"Die Verfilmung von "Das fliehende Pferd" war für Martin Walser "eine Riesenüberraschung, ein Happyend: Wie vital dieser Film ist! Das hat so eine Feinheit, so etwas kannst du nicht schreiben."

Foto: Peter Peitsch
Standard: Herr Walser, Ihre Novelle um den Konkurrenzkampf zweier Ehepaare während eines Bodensee-Urlaubs wurde nicht zum ersten Mal verfilmt. Schon 1985 gab es einen TV-Film "Ein fliehendes Pferd".

Martin Walser: Erinnern Sie mich nicht daran. Der grauenhafte Fehler der ersten Verfilmung war, dass sie meine Novelle geplündert haben, weil das erfolgreiche Sätze vom Walser waren. Prosasprache ist aber nicht Filmsprache. Die Sätze brauchen eine ganz andere Temperatur.

Standard: Also waren Sie skeptisch, was die neue Verfilmung anbelangt.

Walser: Ich kannte ja den Regisseur nicht. Die haben mir vier DVDs geschickt, von denen mir zwei sehr gut gefallen haben. Die eine war Einer meiner ältesten Freunde nach einer Geschichte von F. Scott Fitzgerald, das hat der Kaufmann mühelos als einen Film aus der Gegenwart gemacht. Mir war klar: Der kann's. In der neuen Verfilmung ist nur manchmal ein Satz aus meiner Novelle, das genügt.

Standard: Haben Sie am Drehbuch mitgearbeitet?

Walser: Ein wenig. In die Dramaturgie habe ich ihnen nicht viel reingeredet, aber die Dialoge habe ich den Figuren noch besser in den Mund gepasst, weil ich sie ja lang genug kenne. Insgesamt ging das alles schmerzlos. Aus Gewohnheit hatte ich aber keine besonderen Hoffnungen.

Standard: Und dann haben Sie den Film gesehen.

Walser: Und es war es eine Riesenüberraschung, ein Happyend für mich. Wie vital dieser Film ist, wie viel dieser Regisseur mit diesen Schauspielern durch Gesichter erzählt. Das hat so eine Feinheit, so etwas kannst du nicht schreiben. Ich bilde mir ein, ich habe noch nie so erzählerische Gesichter von Schauspielern gesehen. Der Tukur, der Noethen, die Riemann und auch diese junge Petra Schmidt-Schaller, das sind lauter Glücksfälle. Die spielen eine Tischtennisszene so, als würde Strindberg Regie führen.

Standard: "Ein fliehendes Pferd" wird nicht zu Ihren politischen Büchern gezählt, aber es ist ein eminent gesellschaftskritisches. Gilt das vor 30 Jahren Geschriebene heute noch?

Walser: Die Gesellschaftskritik hat mir damals ja keiner geglaubt. 1976 hatte ich einen kleinen Roman, Jenseits der Liebe, das war ein schmerzlicher Roman eines Angestellten gegen seinen Chef, der mit Selbstmordversuch geendet hat. Das hatte seine Gesellschaftskritik im Gesicht stehen. Bei Ein fliehendes Pferd haben viele gesagt, das sei nun ein ganz privates Buch. Ich habe geantwortet, und würde es immer noch tun, wenn zwei Männer in eine solche Konkurrenzsituation kommen, dann stellen sie mit jeder Bewegung die Ursachen dar, die so etwas in der Welt hat. Die Wettbewerbsgesellschaft ist da doch überall drin.

Helmut Halm ist ein Lehrer, der jeden Tag vor Schülern aus sich herausgehen soll. Dadurch nimmt in ihm das Bedürfnis zu, sich zu verbergen. Er hat die Nase voll davon, einen Schein zu produzieren. Das hat er im Prinzip mit allen anderen Berufen gemein, denn kein Mensch darf sich geben, wie er wirklich ist. Der Klaus Buch will ihm diesen Schein zerhauen. Er will ihm die Maske abnehmen, bemerkt aber nicht, dass Helmut die Maske längst zum eigenen Gesicht geworden ist. Das war ein Anlass, und das ist ein Anlass geblieben.

