt nur 26. Die Regularien besagen, dass jedes Land bis zum Tag des ersten Spiels, für Österreich wäre es das Treffen am 17. Juni in Düsseldorf mit Frankreich, einen Kicker nachnominieren kann. Im Fall einer Verletzung, sofern ein ärztliches Attest vorliegt.

Bei Torhütern gibt es eine Sonderregel, da wäre es möglich, auch später einen Ersatz zu holen. Das ist insofern von Bedeutung, als Standardkeeper Alexander Schlager am Meniskus operiert wurde und nicht dem Großkader angehört. Es wird ein Kampf gegen die Zeit, nach aktuellem Stand gewinnt ihn eher die Zeit.

Sorgenkind Innenverteidigung

Rangnick hatte ursprünglich erwogen, den Großkader eher klein zu lassen. Denn unmittelbar vor der EM sollten die Nerven eher geschont werden, die Spreu hat sich ja längst vom Weizen getrennt. Aufgrund von Verletzungen musste aber erweitert werden. Speziell die Innenverteidigung ist ein Sorgenkind, an den Ausfall von David Alaba aufgrund eines Kreuzbandrisses hatte man sich bereits gewöhnt, diese Trübsal wurde vor Monaten geblasen. Er ist nun Non-playing Captain, ein Teil des Betreuerstabs, ein Bindeglied.

Kevin Danso, Philipp Lienhart und Max Wöber sind rekonvaleszent, haben seit einer gefühlten Ewigkeit kein Pflichtspiel bestritten. Sie trainieren "integrativ", Danso in Marbella, die beiden anderen in Wien. Sie werden an den Spitzenfußball langsam angenähert, es sollte sich ausgehen. Danso ist als Abwehrchef vorgesehen. In der zentralen Verteidigung herrschte einst ein Überangebot, nun ist sie eine Mangelzone.

Mit einigen Personalentscheidungen verblüffte Rangnick. Bochum-Kapitän Kevin Stöger (Mittelfeld) und Bremen-Kapitän Marco Friedl (Innenverteidiger) fanden keine Berücksichtigung. Beide waren in der zweijährigen Amtszeit des Teamchefs nie ein großes Thema. Rangnick gesteht ihnen aber doch Fähigkeiten zu. "Sonst wären sie nicht auf der Abrufliste." Stöger und Friedl werden trotzdem verdächtigt, nicht in Rangnicks System, seine Red-Bull-Philosophie zu passen. Sein Credo lautet: "Ich entscheide mich für jene, von denen ich glaube, dass sie unseren Fußball bestmöglich auf den Platz bringen."

Oft zweite Wahl

Dazu zählen gleich vier Rapidler: Niklas Hedl, Leo Querfeld, Matthias Seidl und Marco Grüll, der ab Sommer Bremer und somit Kollege von Friedl ist. Seidls Formkurve ging wie jene von Rapid in der Gesamtheit steil bergab. Er wirkte ausgelaugt, überfordert. Aber Rangnick pflegt zu wissen, was er tut. Hedl ist der vierte Tormann. Dass ein Debütant, Thierno Ballo vom Wolfsberger AC, einberufen wurde, gilt möglicherweise als Zeichen. Das Nationalteam ist keine geschlossene Gesellschaft. Ballo könnte zu den drei Wackelkandidaten gehören, das gilt auch für Hedl. Florian Kainz, mit Köln eindrucksvoll abgestiegen, schaffte es wider Erwarten in den Großkader.

Völlig unumstritten sind selbstverständlich die Kapazunder Nicolas Seiwald und Christoph Baumgartner. Bei Leipzig waren sie meist nur zweite Wahl, Rangnick hat mit Kollege Marco Rose darüber nicht gesprochen, "weil es mich nichts angeht". Seiwald musste sich hinter Xaver Schlager anstellen. Die Laufmaschine, der Motor des Nationalteams und von Leipzig, riss sich dann das Kreuzband, erst danach bekam Seiwald im Verein mehr Chancen. Rangnick: "Hätte ich drei Spieler nennen müssen, die sich ja nicht verletzen dürfen, wäre Schlager einer davon gewesen." Seiwald soll Österreichs Xaver Schlager sein. Einer der auffälligsten Legionäre war Stefan Posch, der mit Bologna in Italiens Serie A Dritter wurde. Rangnick: "Er spielte großartig, ist voll mit Selbstvertrauen."

Poleposition

Marcel Sabitzer wäre das auch, sollte er am 1. Juni im Wembley mit Borussia Dortmund das Finale der Champions League gegen Real Madrid gewinnen. Konrad Laimer musste in seiner ersten Saison bei Bayern München ziemlich leiden, Rangnick glaubt aber nicht an Spätfolgen. "Er zeigte oft gute Leistungen." Die Tormannfrage bedarf einer Klärung, Patrick Pentz, Stammkeeper bei Brøndby Kopenhagen, liegt auf der Poleposition. Heinz Lindner, von einer Hodenkrebserkrankung geheilt, ist knapp dahinter Zweiter. Rangnick: "Wir wissen, was er leisten kann, er ist hundertprozentig fit."

Verabschiedung

Am 29. Mai beginnt in Windischgarsten die intensive Vorbereitung. Wobei intensiv eine Übertreibung ist, es muss die Balance zwischen Regeneration und Aktion gefunden werden. Am 4. Juni wird in Wien gegen Serbien getestet, am 8. Juni in St. Gallen gegen die Schweiz generalgeprobt. Rangnick wird durchmischen, möglichst viele Spieler einsetzen. Bereits am 6. Juni verabschiedet Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg die Nationalmannschaft. So viel sei verraten: Van der Bellen wird viel Erfolg in Deutschland wünschen. Die Abreise nach Berlin erfolgt dann am 12. Juni. (Christian Hackl, 22.5.2024)