Neue Streaming-Plattform ORF ON: Start auf allen Plattformen
Mit 22. Mai ist die TVthek des ORF offiziell durch ORF On ersetzt worden. Nicht alles ist dabei besser geworden.
ORF

Das klassische "Büd'lradio" ist schon lange angezählt. Aber auch Nutzerinnen und Nutzer, die lediglich über die TVthek in Kontakt mit dem Bewegtbildangebot des heimischen Rundfunks sind, mussten sich bis vor kurzem mit einer App herumquälen, die ähnlich veraltet war wie ihr Name. Nach knapp 15 Jahren hat der ORF beschlossen, die TVthek in die Gegenwart zu katapultieren, und will damit in eine "neue Streaming-Ära" durchstarten, wie man es selbst gerne bezeichnet. ORF On heißt das neue Angebot und ist am 22. Mai nach einer mehrmonatigen Testphase für alle Endgeräte offiziell ausgerollt worden.

Die Hauptanforderung an die Technik bestand auf Nachfrage beim ORF darin, sowohl die deutlich größeren Content-Mengen zu unterstützen als auch alle Funktionen des neuen User-Interface von ORF On auf den unterschiedlichen Plattformen zu ermöglichen. Dazu gehören angeblich strukturelle Änderungen, unterschiedliche Bildformate, höhere Bildauflösungen, Zweikanaltonfunktionen und vieles mehr. Für das neue Feature ORF Live wurde ein Backend entwickelt, Metadatenimporte automatisiert und die Funktion in den Apps und auf der Webseite implementiert.

DER STANDARD hat einen ersten Blick darauf geworfen, was sich an der finalen Version verbessert hat, was geblieben ist und wo möglicherweise immer noch Defizite festzustellen sind. Vielleicht vorab an dieser Stelle: Einen Anspruch auf Vollständigkeit maßen wir uns in der kurzen Zeitspanne nicht an. Wir freuen uns daher auf Anregungen aus dem Forum, denen wir auch gerne nachgehen werden.

Mehr Inhalte

Wie bereits kurz angedeutet sticht sofort ins Auge, dass das Angebot stark gewachsen ist. Im Vergleich zu November 2023 sind es derzeit rund 4500 Sendungen zusätzlich. Bis zu Jahresbeginn standen rund 200 regelmäßige Sendereihen online zur Verfügung, nun sind es rund 800. Von "Alltagsgeschichten" bis "Zeit im Bild" ist jetzt vieles an Eigenproduktionen in wenigen Klicks erreichbar, was man über die Jahre kennen und schätzen gelernt hat – und sich bislang nur über Umwege nochmal anschauen konnte.

Aber auch nicht alles: Bei der stichprobenartigen Suche aufgefallen, dass nach wie vor nicht alle "Kottan ermittelt"-Folgen verfügbar sind, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen. Hinzu kommen immerhin auch zusätzliche 30 Stunden Live-Programm pro Tag, die bislang aus lizenzrechtlichen Gründen nicht ausgestrahlt werden konnten. Über Qualität lässt sich vortrefflich streiten, das Plus an Inhalten ist allerdings wirklich nicht zu übersehen.

Länger als sieben Tage, vielleicht

Die bedeutendste Neuerung bei ORF On, die ein bisschen mit der erweiterten Auswahl an Inhalten einhergeht, ist die Abschaffung der einheitlichen Siebentagefrist für das Ansehen von Sendungen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass jede Content-Einheit in dieser Hinsicht gewissermaßen eine Überraschungstüte ist. Die Verfügbarkeit einer Sendung kann nämlich stark variieren, wobei die Zeitspanne von einem Monat bis zu einem Jahr oder in manchen Fällen eben doch wieder auf sieben Tage beschränkt ist. Nur bestimmte Dokus und Kinderprogramme sind jetzt komplett ohne zeitliche Begrenzung verfügbar.

In Summe ist das Aufheben der Einheitsfrist dennoch als Verbesserung einzustufen, eröffnet es den Nutzern doch die Möglichkeit, auf eine breitere Palette an Filmen, Serien und Dokumentationen zugreifen zu können. Hinzu kommt ein netter Bonus, den man schon länger gewohnt ist: ORF On bietet das Vorabstreaming vieler aktueller TV-Produktionen bis zu 24 Stunden vor ihrer offiziellen Ausstrahlung an, was der Autor dieser Zeilen beispielsweise regelmäßig für "Willkommen Österreich" in Anspruch nimmt.