Standard: Ihre Novelle wurde als Verteidigung des Kleinbürgerlichen interpretiert.

Walser: Hören Sie mir mit dem Kleinbürger auf, das ist Soziologendeutsch. Ich gebe zu, ich habe dieses Wort eine Zeit lang, als man sich in Diskussionen nur so auszudrücken hatte, leider auch in den Mund genommen. Aber es ist ein solcher Quatsch, lassen wir's ruhen. Warum ich das geschrieben habe, weiß ich noch sehr genau. Dazu ist Geschriebenes da, dass man später weiß, was damals war. Ich habe mich durch so ein Buch-Ehepaar in meinem Bekanntenkreis angegriffen gefühlt in meiner Lebensart, Denkart, Geschmacksart. Deshalb habe ich angefangen, das zu schreiben, als Verteidigung meiner Lebensart.

Standard: Ein schönes Bild für Helmuts Zustand ist, wie sehr er es genießt, in seinem Ferienhaus hinter Gitterstäben zu leben.

Walser: Ich habe auch ein Zimmer mit solchen Gitterstäben hier im Haus. Man ist immer abhängig von solchen wirklichen Details. Wenn du schreibst, entdeckst du plötzlich Dinge, dann wird die ganze Welt zum Zulieferer. Das sind lauter Zuliefererbetriebe für mein Schreibauto.

Standard: Sie haben einen Goethe-Roman angekündigt, "Ein liebender Mann". Wie wurde Ihnen der zugeliefert?

Walser: Ich habe über Goethes Leidenschaft für die 55 Jahre jüngere Ulrike von Levetzow ein Buch geschrieben. Über diese Frau gibt es nur dürftige, lächerliche Meldungen. Wenn das Ulrike war, dann spinnt der Goethe, wegen der braucht er keine Marienbader Elegie schreiben. Ich habe ihm jetzt eine Ulrike gemacht, die wär's, die hätte ich ihm gegönnt. Ich war angesteckt von Goethes Leidensqualität, bin es immer noch. Ich habe sogar Briefe von ihm an Ulrike geschrieben.

Standard: Als Goethe?

Walser: Verrückt, nicht? Aber, mein Lieber, für die kann er dankbar sein. Ohne jede Imitation, ohne jeden historistischen Quatsch. Ich habe gewusst, ich bin so drin, dass alles, was ich jetzt schreibe, ganz genau stimmt. Vor Kurzem war ich im Goethe-Haus in Weimar. Da hat einer den erstaunlichen Satz gesagt: Herr Walser, so ein Buch erwartet man von Ihnen. Ich habe nicht nachgefragt, warum. Weiß der Teufel, was er alles gedacht hat, aber ich empfand diesen Satz wie eine Ermächtigung.

Standard: So gut können Ihre Sätze gar nicht sein, dass nicht Kritiker kommen werden, die sagen: Jetzt spinnt er, der Walser - er glaubt, er sei Goethe.

Walser: Ja, das wird noch lustig. Es kommen bei mir Wörter vor, die sage ich jetzt nicht. Aber ich würde mit Ihnen jede Wette machen, 90 Prozent aller Kritiker werden sagen, diese Wörter hätte er nun wirklich weglassen können, die gab es nicht bei Goethe. Aber da sind 1827 im Gespräch Wörter wie von heute gefallen. Ich bin momentan noch so drin in diesem Buch, ich weiß gar nicht, wie ich wieder herauskommen soll. Solange ich schreibe, bin ich glücklich. Wenn ich geschrieben habe, ist nix. (blickt auf den Bodensee) Höchstens Schwimmen, das hilft auch. Schreiben oder Schwimmen. (Sebastian Fasthuber, DER STANDARD/Printausgabe, 22./23.09.2007)