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Man nehme ein monumentales abstraktes Gemälde, beispielsweise Everywhen von Julie Mehretu, entstanden 2021 bis 2023 und derzeit zu sehen in der Serenissima im Palazzo Grassi (danach geht's ins MoMA nach New York); manche zeitgenössischekunstaffine Ösis haben es gewiss schon gesehen. Das also nehme man, lasse einen Rennwagen vorbeidonnern und das Bild, entzückt über so viel artverwandte Attitüde – pure Bewegung und Energie in Einstein'scher Raumzeit – auf diesen Thespiskarren springen.
Verschmelzungsakt
In der Künstlerin Julie Mehretus eigenen Worten: "Ich sah das Modell des BMW M Hybrid V8 vor dem fertigen Gemälde in meinem Studio und überlegte mir, was wohl passieren würde, wenn sich das Fahrzeug durch das Bild bewegen und mit ihm verschmelzen könnte. Jetzt ist das Art Car ein Remix meines Bildes, und es wirkt, als hätte seine Kühlergrill-Niere das Gemälde eingeatmet."
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Die Rede ist von der 20. Kunstkarre – inselsächsisch: Art Car – von BMW, dessen Weltpremiere wurde soeben stilecht und -gerecht im Pariser Centre Pompidou zelebriert, BMW und vielleicht auch die Welt sind um eine Attraktion reicher, möge das die nächste Generation entscheiden, warten wir also erst mal 30 Jahre ab.
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Jedenfalls, dass es dazu kam, entschied sich vor elf Monaten: "Ich habe mein Leben lang Autos geliebt, als Spielzeug, Objekte, Möglichkeiten. Aus dem Grund freue ich mich sehr auf diese Arbeit", kommentierte Mehretu damals den im New Yorker Guggenheim-Museum kundgetanen Beschluss, sie zur nächsten Art-Car-Artistin zu küren.
Harte Realität
Vorab rasch noch ein paar allgemeine Worte. Projektionsfläche Auto: Wie oft hört man von Designern und Automobilherstellern, ihr Fahrzeug sei pure Skulptur, sei Kunstwerk, angewandte Alltagsästhetik im öffentlichen Raum. In der Realität sieht es natürlich triste aus, nur wenigen Fahrzeugen seit dem Benz-Patent-Motorwagen von 1886 ist es plausibel geglückt, von der Nachwelt als echte Kunstwerke wahrgenommen zu werden, die Auswahl im eingangs erwähnten MoMA wäre ein Anhaltspunkt.
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Karren, Kult und Kunst: Der Konnex ist so alt wie die Sache selbst. Denn: Kaum erfunden, war der Wagen nicht nur Gebrauchs-, sondern auch Kultgegenstand. Als Beispiele erwähnt seien der dreiachsige Sonnenwagen von Trundholm aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend – Pferd zieht Sonnenscheibe, auf Rädern mit Felgen – und die Streitwagen-Petroglyphen in Bohuslän aus dem dritten.
Das Auto und die Kunst sind ebenfalls ein altes Gespann. Kaum war das Motormobil aus der Babywiege heraus, schon war es Objekt künstlerischer Überlegungen. Der italienische Futurismus beispielsweise setzte sich enthusiastisch mit den Möglichkeiten des Industriezeitalters auseinander, im Futuristischen Manifest heißt es: "Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen … ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake."
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Logische Konsequenz: Das Auto wird selbst zum Kunstwerk. Damit sind wir zurück bei BMW und den Art Cars, oft genug in Tuchfühlung mit dem Motorsport, sprich: atemberaubendem Tempo, stets flankiert von der Siegesgöttin Nike. Los ging es 1975, als sich der 1976 verstorbene Kinetiker Alexander Calder auf Anregung von Hervé Poulain den BMW 3.0 CSL vornahm. Daraus wurde sozusagen ein Mobile im Wortsinn, und der Hobby-Rennfahrer Poulain fuhr den Wagen dann selbst beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1975.
In der langen Reihe seither waren namhafte Künstler am Werk, Frank Stella, Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Michael Nelson Jakamarra, Ken Done, Matazō Kayama, César Manrique, A. R. Penck, Sandro Chia, David Hockney, Ólafur Elíasson, Robin Rhode, Jeff Koons (der 2022 auch ein auf 99 Stück limitiertes M850i xDrive Gran Coupé gestaltete), John Baldessari.
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Auch ein Österreicher hinterließ seinen phantastisch realistischen Fingerabdruck – Ernst Fuchs "entflammte" das fünfte Art Car, 1982, auf Basis des 635 CSi-Serienmodells, und ebendieses ist aktuell gerade im BMW-Museum in München ausgestellt.
Nach der Südafrikanerin Esther Mahlangu (1991; 525i), der US-Amerikanerin Jenny Holzer (1999; V12 LMR) und Cao Fei aus der Volksrepublik China (2017; M6 GT3) ist Julie Mehretu, 1970 als Kind eines äthiopischen Collegeprofessors und einer US-amerikanischen Lehrerin im äthiopischen Addis Abeba geboren, nun die vierte Künstlerin im erlesenen Club.
Für Mehretu war der White Cube zunächst einmal, sozusagen nach außen gestülpt, der blütenweiße Rennwagen mit all seinen Auswüchsen. Schwierig genug, dem als Ars abscondida beizukommen in Form von Ars adhesiva. Denn umgesetzt werden konnte das eingangs geschilderte Vorhaben nur mit einer aufwendigen Folierung, das Motiv wurde mithilfe eines 3D-Mappings auf die Konturen des Fahrzeugs transferiert.
Die US-Künstlerin arbeitete dabei mit dem deutschen Team Race Spirit um Manuel Eberl und Gertraud Brenninger zusammen – das bereits entsprechende Expertise aus dem 17. Art Car (2010, Jeff Koons) hat.
Am Sonntag (26. Mai) plaudert Mehretu dann mit BMW-Designchef Adrian van Hooydonk noch beim Concorso d'Eleganza Villa d'Este am Comer See über die Entstehung ihres Beitrags, und fertig ist das Art Car dann für sie erst Mitte Juni, wenn das Rennen in Le Mans gelaufen ist.
Damit noch rasch ein Wort zum Fahrzeug selbst, ehe wir mit BMW-Chef Oliver Zipse den Sack zumachen. Langstreckenprototyp BMW M Hybrid V8, 640 PS Systemleistung, 4,0-Liter-V8, vmax: 345 km/h, Länge/Breite/ Höhe; 4,99/1,99/1,20 m, Gewicht: 1030 kg.
Afrika im Fokus
Und schließlich Oliver Zipse anlässlich der Präsentation von Nummer 20: "Wir erweitern das kulturelle Engagement der Art Cars erstmals um ein gesellschaftliches Projekt, um die Kreativität junger Menschen in Afrika zu fördern." Mit panafrikanischen Workshops, die bis 2026 durch verschiedene Städte auf dem Kontinent führen und in einer großen Schau im Kapstädter Zeitz Museum of Contemporary Art Africa enden.
Im Klartext: BMW will sich den afrikanischen Wachstumsmarkt erschließen, nützt dabei auch die unverdächtige, politisch korrekte Kunst- und Kulturschiene. Denn so was ist natürlich kein Selbstzweck in Zeiten, wo man von allem den Preis, aber von nichts den Wert kennt. Hoppla, jetzt hatte doch glatt Oscar Wilde das letzte Wort. (Andreas Stockinger, 22.5.2022)