In Thomas Bernhards Prosawerk nehmen Nachlässe, Erbschaften sowie die Auflösung ganzer Besitztümer und Familien eine überragende Rolle ein. Bereits Amras (1964) handelt von einer "Familienverschwörung" in Tirol. In Ungenach verlegt Bernhard den Schauplatz der Handlung in das oberösterreichische Alpenvorland, in dem er sich 1965 selbst angesiedelt hatte. Die Erzählung von 1968 knüpft unmittelbar an den Roman Verstörung (1967) an, in dem der Sohn des Fürsten Saurau die Liegenschaften von Hochgobernitz vernichten will. Das Erscheinungsjahr verweist auf ein Stück Zeitgeschichte: die Studentenbewegung mit ihrem Ziel, die Vätergeneration mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren.

In Ungenach bezeichnet der Notar Moro die von Robert Zoiss, der Hauptfigur, geplante Abschenkung jenes ihm plötzlich zugefallenen Besitzes als "revolutionäres Element". Dieser empfindet umgekehrt das Erbe als "furchterregende Last", die auf den von Claudio Magris konstatierten "habsburgischen Mythos in der österreichischen Literatur" (1966) verweist.

Der bei Vöcklabruck real existierende Ort Ungenach - dessen Pfarrer Arigona Zogaj betreut - und das dort angesiedelte, literarisch fiktive riesige Familienerbe symbolisieren die Problematik einer Vergangenheit, der auch Robert Zoiss, ein in Stanford lehrender Chemiker, nicht standhält und sie damit aufwirft.

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Bernhard Judex ist Mitarbeiter des Thomas-Bernhard-Archivs in Gmunden (DER STANDARD, Printausgabe, 11.10.2007)