Heimische Kulturschaffende über Ö1: Wann und wo sie den Sender hören, was sie daran schätzen, was nicht - und wovon sie gerne noch mehr hätten.

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"Mit denen möchte ich mal trinken gehen"

Clara Luzia, Songwriterin: ",Nein, ich kann noch nicht von meiner Musik leben.' Mein Standardsatz der letzten Monate. Meine Kollegin Mika und ich haben schon überlegt, die anstehende Deutschland-Tour so zu nennen und dazu passende T-Shirts drucken zu lassen, wo eben jener Satz zu lesen wäre. Und weil ich noch nicht von der Musik allein leben kann, gehe ich zwei- mal die Woche in die Austria Presse Agentur, wo ich in der so genannten ORF-Produktion sitze und sämtliche TV- und Radionachrichten des ORF und anderer Sender im O-Ton abtippe. Höhepunkt sind da immer die beiden Ö1-Nachrichten ,Morgenjournal' und ,Mittagsjournal'. Wenn ich die nicht machen darf, werde ich sehr böse. Ich mag mich nicht mit der Radio-Vorarlberg-Landesrundschau rumschlagen, ich mag keine zehnsekündigen Slogan-Häppchen flott auf Ö3 serviert bekommen. Ich mag profunde Information, die auch mal weit ausholt und mir Hintergründe erklärt. Und Christl Reiss und Hubert Arnim-Ellissen sind meine Lieblinge. Mit denen möchte ich gern mal trinken gehen."

"Ein paar Takte Musik"

Michaela Schwentner, Videokünstlerin und Labelbetreiberin: "Ö1 startet bei mir täglich um Punkt neun Uhr morgens mit dem ,Radiokolleg', ,Kontext', den ,Hörbildern' oder ,Ambiente' - je nach Wochentag. Dann läuft das Radio weiter, ich höre genauer hin bei den Journalen (mittags, um fünf, abends, ,Kulturjournal'), samstags auch bei ,Diagonal' und der ,Hörspielgalerie'. Bedauerlich finde ich, dass ich Sendungen wie ,matrix', ,Tonspuren' und ,Synchron', ,Kunstradio' und ,Zeit-Ton' oft versäume, weil ich abends kaum zum Radio- hören komme. Dabei wäre genau das mein Programm! Eine Wiederholung wie beim ,Radiokolleg' wäre fein. Ich schätze Ö1 dafür, dass ich keine hysterische Werbung, die mich aus dem Sessel hebt, hören muss - ich mag die Ruhe und Souveränität, die da ausgestrahlt wird. Nur die Signations einiger Sendungen finde ich ziemlich überholt, aber irgendwie sind sie gerade deshalb auch amüsant - und bei technischen Störungen kommt noch immer der schöne Satz: "Wir sind bemüht, den Fehler zu beheben, und spielen in der Zwischenzeit ein paar Takte Musik."

"Der Soundtrack zum Üben"

Franz Koglmann, Jazzmusiker: „Ö1 spielt in meinem Leben eine bedeutende Rolle, so hörte ich Charlie Parker zum ersten Mal in einer Schulfunksendung. Die Mischung aus meist anspruchsvoller Musik und interessanten Sprachsendungen begleitet mich oft auch während des Komponierens und Übens. Natürlich kann man da nicht alles bis ins letzte Detail mit-verfolgen, aber atmosphärisch kriege ich das Programm schon mit. Da es Klassik und Romantik im Übermaß gibt, ist es auch nicht notwendig, unbedingt jedes Tönchen zu erheischen. Umso mehr goutiert man einen gelegentlichen Akkord von Messiaen, eine aus dem Nichts gezauberte Linie von Chet Baker. Vielleicht zu gelegentlich. _In letzter Zeit haben sich in manchen – meist von Damen moderierten – Sendungen schmierige Schnulzen eingebürgert. Die können mir eher gestohlen bleiben. Da höre ich lieber den Schulfunk – Pardon, das ,Radiokolleg‘.“

"Für ein bisschen mehr im Kopf"

