Ein Porträt von Anton Bruckner mit historisch nicht ganz gesicherter Goldhaube. Das Goderl kommt jedenfalls fix von herzhaften, seines Kollegen Adalbert Stifter würdigen Ess- und Trinkgelagen.
anton pustet verlag

Vor allem in seinem näheren oberösterreichischen Lebensumfeld kann man sich über seine mangelnde öffentliche Präsenz nicht beklagen. Neben etlichen nach ihm benannten Straßen und Plätzen sowie diversen Kirchenorgeln wurde der heuer am 4. September vor 200 Jahren in Ansfelden bei Linz geborene Komponist und Organist Anton Bruckner schon lange zuvor unter anderem auch mit einem Brucknerhaus in Linz sowie der dortigen Anton-Bruckner-Privatuniversität, einem Anton-Bruckner-Centrum in Ansfelden und diversen Plaketten und Gedenktafeln gewürdigt. So wie auch sein vom Lifestyle her ähnlich disponierter literarischer Linzer Kollege Adalbert Stifter wurde Bruckner überall dort, wo er einst einmal einen Fuß durch die Tür gesetzt, übernachtet oder ein Bratl in der Rein verdrückt hat, mit Schildern geehrt.

Wirtshaus ist wichtig

Ob er allerdings einst tatsächlich in Luftenberg an der Donau im Gasthaus Mayerhofer Kegelabende verbracht hat, wie eine von der Trachtenkappelle Luftenberg in Auftrag gegebene Plakette verkündet, beruht einzig auf den handgeschriebenen Erinnerungen eines gewissen Leopold Hauser. Der wurde blöderweise erst 1917 in St. Georgen geboren, also 21 Jahre nach Bruckners Tod. Im offiziellen Gedenkjahr "anton bruckner 2024" wird das nun trotzdem vom Land Oberösterreich mit niederschwelligen Veranstaltungen wie "Bruckner goes Wirtshaus" gefeiert.

Allerdings ist es laut Autor Florian Sedmak gut möglich, dass sich der Komponist im Rahmen seiner diversen außermusikalischen Passionen auch als Kegelbruder verdient machte. Im Buch heißt es dazu: "Er lernte, studierte und übte fanatisch, saß Stunde um Stunde an seinen Kompositionen, trank Kaffee wie andere Wasser, verschlang gigantische Portionen, ließ sich des Abends mit bis zu dreizehn kleinen Bieren volllaufen, betete im Akkord, machte jungen und sehr jungen Frauen fast wahllos Heiratsanträge und zählte, was sich nur zählen ließ."

"Zweibeinige Riesenbirne"

Sedmaks äußerst vergnügliche Verbeugung vor Anton Bruckner nennt sich Dickschädels Reisen. Durch Oberösterreich mit Anton Bruckner. Sie erweist sich in einer anekdotischen Etappenfahrt durch die vom nicht gerade reisefreudigen Tonsetzer besuchten Orte des geliebten Hoamatlands zwischen Klöstern, Nervenheilanstalt, Liedertafeln, Bierschwemmen und illustren Orten wie Bad Kreuzen, Kremsmünster oder Wilhering als Biografie der heiteren Art. Das muss man bei einem Mann, der von Zeitzeugen charakterlich als zumindest verhaltensauffällig, linkisch, plump bis schwierig beschrieben wird, erst einmal schaffen. Zuweisungen wie "zweibeinige Riesenbirne" oder der heute fürs Land unterm Giebelkreuz bestens taugliche Werbespruch "Halb Mostschädel, halb Weltbürger" sind in diesem Sinn noch Komplimente.

