Machen Sie eine typische Handbewegung: "Mittagsjournal"-Moderatorin Petra Schönbacher bittet um den Einsatz. Es folgt akrobatische Moderatorinnenkunst.

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15 Sekunden vor zwölf: "High Noon" für Moderatoren.

Bei der Frühkonferenz besprechen die Journalisten der ORF-Radios die Themen des Tages.

Im Grunde genommen ist es eine Handbewegung, die garantiert, dass die Ö1-Journale so perfekt funktionieren, wie sie das tun. Wenn der Moderator die Einleitung zum Beitrag fertig gelesen hat, kommt sie zum Einsatz: Petra Schönbacher hebt die Hand und schreibt mit gestreckten Zeige- und Mittelfinger einen kleinen, flinken, in seiner Beiläufigkeit höchst eleganten Kreis in die Luft. Regisseurin Andrea Maiwald und Tonmeister Fritz Matzel auf der anderen Seite der Glasscheibe wissen Schönbachers Geste wohl zu deuten: Es geht los.

In Wahrheit ist es das wieder und wieder zu setzende Startzeichen für einen Feuertanz, der täglich ab zwölf Uhr eine geschlagene Stunde dauert. Das Mittagsjournal: "Petra Schönbacher führt Sie durch die Sendung. Herzlich willkommen! Wir berichten heute über folgende Themen ..."

Wie Fallschirmspringen mit anschließendem Lauf über glühende Kohlen ist zu vergleichen, was sich da unbemerkt von informationshungrigen Ö1-Hörern abspielt: Die "Journal"-Moderation geht mit Fug und Recht als Königsdisziplin im Journalismus durch.

Dabei laufen die Vorbereitungen geradezu beschaulich an. "Auch dieser Tag wird vorübergehen", seufzt die Ö3-Kollegin drei Stunden zuvor: Punkt neun beginnt im Newsroom des ORF-Funkhauses in der Argentinierstraße die große Morgenkonferenz. Rund zwanzig Journalisten lassen sich am ovalen Tisch nieder, über Video sind die Ö3-Kolleginnen zugeschaltet, die angesichts mageren Themenangebots auf ein rasches Ende dieses 12. September 2007 hoffen.

Drei Konferenzen

"Wenn der japanische Premier Abe nach einem halben Jahr zurücktritt, ist das bitte schon eine Sendung." Radio-Chefredakteurin Bettina Roither übt Manöverkritik zur Sendung von gestern. Hartmut Fiedler nickt neben ihr kurz und schuldbewusst. Drei Konferenzen halten die Radiomacher pro Tag im Newsroom ab, um neun Uhr, 14.15 und um 18.30 Uhr – gleich nach dem "Abendjournal". Die Stimmung ist entspannt, man kennt sich, traut oder misstraut einander in routinierter Gewohnheit. "Wir haben ein gutes Betriebsklima", erklärt Ö1-Infochef Luis Glück. Das habe mit fehlender Bildschirmpräsenz zu tun: "Uns erkennt niemand im Supermarkt. Die Egos sind nicht so groß wie im Fernsehen", erklärt der 60-Jährige.

11.56 Uhr, auf dem Menüplan der Kantine stehen Gulasch, Hühnerschnitzel und Pangasiusfilet. Petra Schönbacher sitzt in der Moderatorenkabine: "Hoffentlich hab ich keinen Blödsinn geschrieben." Drei Minuten vor Beginn sind genau fünf Beiträge fertig. Käme nichts hinzu, wäre das Journal um 12.20 Uhr zu Ende. Dieser Notstand kümmert hier niemanden: Noch geht es um die Frage: "Mit welchem Thema machen wir auf?" Michael Csoklich berichtet von den Meinl-Ermittlungen, Barbara Krommer steuert Reaktionen bei. Beide Beiträge sind noch nicht da. Also doch Euro-Höchststand. Drei, zwei, eins, Journalmelodie: "Petra Schönbacher führt Sie durch die Sendung ..."

