Der Eingang zur Kirche im Rila-Kloster.

Foto: bulgarianmonastery.com

Die Kirche im Rila-Kloster.

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Einer der über 180 alpinen Seen im Pirin Nationalpark.

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Ein wenig Hitze kann nicht schaden. Im Gegenteil. Eher steigert sie den Genuss der köstlichen Tropfen - so wie das ja auch der Wildbach tut, der sich neben dem schmalen Sträßchen Richtung Kloster schlängelt. Perfekt für Bachforellen ist der unregulierte Fluss - fangfrisch werden sie am Ufer serviert - und bestens geeignet, den Durst nur noch weiter zu steigern.

So versprechen die festungsartigen Mauern des bulgarischen Rila-Klosters, die endlich abrupt hinter Platanen auftauchen, zunächst einmal Erlösung: Sauber und kalt ist das köstliche Wasser, das hier in kleine Steinbecken spritzt, und kein bisschen zu weich. Wie man es schlürft, spielt dabei keine Rolle. Bedächtig und auf Pilgerart etwa, mithilfe der angehängten Schöpfkellen, die im marmorweißen Schatten der Klostermauern schimmern. Oder einfach frisch aus den gewölbten Händen heraus, die Augen dankbar Richtung Himmel verdreht, vielleicht aber auch nach unten, zum glatt gespülten Marmorboden hin, wo einzelne Münzen blinken. Als ob man derart herrliches Gebirgswasser bezahlen könnte!

Nicht vorbeirauschen!

Dennoch bescheren die köstlichen Bächlein des Rila-Gebirges den meisten Besuchern wohl eher eine Art Hintergrundrauschen - beansprucht doch das berühmte Kloster die ganze Aufmerksamkeit. Bulgariens Show-piece in Sachen Unesco-Weltkulturerbe ist den kurzen Abstecher von der südlich von Sofia verlaufenden E79 allemal wert. Das verrät, neben der herrlichen Lage inmitten dichter Buchenwälder, auch ein näherer Blick auf die Details des Nationalheiligtums. Bereits im zehnten Jahrhundert hatte ein Eremit die Ausläufer des Rila-Gebirges als Rückzugsort gewählt. Später entstandene Erker und Balkone prägen nun die Architektur, und die 24 Meter hohen Außenmauern versprachen noch Bulgariens letztem Zaren, Boris III., ausreichend Ruhe - und zwar die letzte.

Doch das Rila-Kloster erzählt auch von den sinnlichen Facetten des Lebens. Freunde archaischer Kulinarik kommen etwa in der, seit 1817 unverändert gebliebenen, Klosterküche auf ihre Rechnung. Ein sakrosankter Comicstrip, bei dem leidende Mienen die Sprechblasen ersetzen, überzieht indessen die Wände der zentralen Basilika. Seit dem 14. Jahrhundert sprechen die Wandmalereien der kalkweiß erblassten Sünder in der üblichen christlichen Zeigerfinger-Rhetorik zu Bulgariens einst illiteraten Bauern.

Die wahre Verfehlung, auf die das Rila-Kloster verweist, wäre heute aber eine andere: Nämlich der leichtfertige Abbruch der Landpartie durchs südliche Bulgarien. Quietschgrün ist das Land, schon gar für südosteuropäische Verhältnisse, und je weiter man sich an die Falten des angrenzenden Rhodopen-Gebirges heftet, desto uriger werden die mit Schieferdächern gedeckten Häuser, deren oben auskragende Erker auf die historische Nähe zum osmanischen Erbe verweisen.

Kein Teilchen fehlt

Störche auf Telegrafenmasten, Farne hinterm alten Lattenzaun, gähnende Kätzchen am Brennholzstapel, die flauschigen Ohren der den Fuhrwerken vorgespannten Eselchen - so sehen elementare Puzzleteilchen dieses ländlichen Bildes aus. Und nicht zu vergessen: jene gute Dosis Räuber-Hotzenplotz-Charme, die den engen Schluchten eine eigene Note verleiht. Ihre Weite beziehen die Rhodopen von blumenreichen Wiesen und ganz allgemein von einer Gegend, die sich von der Grenze Mazedoniens, und unmittelbar nördlich der griechischen Provinz Thrakien bis zur Türkei hinüberzieht, und in der sich Spuren all dieser Kulturen seit Jahrhunderten überlagern.

So stark wirkt das ländliche Idyll, dass man im Brennnesselbett vor sich hin rostende Autowracks, oder die neben historischen Steinbogenbrücken verlaufende Eisentraverse anstandslos akzeptieren möchte. Dem prinzipiellen Gefühl, hier einem Guckloch ins neunzehnte Jahrhundert einzusehen, kann solches Treibgut industrieller Realität nicht viel anhaben. Es sei denn, sie fallen so massiv aus, wie an den wenigen boomenden Orten der Region.

Bansko, ein Gateway zum Pirin Nationalpark, mag mit seinen protzigen Skihütten so eine Ausnahme bilden. Und das gilt auch für den weiter östlich gelegenen Rhodopen-Skisportort Pamporovo, wo der Wintertourismus, und die damit entstanden Liftpfeiler-Alleen die üblichen kahlen Schneisen geschlagen haben.

Tulpen im Exil

Reizvoller als die rund um die höchst gelegenen Skigebiete des Balkans aus dem Boden gestampften Sporthotels sind freilich die vielen stillen Winkel. Dafür sorgt die Natur, die den Rhodopen, neben zerfurchten Berggipfeln, verträumten kleinen Teichen und dichten Nadelwäldern wahre Raritäten beschert. Haben sich seit dem Ende der letzten Eiszeit doch etliche Pflanzen in ein exklusives Südbulgarien-Exil zurückgezogen. Die Rhodopentulpe, eine der seltensten Pflanzen der Welt, ist das bekannteste Beispiel dafür. Leichter als deren rosafarbene Blüte entdeckt man indessen die schiere Vielfalt: Dem Pirin-Nationalpark bescheren etwa aus 1100 Pflanzenarten gewobene Blütenteppiche Unesco-Weltnaturerbe-Status. Geschützt werden aber auch die besonders intakten Rhodopendörfer selbst.

Längst sind sich Denkmalamt-gewürdigte Steinhäuser-Ensembles wie Shiroka Luka bei Pamporovo oder Kovacevica ihrer herausragenden Freilicht-Musealität bewusst. Davon zeugen, neben behutsamer Restaurierung, auch die dicken Autos mit Sofioter Kennzeichen. Und ein Blick auf die, zwischen Lattenzaun und Holzbalkon aufgepflanzten Aquarell-Staffeleien heutiger Gäste: Grau leuchtende Schieferdächer sind darauf zu sehen. Dazwischen Malvenstauden in Gärtchen von Rousseau'schem Zuschnitt. Und, hält sich der Hobbymaler detailgetreu ans reale Bild, Wellness-Zubauten neueren Datums, die den Rhodopendörfern eine neue Ära simulieren. (Robert Haidinger/Der Standard/Printausgabe/22./23.9.2007)