Warum befinden sich rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien wie die AfD und die FPÖ scheinbar weltweit im Höhenflug? Ein gewichtiger Grund ist ihre Performance auf der Social-Media-Plattform Tiktok. Unter den fünf erfolgreichsten Accounts in Deutschland von Politikerinnen und Politikern ist etwa die AfD gleich dreimal vertreten. Wer glaubt, die Propaganda, die auf der chinesischen Plattform verbreitet wird, einfach zu ignorieren, sei die Lösung, irrt gewaltig.

Hand mit einem Mobiltelefon, auf dem ein Tiktok mit Alice Weidel (AfD) zu sehen ist.
Die Doku "Reclaim – Der Kampf um die Demokratie auf Tiktok" erklärt, wie Rechtsextremistinnen wie Alice Weidel auf der Social-Media-Plattform arbeiten.
Screenshot: Reclaim - Der Kampf um die Demokratie auf Tiktok

Wie groß die Macht demokratiefeindlicher Inhalte auf Tiktok bereits ist, erfährt man in der faktenreichen Doku Reclaim – Der Kampf um die Demokratie auf Tiktok des Digitalverlags Hashtag.

Rechtsruck der Jugend

Unter der Regie von Lisa-Marie Gotsche und der Produktionsleitung von Stefan Apfl sprach ein österreichisches Team mit Expertinnen und Experten, aber auch Politikern wie Miguel Klauß, der für die AfD im Landtag von Baden-Württemberg sitzt. Außerdem analysierten sie aktuelle Umfragen und Statistiken. Bei den unter Dreißigjährigen in Deutschland würden zurzeit etwa 22 Prozent die AfD wählen.

Es gibt auch andere aktive politische Accounts auf Tiktok, die relativ erfolgreich sind, aber niemals an die Reichweite der AfD- und FPÖ-Accounts herankommen: zum Beispiel jene von Neos-Politiker Yannick Shetty, der FDP-Kandidatin für die EU-Wahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, von Heidi Reichinnek, Bundestagsabgeordnete für die Linke, vom CDU/CSU-Abgeordneten zum Europäischen Parlament Christian Doleschal oder von der österreichischen Grünen-EU-Kandidatin Lena Schilling und vom SPD-Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus Orkan Özdemir.

Die Accounts rechtsextremer Parteien können auf Fans älterer rechtsextremer Seiten im Netz zurückgreifen.
Screenshot "Reclaim - Der Kampf um die Demokratie auf Tiktok"

Warum können sie alle den Rechtspopulisten auf Tiktok nicht das Wasser reichen? Auf der Straße konnten linke und liberale zuletzt wesentlich mehr Menschen mobilisieren als Rechtsextreme, etwa bei Demos gegen Faschismus.

AfD-Mann Klauß glaubt, es liege vor allem daran, dass seine Partei einfach schon früher als alle anderen eigene Mitarbeiter für Social-Media-Kanäle beschäftigt habe und deswegen nun vorn dabei sei.

Wer diese Mitarbeiter sind, verschweigt Klauß. Zu einem großen Teil sind es nämlich Aktivisten der Jungen Alternative oder der Identitären, die so ihren Aktivismus indirekt von den Parteien finanziert bekommen. Die Schwesterpartei FPÖ hat die AfD zudem von Anfang an beraten und sich zunächst über Facebook und Youtube, später über zahlreiche rechtsextreme Propagandamedien wie Auf 1 oder Info-Direkt ein Propagandanetzwerk mit schalldichter Echokammer aufgebaut.

Keine Gegenrede

Tiktok-Forscher Marcus Bösch, Soziologe Aladin El-Mafaalani, Radikalismus-Forscherin Julia Ebner, Medienwissenschafter Simon Strick und andere erklären, was es sonst mit dem Erfolg der Rechtsextremisten auf Tiktok auf sich hat: Dass vereinfachte Narrative der Rechtsextremen, die weder Faktencheck noch Gegenrede standhalten, für Kürzestvideos besonders geeignet sind, sei nur ein Teil der Wahrheit.

Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes erklärt, warum die "Neue" Rechte eigentlich alt ist. Auch das Reposten von den immer selben Botschaften, der Einsatz von sogenannten unauthentischen Verstärkeraccounts, die etwa mit irreführenden Namen wie Der Bundestag Inhalte der AfD verbreiten, 24-Stunden-Angebote von Livestreams oder auch die Mischung aus "Hass und Humor", wie es Ebner formuliert, sorgen auch für den Erfolg. Und das auf einer Plattform, wo auch Accounts mit null Followern vom Algorithmus schnell nach oben geschwemmt werden können.

Maggy, Initiatorin von #reclaimtiktok, im Interview.
Screenshot der Hashtag-Doku

Genau diesen Algorithmus nutzen nun auch junge Menschen wie Maggy, die teils aus der Klimabewegung stammen und die Initiative #reclaimtiktok ins Leben riefen. Dort versuchen sie mit aufklärerischen, manchmal unterhaltsamen Beiträgen die Gen Z und auch die noch zur Schule gehende Gen Alpha zu erreichen. Susanne aus Leipzig etwa tut das erfolgreich mit Videos über die Verbrechen der Nationalsozialisten. Sie ist sicher, dass man junge Leute auf Tiktok auch mit Fakten abholen kann: "Die Leute auf Tiktok sind nicht dumm." (Colette M. Schmidt, 27.5.2024)