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Julia Franck erhielt für "Die Mittagsfrau" den Deutschen Buchpreis 2007.
Foto: Reuters/ALEX GRIMM
Heute hat Julia Franck eine eigene kleine Familie. Mit ihren zwei Kindern lebt die 37-jährige Schriftstellerin in Berlin. Während Tochter und Sohn im Kindergarten waren, hat Franck in den vergangenen Jahren tagsüber am Schreibtisch den Versuch unternommen, eine schwer wiegende Begebenheit in der Vergangenheit ihrer Familie literarisch zu rekonstruieren. Für die Früchte, den Roman "Die Mittagsfrau", wurde sie Montagabend mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Das Buch beruht auf den Erfahrungen ihres Vaters, der 1945 als Achtjähriger von seiner Mutter bei der Flucht in den Westen zurückgelassen wurde. Erst kurz vor seinem Tod hat er der Tochter davon erzählt. Die Frage, warum eine Mutter ihr Kind verlässt und verleugnet, konnte Franck ihrer Großmutter nicht mehr stellen, da diese ungefähr zeitgleich verstarb. Also musste sie sich ihre Familiengeschichte quasi erfinden.

Erfahrung im Verlassenwerden

Julia Franck hat im Verlassenwerden und Erfinden Erfahrung gesammelt. 1970 in Ost-Berlin geboren, lernte sie ihren Vater erst spät kennen. Sie wuchs mit vier Schwestern bei der Mutter auf. Weil diese Schauspielerin war, waren die Kinder oftmals auf sich gestellt - oder wurden von Kindermädchen versorgt, eines von ihnen war die spätere Sängerin Nina Hagen.

Mutter und Töchter übersiedelten 1978 in den Westen. Fast ein Jahr lang lebte man in einem Notaufnahmelager. Hier flüchtete sich das Mädchen in die Literatur. Wenn einmal in der Woche der Bücherei-Bus mit neuem Stoff vorbeikam, empfand Franck das als eine Rettung, und als Vertrauensperson diente das Tagebuch. Bereits mit 13 ging Franck von zu Hause weg und lebte bei Freunden. "Meine Mutter war tolerant genug, mich ziehen zu lassen", sagte sie im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung. Nach dem Abitur studierte sie Amerikanistik, Philosophie, Germanistik, arbeitete als Hilfsschwester und Kellnerin, später beim Tagesspiegel und beim Sender Freies Berlin. Vor zehn Jahren publizierte sie ihr erstes Buch, den Roman Der neue Koch.

Zu Beginn ihrer Karriere segelte sie mit Kolleginnen wie Judith Hermann und Karen Duve in der Öffentlichkeit unter dem Banner "Fräuleinwunder", das damals als Buchbranchen-Hype die Stuckrad-Barre-Popliteratur ablöste. Fragwürdigen Fremdzuschreibungen hat sich die Autorin bald durch das Produzieren von Texten entzogen, die bei der Kritik fast durchwegs lobende Worte fanden. Über den Roman Liebediener hieß es in der Süddeutschen Zeitung, er sei "womöglich die Liebesgeschichte der neunziger Jahre".

Heute zählt Julia Franck längst zu den Etablierten im Literaturbetrieb. Für die ihr zugesprochenen 25.000 Euro Preisgeld wird sie dennoch eine sinnvolle Verwendung finden. Die Frau hat schließlich Familie. (Sebastian Fasthuber/DER STANDARD, Printausgabe 10.10.2007)