Peter Lang von der Linzer PopBand Shy: „Als erst unlängst von der Wiener Stadtzeitung Falter betitelter ,Berufsjugendlicher‘ hat man es nicht leicht. Müsste man doch permanent das passende Jugendradio konsumieren, was jedoch nicht oft gelingen oder gefallen mag. Ich bin Ö1-Hörer. Dabei kann ich mit dem dargebotenen Musikangebot meist nichts anfangen. Mit Klassik nur zum Teil, Opernarien machen mich mindestens nervös, Jazz sowieso, und beim Gedudl aus der World-Music-Ecke wird der Aus-Knopf schneller gedrückt, als Lucky Luke seine Kanone gegen sich selbst zieht. Hingegen haben mich ,Mittagsjournal‘, ,Diagonal‘, ‚Dimensionen‘, die wunderbaren Städteporträts etc. zum Gebührenzahler gemacht. Jetzt ist es raus! Wenn der ORF schon mal seinen Bildungsauftrag wahrnimmt, sind ein paar Euro im Monat zu verkraften. Ein Spaziergang mit Sendungen über Lenin, Caracas oder das Mostviertel in den Ohr-stöpseln bringt dazu zweierlei: ein bisschen mehr im Kopf, und man erspart sich das ständige Gegrüße auf beliebten und deshalb über die Maßen bevölkerten Spazierwegen!“

"Verliebt in eine Sendeanstalt"

Franzobel, Schriftsteller: „Sie ist, woran ich beim Einschlafen denke, und das, womit ich aufwache, sie umhüllt mich Tag und Nacht, ich bin besessen, nein, verliebt, ja, weil alle anderen mir im Vergleich zu ihr abgeschmackt und unerträglich sind, verliebt bin ich in eine Sendeanstalt namens Ö1. Sie ist so alt wie ich, ihr Wissen versetzt mich in Erstaunen, alles an ihr voller Geist und Kultur, zum Niederknien. Sendungen wie ,Diagonal‘, ,Von Tag zu Tag‘ oder die ,Journale‘ höre ich seit Jahrzehnten, andere wie die Wissenschaftsmagazine entdecke ich erst nach und nach. Natürlich ist auch sie, die Göttliche, dieser Sende-anstalt gewordene Citroën, nicht perfekt, so würde ich mir mehr Ausflüge in exotische Volksmusik wünschen, weil der tibetanische Obertongesang oder litauischer Tango ausgesprochen inspirieren, doch das sind Kleinigkeiten, denn ich liebe sie, diese Sendeanstalt namens Ö1.“

"Kein Ikea-Geduze"

Franz Adrian Wenzl, Austrofred und Sänger der Band Kreisky: „Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich Ö1 nur beim Autofahren horche – dann dafür nichts anderes –, dass mich Themen zu interessieren beginnen, die ich sonst kalt überblättern oder überzappen würde: seltene Ziegenarten, fernöstliche Megacities, Weißwursterzeugung, Schauspielerhunde, südamerikanische Lokalpolitik. Irgendwie bleibe ich bei so was immer hängen, im Regelfall bereichert. Nur bei ,Rudi, dem Radiohund‘ schalte ich ganz schnell um. Subjektiver Interessenlagen wegen würde ich mir auf Ö1 aber etwas mehr Pop und Artverwandtes wünschen. Mit zunehmenden Alterungserscheinungen bin ich nämlich ganz froh, wenn ich nicht zu jeder Popmusikberichterstattung eine Zwangsportion Ikea-Geduze zu mir nehmen muss; da tut ein bisschen professoraler Duktus zur Abwechslung ganz gut. Ein neu errichtetes Halbtages-Popmuseum mit Wolfgang Kos als Museumsdirektor, so könnte ich mir das etwa vorstellen, und dass Otto Brusatti darin Slipknot interviewt.“

"Statt der Fernreise"

Manfred Rebhandl, Schriftsteller & Drehbuchautor: „Anstelle der geplanten Fernreise: ,Terra incognita – Lüneburger Heide‘. Wenn das Leben so dahinplätschert: ,Von Tag zu Tag‘. Wegen dem bescheuerten Sendungsnamen: ,Ö1 bis 2‘. Gegen meine gespaltene Persönlichkeit: ,Ganz Ich‘. Wenn ich wieder nicht zur Bischofssynode eingeladen bin: ,Religion aktuell‘. Wenn’s draußen blüht: ,Wiesen aktuell‘. Wenn ich wegen dem Heuschnupfen trotzdem nicht hinauskomme: ,Vom Leben der Natur‘. Wenn der Abend verplant ist: ,Konzert am Vormittag‘. Gegen mein Restless-Legs-Syndrom: Pater Willi Molterer im ,Journal zu Gast‘. Wenn selbst Pater Willi nicht mehr hilft: ,Help!‘“ (DER STANDARD; Printausgabe, 2.10.2007)