Ehe Rishi Sunak am Mittwochabend vor 10 Downing Street überraschend die vorzeitige Neuwahl zum Unterhaus verkündete, jagten vielerlei Gerüchte durchs Londoner Regierungsviertel. Angeblich planten rechte Tories eine Rebellion gegen den Chef. Die konservative Regierungspartei hätte dann den Briten in der laufenden Legislaturperiode einen vierten Vorsitzenden und damit auch Premierminister präsentiert. Sollte das Komplott mehr gewesen sein als eine wilde Fantasie, hätte Sunak staatsmännisches Format bewiesen, indem er nun eine rasche Entscheidung an der Wahlurne sucht. Alle Umfragen deuten auf eine krachende Niederlage gegen Keir Starmers Labour Party hin.

Rishi Sunak
Rishi Sunak droht am 4. Juli das Karriereende, jedenfalls als Premierminister Großbritanniens.
AP/Frank Augstein

Der erfolgreiche frühere Hedgefondsmanager und Ehemann einer steinreichen Geschäftsfrau verkörpert die multikulturelle Aufgeschlossenheit des Landes. Die Briten zuckten nicht einmal mit der Wimper, als der in England geborene Sohn indischstämmiger Immigranten das höchste Regierungsamt erreichte. In welcher anderen Demokratie hat die Integration ethnischer Minderheiten in vergleichbar guter Weise geklappt?

Allerdings ist der 44-Jährige, so schien es oft, seit seinem Einzug ins Unterhaus 2015 nie richtig in der Politik angekommen. Öffentliche Wahlkampfauftritte scheinen ihm peinlich zu sein, mit Bürgern ins Gespräch zu kommen gelingt ihm nicht. Von den bekanntermaßen robusten Medienleuten in London zur Rede gestellt, wirkt er schnell gereizt, beinahe beleidigt. Seine Presseleute haben ihm Zettel erarbeitet mit Namen und Fotos jener Journalisten (und der gelegentlichen Journalistin), auf deren freundliche Fragen sich der Konservative bei Pressekonferenzen verlassen kann.

Schweres Erbe

Gewiss musste der Premier im Herbst 2022 ein schweres Erbe antreten. Er wolle für Wirtschaftswachstum sorgen, die damals galoppierende Inflation auf Normalmaß bringen und die Schuldenlast verringern – mit dieser Prioritätensetzung verriet der Finanzpolitiker viel über sich. Gewiss war nach dem Chaos unter seinen Vorgängern Boris Johnson und Liz Truss eine Stabilisierung der siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt essenziell. Von den im Krisenmodus steckenden Schulen, von Johnsons ehrgeizigen Klimazielen, vom dringend notwendigen grünen Umbau der Volkswirtschaft war nicht die Rede.

"Die Wartelisten im Nationalen Gesundheitsdienst verringern", das immerhin traf die Stimmung in der Bevölkerung. Doch auf diesem Politikfeld ist kaum Fortschritt zu verzeichnen. Schließlich wollte Sunak "die Boote stoppen", also den Zufluss irregulärer Zuwanderer über den Ärmelkanal unterbinden. Davon kann bis heute keine Rede sein. Das völkerrechtlich mindestens zweifelhafte Ruanda-Gesetz ebnet zwar der Abschiebung unerwünschter Asylbewerber nach Ruanda den Weg, an die abschreckende Wirkung dieser von Johnson geerbten Politik aber glaubt Sunak offenbar so wenig, dass er zu den Wahlurnen ruft, ehe die Probe aufs Exempel gemacht werden kann und die ersten Flugzeuge gen Kigali abheben.

Sechs Wochen bleiben Sunak, um den Briten plausibel zu machen, warum sie ihr Kreuzchen bei den Tories machen sollen. Nichts deutet darauf hin, dass ihm das gelingen wird. Womöglich will er es nicht einmal. (Sebastian Borger, 23.5.2024)