Ein unerschrockenes Damenquartett sorgt für Aufruhr im Schweizer Emmental und im Kino: Frieda (Annemarie Düringer, li.), Martha (Stephanie Glaser, vorne re.) und Co.

Foto: Filmladen/Lukas Unseld
Wien – Martha (Stephanie Glaser) hat als junge Frau die hohe Kunst des Lingerieschneiderns erlernt. Dann heiratete sie den Greißler aus ihrem Heimatdorf im Schweizer Emmental, bekam einen Sohn, und die Eröffnung der eigenen Dessous-Boutique auf den Champs Elysées wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Nun ist Martha alt, ihr Mann tot und das Dasein als ehrbare Witwe nur bedingt erfüllend. Veränderung tut Not – und weshalb nicht in Zeiten schlecht geschnittener Massenware mit feiner Handarbeit eine Marktlücke füllen? Als Martha beginnt, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, stößt sie jedoch nicht nur bei engsten Freundinnen auf Unverständnis. Auch gegen den vehementen Widerstand von Moralwächtern und Dorfkaisern gilt es sich durchzusetzen. Aber Martha und die Ihren wissen sich zu wehren.

Die Herbstzeitlosen, der zweite Spielfilm von Regisseurin Bettina Oberli, hatte im Sommer 2006 Premiere. Und er läuft seither so erfolgreich in den Schweizer Kinos, dass er sich mit inzwischen an die 600.000 Zusehern zu einer der bestbesuchten Schweizer Produktionen entwickelt hat. Damit zählt er zu den Vorzeigefilmen der Bundesfilmförderung, die sich zuletzt wiederum aufgrund ihrer Erfolgsmaxime mit scharfer Kritik der (Deutsch-)Schweizer Filmszene konfrontiert sah.

Auch Regisseurin und Autorin Oberli warnt im Gespräch mit dem Standard vor einer momentanen Tendenz, Filme zu fördern, die Popularität versprechen und die "kleinen, leisen" Filme nicht mehr zu berücksichtigen. Außerdem sei Die Herbstzeitlosen ursprünglich fürs Fernsehen entwickelt worden und bei der nationalen Filmförderung erst einmal abgeblitzt: "Der Film sollte einmal am Sonntagabend ausgestrahlt werden."

Wenn es überhaupt so etwas wie eine kalkulierbare Keimzelle des nunmehrigen Überraschungserfolges gäbe, dann sei dies allenfalls die glückliche Mischung: Eine sehr konkret und regional verortete Geschichte zu haben (die nach einigem Zögern der Verleiher nun auch außerhalb der Schweiz, mit Untertiteln versehen, das Idiom behalten darf) und zugleich eine Thematik, die dann doch wieder eine gewisse Universalität für sich behaupten kann:

"Das ist auch ein ganz persönlicher Film. In dieser Gegend sind meine Wurzeln, ich kenne diese Leute sehr gut. Anfangs hat mich vor allem gereizt, zu zeigen, dass es mitten in der Schweiz ganz ,exotische‘ Welten gibt." Oder auch, was Positives dabei herauskommen kann, wenn man eine von Rationalität und Pflichterfüllung geprägte Weltsicht hinter sich lässt.

Doyenne im Kino

Zu den sorgfältig ausgewählten Darstellerinnen gehört neben der in ihrer Heimat beliebten Komödiantin und Kabarettistin Stephanie Glaser auch Annemarie Düringer, Burgtheater-Doyenne – mit Schweizer Pass. Zeitgenössische Themen, meint diese, seien dem Theater in den letzten Jahrzehnten ein wenig abhanden gekommen – so schnell wie das Fernsehen könne kein Dramatiker auf aktuelle Ereignisse reagieren.

Andererseits seien beim Film die schauspielerischen Möglichkeiten eingeschränkt: "Wenn eine Szene im Kasten ist, dann können Sie nur hoffen, dass Sie sich darin wohl gefühlt haben. Sie können kaum sagen, das will ich noch einmal machen. Beim Theater kann man viel mehr Einfluss nehmen, wenn man merkt, dass man nicht richtig gefüttert wird." Auf Oberli hält sie jedoch große Stücke. Ob sie selbst noch oft ins Kino gehe? Das Leben der Anderen hat sie sich angesehen, des sehr geschätzten Kollegen Ulrich Mühe wegen. Aber die Säle seien heutzutage oft so klein, "kleine Schachteln", alle würden Popcorn essen – "Es stinkt wie im Hühnerstall!"

Wie sie die Zeit erinnert, als sie in den 50ern beim US-Studio Twentieth Century Fox unter Vertrag stand? "Es war mir sehr bald langweilig!" Die meiste Zeit verging mit Warten und das Beste sei gewesen, dass sie ein Jahr davon in New York leben konnte.

Das kleine Schweizer Dorf Trub erfreut sich übrigens bereits eines gewissen Herbstzeitlosen-Tourismus. Marthas Boutique wird man dort allerdings nicht finden. Die ist in Wirklichkeit eine Schreinerei. (Isabella Reicher /DER STANDARD, Printausgabe, 21.08.2007)