"Heute machen viele Designer Kleidung nur mehr, um Taschen und Schuhe zu verkaufen." Diego Della Valle ist den umgekehrten Weg gegangen. Schuhe sind zwar das Hauptgeschäft, das Sortiment hat er aber längst diversifiziert.

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Die Zeitschrift "New Yorker" hat ihn einmal "den italienischen Ralph Lauren" genannt. Das dürfte Diego Della Valle (geb. 1953) gefallen. Wie sein amerikanischer Kollege hat er sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet. 1975 tritt er in das kleine elterliche Unternehmen ein und kreiert durch gutes Marketing drei Luxusmarken: Tod's, die Schuhe mit den Gumminoppen, Hogan (Schuhe und Taschen) und die Bekleidungslinie Fay. Zuletzt erwirtschaftete die Tod's-Gruppe (zu ihr gehört auch Roger Vivier) einen Umsatz von 573 Millionen Euro. Della Valle ist allerdings auch in modefernen Gefilden unterwegs. Als Berlusconi in die Politik eintrat, wurde er von Della Valle unterstützt. Mittlerweile haben sich die beiden Geschäftsmänner überworfen, und Della Valle unterstützt die Linke. Wie sein Rivale besitzt auch er ein Fußballteam (Fiorentina), musste sich im Zuge von "Calciopoli", dem jüngsten Skandal rund um Schmiergeldzahlungen im italienischen Fußball, allerdings vor Gericht verantworten. Wir haben ihn in Cassette d'Ete getroffen, einem kleinen Dorf in den Marchen. Hier ist der Hauptsitz des Unternehmens.

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DER STANDARD: Es fällt auf, dass viele italienische Schuhproduzenten ein enges Verhältnis zu den USA haben. Ferragamo wurde in Hollywood berühmt, Santonis Hauptmarkt liegt in den USA; und auch Sie verbrachten dort einen Teil ihrer Jugend. Wie kommt das?

Diego Della Valle: Ich ging mit 16 nach Amerika. Mein Vater wollte, dass ich Englisch studiere und die Welt kennen lerne. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich mit dem Flughafenbus nach Manhattan reingefahren bin und plötzlich die Skyline gesehen habe. Das war ein prägendes Erlebnis. Heute habe ich einen Sohn, der in New York lebt.

DER STANDARD: Fehlen in Amerika gute Schuhproduzenten?

Diego Della Valle: In den 50er- und 60er-Jahren waren die Amerikaner bereits sehr an Luxusgütern interessiert. Und die Italiener waren damals schon - was Lederwaren und Schuhe anbelangt - das weltweite Zentrum für Qualität. Die USA sind ein riesiger, interessanter Markt, und das haben in Italien viele verstanden.

DER STANDARD: Aber es ist auch ein sehr schwieriger Markt.

Diego Della Valle: Vor dreißig Jahren war der italienische Unternehmer fast ausschließlich an der Qualität des Produktes interessiert. Man glaubt es kaum, aber wie Märkte funktionieren, davon wussten wir alle kaum etwas. Die Amerikaner dagegen kannten die Konsumenten bestens. Da konnten wir viel lernen. Heute hat sich das aber alles sehr angeglichen.

DER STANDARD: Sie meinen, die Europäer haben das amerikanische Modell übernommen. Wie war das bei Ihnen? Was haben Sie aus Amerika mitgenommen?

Diego Della Valle: Dass man alles machen kann, wenn man will. Und ich habe gelernt, dass der Markt der König ist. Er bestimmt, was geht und was nicht.

DER STANDARD: Hinter Ihnen hängt ein Bild von ...

Diego Della Valle: ... von John F. Kennedy, ja. Er war das Idol meiner Jugend. Er war auf seine Art ein Revolutionär, er hat mich gelehrt, dass es neben den Bedürfnissen des Marktes auch soziale Anliegen gibt.

DER STANDARD: Ist das Ihr Idealbild: Der Unternehmer mit sozialem Gewissen?

Diego Della Valle: Auf jeden Fall. Der Unternehmer kriegt viel von der Gesellschaft. Also muss er ihr auch etwas zurückgeben.

DER STANDARD: Vor den italienischen Parlamentswahlen im vergangenen Jahr haben Sie die Linke unterstützt. Das ist ungewöhnlich für einen Unternehmer.

