"Deanimated": 2002 löschte Martin Arnold Spielfilmcharaktere aus dem B-Picture "The Invisible Ghost" mit Bela Lugosi. Die Folge: Irritierte Blickbewegungen in absurder Leere.

Filmstills: Arnold
DER STANDARD: Vor dem Hintergrund "menschenleerer" Szenarien in der Literatur ist es ganz erhellend, an eine Installation zu denken, die Sie 2002 für die Kunsthalle Wien gemacht haben ...

Arnold: ... Deanimated hieß sie. Ich habe damals unter anderem Schauspieler aus einem alten B-Picture mit Bela Lugosi, The Invisible Ghost, gelöscht, weil ich sehen wollte, wie das ästhetisch wirkt, wenn in einem Spielfilm keine Personen mehr da sind. Wie schauen dann zum Beispiel die Kamerabewegungen aus? Es verfestigt sich für den Betrachter der Eindruck, die Kamera suche zunehmend irritiert etwas, das verloren gegangen ist. Die Raummuster brechen zusammen, zum Beispiel, wenn sich zwei Personen - Schuss, Gegenschuss - miteinander unterhalten, jetzt aber plötzlich durch Computerprogramme herausretouchiert sind. Die ganze Kameraarbeit und Montage macht plötzlich keinen "Sinn" mehr, oder zumindest nicht jenen Sinn von klaren Verknüpfungen, die man in Hollywood so gerne produziert. Wir haben ein Jahr zu fünft daran gearbeitet, rund 60 Minuten Film auf diese Weise zu bearbeiten und zu löschen. Es war unheimlich aufwändig.

DER STANDARD: Warum sind Menschen von Auslöschungsszenarien derart fasziniert?

Arnold: Ich kann's nur für mich beantworten. Einer der interessantesten Punkte ist wohl: Bleiben vom Ausgelöschten Spuren zurück oder nicht? Im 2. Wiener Gemeindebezirk sind etwa anstelle vieler Gebetshäuser und Synagogen nur Gedenktafeln da, als "Weg der Erinnerung". Und dann versuchen ein paar durchgeknallte Neonazis auch noch diese Tafeln zu zerkratzen und zu löschen ...

Von welchen Wiederholungen erzählen solche Kratzspuren? Oder: Ein Gebäude wird bombardiert, es bleibt nur der Schutt. Ist das jetzt wirklich "weg"?

Ein anderes Beispiel: Auf alten Manuskripten von Schriftstellern - da sieht man Korrekturen, Durchstreichungen, Darübergeschriebenes. Heute ist das völlig eingeebnet. Wenn man am Computer einen Text schreibt und dann was abändert, hinterlässt das überhaupt keine Spuren mehr. Hingegen: Papier, Schreibmaschine, TippEx - da kann man nachvollziehen, dass etwas ausgelöscht worden ist. Man sieht, wie Sätze entstanden sind. Ob die einfach so rausgeflossen sind aus dem Autor oder ob er sie hundertmal umgedreht hat.

Tafeln an Schulen und Universitäten haben mich auch immer fasziniert. Ein Lehrer schreibt was hin, in der nächsten Vorlesung löscht der nächste das ab und sozusagen den Vorgänger aus, aber meistens tut er das beiläufig und sehr schlampig. Der schreibt dann darüber, und dann kommt der nächste und dahinter entsteht eine riesige Kreidewolke, wo der Text verschwindet. Es wird immer verschmierter, immer mehr Spuren kommen dazu, und in der Nacht kommt der Putztrupp und wäscht das Ganze ab, und dann ist alles futsch.

DER STANDARD: Was heißt das jetzt wieder für das Löschen im Film?

Arnold: Zuallererst: Ich brauche immer irgendeinen Hintergrund, sonst kann ich mir die Leere nicht vorstellen. Ich kann mir zum Beispiel ein leeres Restaurant vorstellen, ohne Tische, ohne Sessel, ohne Personen. Ich kann mir auch vorstellen, dass nicht nur die Tische fehlen und die Leute, sondern auch die Wände, das ganze Haus. Aber dann muss ich mir wieder was vorstellen, was da ist - nämlich das Nachbarhaus. Wenn man konsequent weiterlöscht, bleibt irgendwann nur noch Weißfilm. Da wären dann wir sozusagen bei Peter Kubelka und den Weißkadern seines Films Arnulf Rainer.

Was mich auch immer interessiert hat: das Verschwinden von Sprache. Münder öffnen und schließen sich, der Ton hat sich verabschiedet, taucht plötzlich wieder auf. Ich arbeite gerade an einer Installation, wo eine junge Frau über das Injizieren von Insulin spricht. Der Text wird nie ganz hörbar, immer nur in Fragmenten. Zeitweise schlagen verstärkt Verben durch, dann wieder Substantive. Die Frau wirkt traumatisiert, als hätte sie eine Gedächtnisstörung, und das Ganze entsteht nur über das Auslöschen der Sprache. Da war irgendwas, aber das ist nicht mehr richtig da.

Auch in der Psychoanalyse geht man ja davon aus, dass man sich an neurotisierende oder traumatische Erlebnisse nicht mehr erinnern kann, dass aber noch eine Spur da ist, von der ausgehend sich der Rest in der Therapie rekonstruieren ließe.

DER STANDARD: Es scheint dies oft auch ein besonderer Reiz apokalyptischer Zukunftsszenarien zu sein: dass da eine Spur von uns Menschen wäre, und sei es nur die Spur unserer Verfehlungen, die wir jetzt quasi verspätet eingestehen könnten. Was wäre denn für Sie der ultimative Endzeit- und Katastrophenfilm?

Arnold: Was ich reizvoll fände: ein Spaziergang durch die Welt, atomare Wolken im Wind, wobei es immer ins Weiße geht und man der Idee möglichst nahekommt, dass wirklich nichts mehr da ist. Ein interessantes Erlebnis: Wir haben uns vor ein paar Jahren die Niagara-Fälle angeschaut, da kann man hinfahren mit dem Boot, möglichst nahe an die Fälle heran. Plötzlich ist die ganze Wahrnehmung weg. Ein irrsinniges Rauschen und Dröhnen, man sieht auf einmal nur mehr: Weiß. Spritzendes Weiß. Es ist, als ob einem alle Sinne schwinden. Nichts mehr zu sehen, außer dieses weiße, spritzende Wasser und ein riesiges Dröhnen.

DER STANDARD: Das ist eine schöne Assoziation, denn es gibt ja zum Beispiel in Anlehnung an das Fernsehen oft diese Sprachbilder vom "Weißen Rauschen".

Arnold: Ja. Sendeausfall. Zusammenbruch der Informationszufuhr. Das, was einen im wirklichen Katastrophenfall am meisten beunruhigt. Solange die Katastrophe noch live übertragen wird, und man den Einsturz der Twin Towers mitverfolgen kann, gibt es noch Beobachter, Erzähler, Ordnungsinstanzen. Aber wenn plötzlich Bild und Ton ausfallen, steigt die Angst: dass wirklich nichts mehr ist. (Interview: Claus Philipp /ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.09.2007)