Eine Stunde, nachdem der britische Premier Gordon Brown am Montag in London die Truppenhalbierung im Irak bis nächstes Frühjahr bekannt gegeben hatte, regnete es wieder einmal Raketen auf den britischen Stützpunkt am Flughafen in Basra: eine kleine Erinnerung daran, wer aller etwas zur Behauptung zu sagen hat, dass der britische Abzug dereinst in Form einer geordneten Übergabe an die irakischen Sicherheitskräfte stattfinden wird, nach einem erfolgreichen Ende der Mission im Irak.

Wie auch immer, die britische Entscheidung ist gefallen: Wenn Brown einst, nach seiner Absage an einen frühen Urnengang wahrscheinlich 2009, seine Labour-Partei in Wahlen führen wird, dann nicht mit dem Irak auf dem Buckel. 2009, das wird sechs Jahre nach der amerikanisch-britischen Invasion im Irak sein. In diesem Sinne wahrlich kein vorzeitiger Abzug.

Dass man 2003 eine längere Präsenz in unterschiedlichen Formen anvisierte (und das noch immer tut), um politisch einen Fuß in der mit dem Sturz von Saddam Hussein geöffneten Tür zu halten, ist klar. Aber dass man Jahre danach noch immer Räuber und Gendarm spielen muss - oder, wie es amerikanische Medien unlängst sarkastisch ausdrückten, von Indianern Belagerte in der Wagenburg -, das war so nicht geplant.

Wieder kann man nicht anders, als an die britische Vergangenheit im Irak zu erinnern (siehe Perspektiven auf Seite 4). Als ab Mitte der 1920er-Jahre die britische Mandats-Rolle im Irak immer schwieriger, weil im Irak und in Großbritannien immer unbeliebter wurde, war es eine konservative Regierung, die den Kurs hielt. Das britische Mandat sah vor, dass die britische Verwaltung im Irak die Bedingungen für die irakische Unabhängigkeit schaffen würde: Erst wenn gewisse Kriterien erfüllt seien, könne ein souveräner Irak Mitglied des Völkerbunds werden.

Eine Völkerbund-Kommission kam 1925 zum Schluss, dass es bis dahin "etwa eine Generation" dauern werde. Großbritannien verpflichtete sich daraufhin auf weitere 25 Jahre (nur unter dieser Bedingung wurde Mossul dem Irak zugeschlagen). Aber 1929 gab es Neuwahlen in Großbritannien, und eine vom imperialen Erbe unbelastete Labour-Regierung empfahl die Aufnahme des Iraks in den Völkerbund für 1932.

Weg mit Schaden: Dass der Irak von den Völkerbund-Kriterien beinahe keines erfüllte, wussten alle, aber man wollte ihn loswerden. Und es beruhte ja auf Gegenseitigkeit - nur klappte das nicht: Der britische Einfluss im Irak war mit der Unabhängigkeit noch lange nicht zu Ende. Das blieb der Revolution 1958 vorbehalten.

Das damalige Konzept der verdienten Unabhängigkeit, die einem erst von einem Mandatsland befreit, ist Gott sei Dank längst im Orkus der Geschichte verschwunden (wenn im Kosovo-Kontext auch quasi eine Unabhängigkeit auf Probe auftaucht). Die Parallele zwischen damals und heute besteht darin, dass auch jetzt diejenigen, die durch Intervention im Land Verantwortung übernommen haben, die Segel streichen, ohne ihre - notabene selbst gestellten - Aufgaben erfüllt zu haben. Die Ziele wurden drastisch reduziert.

Das betrifft heute natürlich nur in zweiter Linie die Briten, aber das, was die Amerikaner im Zentralirak zum Teil aktiv verbockt haben - den Aufbau einer funktionierenden Administration, von Institutionen, die aus mehr als dem Namen bestehen -, das haben die Briten im Südirak zumindest nicht geschafft. Das Vakuum nach Abschaffung der baathistischen Verwaltung konnte nicht gefüllt, der Terror der Diktatur nicht durch Recht und Ordnung ersetzt werden.

Das ganze Dilemma wurde in zynischer Weise offenbar, als Brown einerseits den Erfolg der britischen Mission verkündete, und andererseits - nach harter Kritik an der bisherigen Handhabe - bekannt gab, dass irakische Mitarbeiter künftig im Irak nicht mehr ihrem Schicksal überlassen würden. Dieses Schicksal ist oft der Tod. Im von den Briten angeblich erfolgreich befriedeten Südirak. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2007)