opera-inside

Neben seiner umjubelten Tätigkeit als mit Paganini vergleichbarer Orgelvirtuose, der damals die Frauen in den Kirchen zum Dahinschmelzen, aber nie zum Einwilligen in den Bund der Ehe brachte und der verbürgt regelmäßig Orgeln wie etwa jene in Bad Goisern mit seinem exzessiven, Jimi Hendrix, Keith Emerson oder Pete Townshend vorwegnehmenden Spiel "kaputt rockte", also reparaturreif spielte, zweifelte und verzweifelte Bruckner privat auch gern. Das führt man einerseits auf seinen teilweise geringen Selbstwert als Komponist zurück: "Kein Mensch hilft mir. Was soll ich thun?", schreibt Bruckner nach Abschluss seiner 4. Sinfonie Ende 1874 an einen Freund. Der in jungen Jahren auch als Volksschullehrer und Tanzgeiger tätige Eigenbrötler nimmt damit eine gut hundert Jahre später im oberösterreichischen Punkrock dargebotene existenzialistische Haltung vorweg. Sie wurde 1981 von der Linzer Band Willi Warma mit der Vertonung des Gedichts Niemand hilft mir von Konrad Bayer aufgegriffen.

Bruckner rockte als kaiserlicher und königlicher Wiener Domorganist die Orgel auch gern in der Sommerfrische Bad Ischl vor dem hochmögenden Habsburger Herrn höchstpersönlich, etwa im Juli 1890 anlässlich der Hochzeit der Erzherzogin Marie Valerie mit Erzherzog Franz Salvator. Anschließend lud Kaiser Franz Joseph Bruckner zum Dank zum Diner ins Hotel Post ein. In dem wird später im 20. Jahrhundert der große oberösterreichische "White King of Black Blues", Alois Koch alias Al Cook, geboren werden. So geht Geschichte! Alles hängt in diesem Buch mit allem zusammen. Puristen werden entsetzt sein. Entsetzen aber ist die Kernkompetenz von Puristen.

Klatsch und Tratsch

Autor Florian Sedmak stammt selbst aus Bad Ischl. Er war früher Gitarrist und einer der Sänger der dort ansässigen, im Dialekt brüllenden Hardcore-Punk-Band Kurort. Deshalb geht es hier bei zahlreichen im Buch mit Quellcode abrufbaren Hörbeispielen von Bruckner-Kompositionen niederschwellig gelesen gern in das pralle Leben. Dort wohnen die von uns allen geliebten Blutsbrüder Klatsch und Tratsch. Im Zusammenhang mit einer Wanderung Stifters erfahren wir so beispielsweise auch etwas über das damals vom Orden der Barmherzigen Schwestern geführte, berüchtigte Gefangenenhaus in Garsten im Ennstal und dessen Direktor, den heute vergessenen Komponisten Carl Santner – einen von Bruckner wahrscheinlich neidisch beäugten Fixangestellten, der gemeinsam mit dem dort einsitzenden Betrüger und Kirchenmusiker Johann Nepomuk Führer eine Art frühe Form von Elvis Presleys Jailhouse Rock praktizierte. In Erinnerung bleiben einzig Führers Niederlagen gegen Bruckner in diversen Orgelduellen und sein gescheiterter Versuch, 1846 Franz Schuberts Messe Nr. 2 in G-Dur unter seinem eigenen Namen zu veröffentlichen.

Kreuz und quer in knapp 40 Ortskapiteln lesend, kommt man zum Schluss, dass Bruckner auch ein diesbezügliches kulinarisches Schwergewicht wie Adalbert Stifter locker unter den Tisch gerockt hätte. 1854 verdrückt Bruckner als Belohnung für seine vollendete Missa Solemnis in b-Moll im Gasthaus Sperl in Sankt Florian drei Teller Krebssuppe, drei Portionen Lammbeuschl mit Knödeln, Zwetschkenknödel mit doppelter Fruchtfülle sowie Eierfisch aus acht pochierten Eiern. Für sein Lieblingsessen, Geselchtes mit Grießknödeln und Sauerkraut, musste ihm sein Bruder Ignaz das Fleisch aus der heimatlichen Florianer Gegend sogar ins ungeliebte berufsbedingte Exil nach Wien schicken. Prost, Mahlzeit. Zumindest in einer Sache hatte Adalbert Stifter etwas mehr Glück als Bruckner, der 1896 möglicherweise als Jungfrau in die Grube fuhr. Adalbert Stifter hatte glückliche Beziehungen mit Frauen. Nein, nicht wirklich. Just joking. (Christian Schachinger, 26.5.2024)