Palmers-Entführer Thomas Gratt bei seiner Gerichtsverhandlung mit Grußbotschaft an die Genossen ...

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... und mit Rotweinglas in Alexander Binders und Michael Gartners Dokumentarfilm "Keine Insel", 30 Jahre später.

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Die Perspektive geben die damaligen Täter vor.

Wien – Nicht nur der Deutsche Herbst, jene durch den linksradikalen Terror der RAF ausgelöste Krise des deutschen Rechtsstaats, jährt sich in diesem Jahr zum 30. Mal. Auch in Österreich gibt es einen – mit weit weniger Aufmerksamkeit bedachten – Jahrestag einer politisch motivierten Gewaltaktion. Zumindest 1977 reichte sie aus, um das Image des Landes als "Insel der Seligen" zu erschüttern. Mit der Entführung des Industriellen Walter Michael Palmers hatte Österreich kurz Anschluss an ein internationales Phänomen gefunden, vom dem es bis dahin verschont worden war.

Der Dokumentarfilm "Keine Insel – Die Palmers Entführung 1977" versucht sich in einer Rekonstruktion dieser Tat und der Motivationen der daran beteiligten Personen, der damaligen Studenten Thomas Gratt, Othmar Keplinger und Reinhard Pitsch. Die Perspektive ist somit jene der Täter: eine schon deshalb bedeutsame Entscheidung, als damit nicht nur die Frage nach dem Geschehen, sondern auch die viel umfassendere nach den jeweiligen politischen Prägungen und zeithistorischen Bewegungen gestellt ist.

Geschichtsverhalten

Schon an den Darstellungen der RAF in Film und Fernsehen – vom Kollektivfilm "Deutschland im Herbst" über Heinrich Breloers TV-Dokudrama "Todesspiel" bis zur gerade fertig gedrehten Bernd-Eichinger-Produktion "Der Baader Meinhof Komplex" – zeigt sich besonders markant, wie jede dieser Arbeiten das Verhältnis zur Geschichte neu formuliert und sie umformt – bis hin zur Einverleibung als Pop.

Alexander Binder und Michael Gartner – über den Status des Regisseurs gibt es mittlerweile einen Rechtsstreit – halten sich mit solchen Einkleidungen des Themas zurück. Sie richten ihr Augenmerk auf die Protagonisten in kargen Settings und erstellen eine Montage aus Interviewpassagen, aus denen sich eine Chronologie der Ereignisse ergibt: von linken studentischen Aktivitäten und der Sensibilisierung durch internationale Ereignisse über die Bekanntschaft mit Mitgliedern der RAF-nahen "Bewegung 2. Juni" bis hin zur schließlichen Entführung.

Die Reduktion auf die Tätergruppe bewirkt jedoch, dass sich der politische Raum, in dem sich eine solche Idee erst entwickeln konnte, nach innen faltet. Nur bedingt treten gesellschaftspolitische Kontexte hervor, die für das Aktivwerden von Gratt, Keplinger und Pitsch mitverantwortlich waren. Archivmaterial, ob es heimische Verhältnisse oder jene in Deutschland betrifft, kommt so sparsam zum Einsatz, dass sich das Umfeld kaum abzuzeichnen vermag.

Keine Insel ist daher eher in jenen Momenten interessant, in denen der Gestus der Beteiligten gegenüber der Tat und der eigenen Vergangenheit zutage tritt. Bei Gratt, der im Jahr 2006 seinem Leben ein Ende setzte, hat man am deutlichsten den Eindruck, dass er seine Überzeugungen beibehalten hat und trotz des unrühmlichen Ausgangs eine Art von Wehmut an den Tag legt, nicht für größere Aktionen als für diese "Geldbeschaffung" auserkoren gewesen zu sein. Wunsch und Wirklichkeit liegen weit auseinander.

Vor allem im Vergleich zur mitbeteiligten Deutschen Gabriele Rollnik wird dann offensichtlich, dass die Österreicher ihre Rollen nie so selbstverständlich auszufüllen vermochten. Die Palmers-Entführung wirkt noch in der Rekapitulation wie die Probe einer Nachahmung – mit all den charakteristischen Fehlern. Zu welchem Zeitpunkt Sympathie zu Handlungsbereitschaft wird, das vermag "Keine Insel" aber nur in Ansätzen zu vermitteln. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.9.2007)