Schichtbetrieb

Im Schichtbetrieb wechseln einander die Moderatoren Hubert Arnim-Ellissen, Udo Bachmair, Eva Haslinger, Werner Löw, Andrea Maiwald, Daniela Nikolay, Christl Reiss, Petra Schönbacher, Heinz-Christian Theiretzbacher und Agathe Zupan ab. Zudem muss jeder Moderator, wenn er nicht vor dem Mikro sitzt, ans Regiepult. Je sieben Journale liefert Ö1 werktags zwischen sechs und 22.00 Uhr, in den Nachtstunden übernimmt der Sender von Ö3.

"Ich moderiere lieber", erzählt Andrea Maiwald. "Dann bin ich nur für mich verantwortlich." Jetzt aber eben nicht. Schönbacher leitet mit Fingerdreh die Geschichte über den Euro ein, will über Sprechanlage von Maiwald wissen, wo Csoklichs Beitrag ist. "Schon da!" – "Super!" Das findet der Wirtschaftschef leider nicht: Er ist beleidigt, weil nicht er Aufmacher wurde, schließlich habe er es doch auf die Sekunde geschafft, meckert er übers Telefon.

Das "Mittagsjournal" ist mit durchschnittlich 200.000 Hörern zweitstärkste Nachrichtensendung auf Ö1, nur das "Morgenjournal" um sieben Uhr erreicht knapp 50.000 Hörer mehr. Bettina Roither unterzog die Journale im vergangenen Juni einem sanften Relaunch: "Wir stehen unter dem Druck der Printlandschaft, die stärker auf Hintergrundberichte setzt", erzählt Luis Glück. "Wir müssen noch aktueller werden."

12.04 Uhr, Schönbacher sagt Meinl an, Krommer schafft es nicht rechtzeitig. Maiwald flucht leise. Was den Journalistinnen als großes Unglück erscheint, ist dem Zuhörer nur zu verständlich: Da ist eine Sendung, die so aktuell ist, dass sogar noch während der Ausstrahlung eingeschoben wird. Besseres Zeugnis von Aktualität kann es gar nicht geben. Nicht für die diensthabenden Medienarbeiter. Sie sind geknickt. Was den Reiz dieses unglaublich fordernden Jobs ist? "Wahrscheinlich sind wir Adrenalinjunkies", wird Schönbacher später sagen.

Rosige Zeiten

"In dem Maß, in dem die Interventionen abgenommen haben, hat das Selbstbewusstsein der Journalisten zugenommen", erzählt Glück von rosigen Zeiten für unabhängigen Journalismus. Was bei beständig kolportierten Sparplänen ebenso hilft. Gerüchte, dass die nächste Welle ansteht, halten sich hartnäckig. Glück bleibt unbeeindruckt: Ö1-Chef Alfred Treiber sei "optimistisch, dass der Kelch an uns vorübergeht".

"Welcher Beitrag kommt jetzt?" Der Tonmeister wird unruhig. "Nicht hektisch werden", beruhigt Maiwald. Sie ist seit 3.30 Uhr auf den Beinen, hat schon um sieben moderiert. 12.31 Uhr. Endlich ist der zweite Meinl-Beitrag da. 12.44, mittlerweile eingetroffen sind: Darmentzündung, Fußball und Albertina-Ausstellung. Mit vier Minuten Kurznachrichten stellt sich 15 Minuten vor Schluss das umgekehrte Problem: Die Zeit wird knapp.

"Schneller, Petra!", feuert Maiwald an, die darf ihre Sprechgeschwindigkeit aber nicht merkbar steigern. Schließlich das Handzeichen, 12.56 Uhr: Andreas Jölli liest in der Kabine nebenan die Schlussnachrichten. Schönbacher verabschiedet sich, Musik, Schluss, aus. "Der Anfang war missglückt", resümiert Schönbacher streng. "Du hast dich tapfer geschlagen", tröstet Maiwald. Junkies unter sich. (Doris Priesching/DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2007)