Der Kanzler und sein Jubiläum: Vor einem Jahr protestierte die Parteijugend, jetzt lauscht sie brav im Hintergrund.

Foto: Urban

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Ausweg dürfe nicht in die "Haxlbeißerdemokratie" führen - Gusenbauer: "Im Jahr 2010 sollte Österreich ein Land sein, das endlich wieder zu seiner Mitte gefunden hat."

Foto: EPA/Federico Gambarini
Ein Jahr nach dem Wahlsieg vom 1. Oktober feiert die SPÖ sich und ihren Parteichef. In seiner Rede zum Jubiläum wirbt Alfred Gusenbauer mit einem Modell aus vergangenen Tagen: Der Bundeskanzler will Österreich wieder zur „Konsensdemokratie“ machen.

* * *

Wien – Alfred Gusenbauer dreht der Jugend den Rücken zu. Adrett und artig sitzen die Nachwuchsgenossen in Dreierreihe hinter dem Rednerpult und applaudieren dem Bundeskanzler. Kein Vergleich zur wilden Dissidentenschar, die vor nicht langer Zeit wegen gebrochener Wahlversprechen gegen den eigenen Parteichef demonstrierte.

Doch für (selbst)kritische Töne ist "an einem Tag wie heute" (Nationalratspräsidentin und Gastgeberin Barbara Prammer) kein Platz. Im Budgetsaal des Parlaments feiern rote Abgeordnete und Funktionäre den ersten Oktober, an dem die SPÖ vor einem Jahr die Wahlen gewann. Nach einem Einleitungsfilmchen im Stil einer Belangsendung tritt der Kanzler vor die Menge.

"Unerwartet" sei es gewesen, dass da "einer Bundeskanzler geworden ist, dem viele das nicht zugetraut hatten", eröffnet Gusenbauer – und setzt erst einmal mit Erwartbarem fort. Als "einzigartige Leistung", auch der Regierung, qualifiziert er die Entwicklung der Arbeitslosenquote, die in den letzten 20 Jahren nie "so stark gesunken" sei wie im Jahr 2007.

Ab durch die Mitte

Auf einen selbstgebastelten Begriff à la "solidarische Hochleistungsgesellschaft" lässt sich Gusenbauer diesmal nicht ein, um seine Vision zusammenzufassen. Stattdessen legt er sich auf ein Modell fest, das bereits als ausrangiert galt. Er wolle Österreich wieder zur "Konsensdemokratie" machen, verspricht der Kanzler und spendet den Sozialpartnern demonstrativ Lob. In den schwarz-blau-orangen Jahren sei das Land vom Konflikt geprägt worden, der Ausweg dürfe nicht in die "Haxlbeißerdemokratie" führen. Gusenbauer: "Im Jahr 2010 sollte Österreich ein Land sein, das endlich wieder zu seiner Mitte gefunden hat."

In welche Veränderungen dieser Mittelweg führen soll, lässt Gusenbauer weitgehend offen. Beispiel Zuwanderung: "Ab einem gewissen Zeitpunkt macht es keinen Sinn, gut integrierte Menschen abzuschieben", stellt der Regierungschef zwar fest. Konkrete Vorschläge wie ein Bleiberecht leitet er aus dieser Erkenntnis aber nicht ab. Ebenso wenig verrät Gusenbauer, wo er die Grenze zwischen "Assimilation" und "Integration" ziehen will. Fest steht nur: Bei der Zuwanderung müsse "in erster Linie auf die Interessen unseres Landes Rücksicht genommen werden".

Praxis statt Ideologie

Allzu viel Widerspruch des Koalitionspartners riskiert der Kanzler auch beim Leibthema Bildung nicht. Kein Wort von der Gesamtschule, nicht einmal den milderen Begriff "neue Mittelschule" nimmt er in den Mund. "Irgendwann muss mit dem Theoretisieren und Ideologisieren Schluss sein", sagt Gusenbauer. Praktische Versuche in den Modellregionen sollten bis 2010 endlich Klarheit schaffen, "welche die beste Schule für Österreich ist". Eines gibt Gusenbauer dann aber doch vor: Die "Exklusivstellung" als eines der letzten Länder Europas mit Halbtagsschule sollte der Vergangenheit angehören.

Ausführlich fällt Gusenbauers persönliche Bilanz umgesetzter und angekündigter Leistungen aus – von der Senkung der Klassenschülerzahl über das flexiblere Kindergeld bis zum Klimafonds. Gegen "Verzichtstheorien" spricht sich der Kanzler beim Umweltschutz aus und fügt ohne falsche Bescheidenheit an: "Der Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie ist aufgehoben. Der Michi Häupl und ich haben schon vor Jahren darauf hingewiesen – und wurden belächelt."

Wie Gordon Brown

Durchaus im roten Mainstream positioniert sich Gusenbauer hingegen mit seiner Rede, wenn man einem Funktionär im Auditorium glauben möchte. Der Kanzler habe ihn an den britischen Premier Gordon Brown erinnert, der beim Parteitag der Labourparty unlängst seine Antrittsrede hielt: "Auch wenn viele Genossen immer sagen, sie wollten mit den englischen Sozialdemokraten nichts zu tun haben." (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe 2.10.2007)