Diego Della Valle: Ich bin kein Linker, ich bin Republikaner. Ich habe auch meine politische Meinung nicht als Unternehmer geäußert. Ich habe sie als Bürger dieses Staates geäußert, da ich der Meinung war, dass Italien an einem kritischen Punkt angelangt war. Unsere Reputation im Ausland hat sehr gelitten.

DER STANDARD: Die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik sind in Italien nichts Ungewöhnliches. Riccardo Illy ist Präsident von Friaul-Julisch Venetien, Luciano Benetton ist Senator, Berlusconi ehemaliger Ministerpräsident. Finden Sie diese Nähe gut?

Diego Della Valle: Sie ist problematisch, keine Frage. In Italien seine Meinung als Staatsbürger zu äußern ist schwierig. Es werden einem sofort anderweitige Interessen unterstellt. Wer die Medien kontrolliert, der kann das ausnutzen.

DER STANDARD: Sie sprechen von Berlusconi.

Diego Della Valle: Ich will nicht mehr von Berlusconi reden. In diesem Land wurde zu lange von Berlusconi gesprochen. Ich will über die Probleme des Landes reden. Es ist nicht einfach, als Unternehmer seine Meinung zu sagen, aber ich glaube, man hat eine Verpflichtung dazu. Jeder Arbeiter kann seine Meinung kundtun, warum also nicht auch der Unternehmer?

Auf Seite zwei: Diego Della Valle über Politik, Qualität und Tradition.

DER STANDARD: Was ist in den vergangenen Jahren in Italien passiert, dass dieser Punkt nicht mehr selbstverständlich ist?

Diego Della Valle: Man muss zwei Dinge klarstellen: Italien ist ein demokratisches Land. Dafür ist auch der Politik zu danken. Die politische Situation in Italien ist aber mehr als kompliziert: Die Handlungsfähigkeit der Politiker ist beschränkt. Seit dreißig Jahren scharrt die Politik lauthals in den Löchern, es passiert aber kaum etwas.

DER STANDARD: Warum treten Sie nicht selbst in die Politik ein? Dann könnten Sie diesbezüglich etwas bewirken.

Diego Della Valle: Ich bin kein Politiker. Abgesehen davon kann auch ich am System kaum etwas ändern. Ich vertraue aber einer Gruppe von 40-, 50-Jährigen, die die Fähigkeit hätten, dieses Land zu verändern. Ich werde helfen, dass sie das auch schaffen.

DER STANDARD: Hängt der Wandel vom Alter der Politiker ab?

Diego Della Valle: Das Alter ist nicht unwesentlich. Ein 40-Jähriger hat eine andere Perspektive. Wer etwas erreichen will, muss langfristiger denken. Das machen wenige betagte Politiker. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht auch ausgezeichnete ältere Politiker gibt. Man denke an den Staatspräsidenten Giorgio Napolitano.

DER STANDARD: Themenwechsel: In der Mode - genauso wie in der Politik - geht es heute um starke Images. Sie gelten als Experte darin, Geschichten rund um Produkte zu konstruieren. Wie macht man das?

Diego Della Valle: Einspruch: Mir geht es um Nachhaltigkeit, nicht um Images. Letztere sind relativ einfach herzustellen. Aber im Luxusbereich, in dem wir mit Tod's angesiedelt sind, geht es um etwas anderes. Hier ist - anders als in der Mode - die Qualität der Produkte ausschlaggebend, ihre Reputation. Das ist im Übrigen auch das, was ich bei Menschen schätze: ihr Charakter und nicht der Schein, den sie sich geben.

DER STANDARD: Gucci-Designer Tom Ford hat in den Neunzigern einmal gesagt, dass man mit dem richtigen Image alles verkaufen kann. Was denken Sie?

Diego Della Valle: Das ist wohl so, leider.

DER STANDARD: Wie nützen Sie das aus?

Diego Della Valle: 25 Prozent unserer Kraft beziehen wir aus unserem Image, das ist richtig. Aber der Rest hat damit nicht viel zu tun. Meine Familie produziert seit drei Generationen Schuhe. Unsere Kunden wissen, dass sie sich auf uns verlassen können. Man darf die Kunden nur nicht anschwindeln.

DER STANDARD: Sie legen viel Wert auf Qualität und Traditionen. Erstaunlich finde ich da, dass Sie Ihren Produkten einen amerikanischen Fantasienamen gegeben haben.