Registrierung für Vielnutzer

Neu hinzugekommen ist eine optionale Registrierung, die mit einer weiteren Neuerung verknüpft ist: Inhalte, die für Kinder und Jugendliche (unter 12 Jahren) nicht geeignet sind, stehen von 6 bis 20 Uhr hinter einer Jugendschutzsperre. Wer solche Sendungen untertags konsumieren möchte, muss sich mit einer E-Mail-Adresse über ein Mediakey-Konto registrieren und (einmalig) einen Altersnachweis erbringen, der über ID Austria, Personalausweis- oder Reisepassnummer erfolgen kann – und tatsächlich rasch erledigt ist.

Darüber hinaus ergeben sich zwei weitere Vorteile, sollte man ORF On stärker in Anspruch nehmen wollen: Nutzerinnen und Nutzer können einerseits Favoriten markieren und haben über die obere Menüleiste einen Schnellzugriff. Andererseits lässt sich damit auch die Bundesländerpräferenz (für Nachrichten) einmalig abspeichern. Wer ORF On aber nur hin und wieder verwendet, dürfte nur wenig von einer Registrierung profitieren und kann sich auch einmal die Weitergabe sensibler Daten ersparen.

WebOS und Tizen: Auf dem Weg der Besserung

Aber wie schlägt sich die neue App auf aktuellen Betriebssystemen unterschiedlicher Fernsehmarken? Ein Blick auf WebOS (bei einem LG G3) und Tizen (bei einem Samsung S95D) gibt zunächst einen recht guten Einblick, was sich im Vergleich zur alten TVthek getan hat. Die neue Oberfläche wirkt zwar nach wie vor ein wenig düster, aber immerhin deutlich aufgeräumter als früher. Das typische Kacheldesign weicht je nach Kategorie der Inhalte einem attraktiveren Cover-Look im Hochformat, wenn man vertikal scrollt, und soll wohl ein bisschen Kinofeeling suggerieren. Geschmacksache. Wie im Übrigen die unterschiedlichen Schriftarten, die je nach Perspektive Unruhe, Abwechslung oder Wiedererkennungswert ins Layout bringen.

Auch die Menüleiste am oberen Bildschirmrand sieht strukturierter aus als bei der TVthek. Die selbsterklärenden Reiter Start, Favoriten, Verpasst, A–Z und Live werden von einem etwas unklar formulierten Archiv unterbrochen: Dahinter verbirgt sich eine Art redaktionelles Special, das in unterschiedliche Themenblöcke unterteilt ist und insgesamt eher wie ein störender Platzhalter wirkt. Rechts oben am Bildschirmrand befinden sich die Suche und die Einstellungen für die Personalisierung, sofern man sich angemeldet hat.

Während das Navigieren in der App unter WebOS weitgehend flüssig und die Cursorplatzierung einwandfrei möglich ist, lassen sich unter Tizen deutlich mehr Ruckler feststellen. Zum Nachladen kommt es bei beiden Geräten immer noch – spätestens dann, wenn man den Reiter Verpasst aufruft und die Sendungen der jeweiligen Tage offenbar jedes Mal aufs Neue reingeladen werden. Schneller, aber immer noch langsam in beiden Fällen ist das Aufrufen des Livestreamings, also das Starten des "klassischen" Fernsehens.

Das funktioniert direkt über den Browser am Computer oder am Smartphone wesentlich zügiger, ja fast schon ohne Wartezeit – wenn nicht jedes Mal die nervige Aufforderung für Nutzerinnen und Nutzern auftauchen würde, dass man sich doch registrieren möge, sofern man es noch nicht getan hat. Auch schade, was bei diesem Vergleich auffällt: Ein Tutorial, um sich am Anfang schneller zurechtzufinden oder auch langfristig Hilfestellung zu erhalten, wenn man einmal etwas vergessen haben sollte, wird auch nur dort angeboten. In den TV-Apps sucht man danach vergeblich.

Fortschritte auch auf Chromecast

Unter Android TV – konkret auf einem Chromecast mit Google TV – zeigt die neue ORF On-App zumindest graduelle Verbesserungen im Vergleich zur TVthek. Die Performance der Oberfläche ist eine Spur weniger furchtbar, Hänger und regelmäßiges Nachladen gibt es aber auch hier wieder zuhauf. Auch sonst zeigen sich immer wieder längere Wartezeiten.

Die Oberfläche sieht sehr ähnlich aus wie bei den anderen Varianten, was wohl daran liegt, dass hier ohnehin eine Webview zur Anzeige verwendet wird, also Webinhalt wiedergegeben werden. An einigen Stellen könnte man zwar über die Abstände zwischen den Elementen und auch über Schriftgrößen diskutieren, ganz optimal abgestimmt wirkt das noch nicht. Im Vergleich zur TVthek ist der Status quo aber trotzdem ein echter Fortschritt – selbst wenn die Chromecast-Funktion erst zu einem späteren Zeitpunkt nachgeliefert wird.

Altbekannte Probleme in Bild und Ton

Während man also bei Umfang, Aufmachung und Navigation durchaus frischen Wind verspürt, schläft einem das Gesicht leider wieder ein bisschen ein, wenn man mit der Bildqualität der Inhalte konfrontiert wird. Wird man andernorts schon lange mit der Möglichkeit verwöhnt, Inhalte in höchsten Auflösungen und Standards zu konsumieren, muss man sich bei ORF On mit gewöhnlichem HD-Content zufriedengeben. An der wichtigsten Stellschraube hat man also immer noch nicht gedreht – also auch nicht bei Filmen und Serien, die es woanders in höherer Qualität zu sehen gibt.

Auf Nachfrage heißt es, dass man eine Verbesserung der Qualität bei Framerate und Datenrate bereits prüfe. Für die Zukunft sei geplant, UHD-Streaming für ausgewählte Inhalte einzuführen. Außerdem wird geprüft, ob Nutzerinnen und Nutzern die manuelle Auswahl der Qualität ermöglicht werden kann, sofern dies von den Geräten unterstützt wird. Generell verwende man jedoch den Branchenstandard der adaptiven Bitrate, welcher die Qualität automatisch anpasst.

Noch trüber als beim On-Demand-Programm ist die Situation beim Live-Signal der ORF-TV-Programme, das ausschließlich in 720p gestreamt wird. Einziges Unterscheidungsmerkmal: Ist ausreichend Bandbreite verfügbar, ist die Qualität besser, umgekehrt ist die Videoqualität schlechter, wenn wenig Bandbreite verfügbar ist. Sendungsabhängige Qualitätsstufen gibt es nicht.

Was die gelegentliche Asynchronität von Bild und Ton anbelangt, verweist man am Küniglberg darauf, dass sie schon beim linearen TV schwer zu bändigen sei und beim Streaming noch "zahlreiche Faktoren im Bereich der Videoformaterzeugung oder auch hinsichtlich Endgerätekompatibilität" dazukommen. Kurz: Man sei bemüht, auch hier eine kontinuierliche Verbesserung zu erzielen – das Problem dürfte Nutzerinnen und Nutzer aber offenbar noch länger begleiten.

Was noch kommt

Unabhängig von der (gleich) schwachen Bildqualität, die selbst mit dem Upscaling moderner Bildprozessoren im TV nicht immer schmerzfrei gehalten werden kann, vermisst man leider auch sonst Features, an die man sich bei anderen Streaming-Plattformen schon lange gewöhnt hat. Dennoch: Der ORF betrachtet die Entwicklung von ORF On als kontinuierlichen und dynamischen Prozess. Das Projekt ist zum Glück nicht abgeschlossen und soll laufend weiterentwickelt werden, um die Benutzererfahrung zu verbessern und neue Funktionen zu integrieren, die den Nutzerinnen und Nutzern direkten Mehrwert bieten.

In der nächsten Entwicklungsphase ist beispielsweise die Einführung eines erweiterten Login-Systems geplant, das es den Nutzern ermöglichen wird, Videos genau an der Stelle fortzusetzen, an der sie zuletzt aufgehört haben. Darüber hinaus arbeitet der ORF auch an der Implementierung von Benachrichtigungen, die Nutzer zum Beispiel beim Start von favorisierten Sendungen informieren sollen. Auch personalisierte Empfehlungen, die sich nach dem individuellen Sehverhalten richten und aus dem umfangreichen Programmangebot des ORF schöpfen, sind vorgesehen.

Vor allem aber bleibt trotz spürbarer Veränderungen zu hoffen, dass man künftig auch einer besseren Übertragungsqualität der Inhalte mehr Bedeutung beimessen wird. Denn ansonsten ist selbst das nutzerfreundlichste Interface nicht einmal die Hälfte wert – und der Schritt in eine "neue Streaming-Ära" eher als Stolpern zu bezeichnen. Die Zeit läuft. (Benjamin Brandtner, 23.5.2024)