Diego Della Valle: Wie ich den Namen Tod's ausgesucht habe, ging es um die Wahl einer Marke, die einfach zu merken und einfach auszusprechen ist. Ob das ein amerikanischer Namen ist oder nicht, war mir egal.

DER STANDARD: Warum haben Sie keinen italienischen Namen gewählt?

Diego Della Valle: Mein eigener Name ist zu kompliziert. Es ging um die weltweite Wiedererkennbarkeit eines Namens.

DER STANDARD: Weil der Luxusmarkt längst globalisiert ist?

Diego Della Valle: Luxus-Konsumenten sind sehr international orientiert. Vor zehn Jahren mussten wir für manche Märkte noch besondere Produkte machen. Heute ist das nicht mehr nötig.

DER STANDARD: Nicht einmal für China?

Diego Della Valle: Nein. Außer hinsichtlich der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen unterscheiden sich die verschiedenen Luxusmärkte nicht mehr.

Auf Seite drei: Der Unternehmer über Accesoires und Wien.

DER STANDARD: Ihr Konzern hat sehr vom Accessoires-Boom der vergangenen Jahre profitiert. Wann erreichen wir das Ende des Hypes?

Diego Della Valle: Wie die Situation in zehn Jahren ist, weiß ich nicht, aber heute machen viele Designer Kleidung nur mehr, um Taschen und Schuhe zu verkaufen. Ich denke nicht, dass es sich dabei nur um eine Mode handelt, die Entwicklung hat sich längst gefestigt.

DER STANDARD: Sie sind den anderen Weg gegangen und stellen neuerdings auch Kleidung her. Was versprechen Sie sich davon?

Diego Della Valle: Es ist ein Versuch. Wir ergänzen in unseren 200 Geschäften unser Sortiment. Die Kleidungsstücke, die wir anbieten, sind einige wenige Klassiker. Wir handhaben sie wie Accessoires. Man kriegt bei uns die schönste Tasche, und man kriegt den schönsten Trenchcoat. Beides will man haben.

DER STANDARD: Ihre Konkurrenten wie Louis Vuitton oder Hermès haben Ihnen das vorgemacht. Kann eine Luxusmarke heute nur überleben, wenn sie einen gesamten Lifestyle anbietet?

Diego Della Valle: Ich denke, es ist unverzichtbar. Mit einer starken Marke im Hintergrund muss man das eigene Sortiment ausbauen.

DER STANDARD: Mit Derek Lam haben Sie einen beinahe unbekannten, amerikanischen Kreativdirektor bestellt. Haben Sie Angst, dass die Marke in den Hintergrund rücken könnte?

Diego Della Valle: Tod's ist sehr bekannt, wir brauchen niemanden, der einen ähnlichen Bekanntheitsgrad wie die Marke selbst mitbringt.

DER STANDARD: Auch bei anderen Marken werden derzeit die Designer kaum in den Vordergrund gestellt. Haben Designer als Superstars ausgedient?

Diego Della Valle: Gucci ohne Tom Ford wäre heute gar nichts. Das war ein tolles Jointventure. Mittlerweile braucht die Marke Gucci aber keinen prominenten Designer mehr. Letztendlich muss das jedes Unternehmen für sich selbst bestimmen.

DER STANDARD: Bei Tod's gab es nie einen Designer, der im Vordergrund gestanden wäre. Warum konnten Sie darauf verzichten?

Diego Della Valle: Wir hatten immer gute Kreativteams. Die Produkte haben für sich selbst gesprochen. Das war ausreichend.

DER STANDARD: Zum Abschluss: Im Jahre 2002 sagten Sie in einem Interview, dass Sie bald in Wien ein Geschäft eröffnen würden. Bis heute gibt es keines. Was ist passiert?

Diego Della Valle: Wir arbeiten immer noch daran. Es ist sehr schwierig, in der Innenstadt ein Geschäftslokal zu finden, das sich als Flagship-Store eignet. Aber ich nehme das bald selbst in die Hand. Ich bin schließlich oft in Österreich.

DER STANDARD: Beruflich?

Diego Della Valle: Privat. Ich besuche meine Freunde Helmut (Berger, Anm.) und Niki (Lauda, Anm.). Wir gehen zu Oswald (und Kalb, Anm.) essen. Bei Jungmann & Neffe kaufe ich Stoffe und Krawatten. Das ist eines der elegantesten Geschäfte der Welt. Dann kaufe ich mir noch eine Sacher und fahre wieder heim. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/05/10/2007)