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Doris Lessing
Foto: APA/dpa/Berg
Die Schwedische Akademie hat den Literaturnobelpreis der britischen Schriftstellerin Doris Lessing verliehen und damit eine Ikone der Frauenbewegung ausgezeichnet. Die 87-Jährige sei eine epische Dichterin der Weiblichkeit, die mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine gespaltene Gesellschaft genau beobachte, erklärte die Akademie am Donnerstag in Stockholm.

Die Autorin, die jahrelang als Anwärterin auf den Nobelpreis gehandelt worden war, gilt als das große Vorbild der feministischen Literatur. Der Preis ist mit rund 1,1 Millionen Euro dotiert und wird im Dezember überreicht.

Welt ohne Männer

Der neue Roman der am 22. Oktober 1919 in Kermanschah (damals Persien) geborenen Lessing heißt "Die Kluft" und zeigt eine Welt ohne Männer. Keine Intrigen, keine Rivalität, keine Eifersucht. Das erste männliche Neugeborene wird für eine Missgeburt gehalten - als jedoch immer mehr von ihnen in die harmonische Welt der "Spalten" einbrechen, ist die Gemeinschaft in Gefahr. Die spannungsgeladene Beziehung zwischen Männern und Frauen überträgt Lessing in diesem Werk noch einmal vom Alltäglichen ins Allumspannende und sucht für die kleinen und großen Neurosen der Neuzeit - wie die Angst vor dem Älterwerden - nach möglichen urzeitlichen Ursachen.

Elfte ausgezeichnete Autorin

Im Vorjahr hatte der türkische Autor Orhan Pamuk die begehrteste Literatur-Auszeichnung der Welt erhalten. Seit der ersten Vergabe 1901 haben 89 Männer und elf Frauen den begehrtesten Literaturpreis der Welt bekommen. Nur Selma Lagerlöf (1909, Schweden), Grazia Deledda (1926, Italien), Sigrid Undset (1928, Norwegen), Pearl S. Buck (1938, USA), Gabriela Mistral (1945, Chile), Nelly Sachs (1966, geb. Deutsche, später Schwedin), Nadine Gordimer (1991, Südafrika), Toni Morrison (1993, USA), Wislawa Symborska (1996, Polen) und die österreichische Autorin Elfriede Jelinek (2004) erhielten bislang vor Lessing den Nobelpreis für Literatur.

"Inspiration für feministische Autorinnen"

Letztere äußerte sich erfreut über die Auszeichnung Lessings: "Das war längst überfällig. Ich hatte sogar gedacht, sie hätte ihn schon längst." Lessings "Das Goldene Notizbuch" sei "sicher eines der wichtigsten feministischen Werke der Literatur überhaupt", so Jelinek.

Dass eine "Grande Dame" des feministischen Schreibens ausgezeichnet worden ist, stimmte die Anglistin Margarete Rubik "ganz glücklich": Lessing verdiene es "nicht nur aufgrund ihres eigenen Schaffens, sondern auch wegen der Inspiration, die sie für andere feministische Schreiberinnen war."

Obwohl Lessing sich vom Feminismus immer wieder distanzierte, habe sie zum schriftstellerischen Feminismus nicht nur theoretisch, in Vorworten und Essays, viel beigetragen, sondern vor allem inhaltlich neue Horizonte aufgemacht. "Sie hat für den weiblichen Roman ganz neue Themen eröffnet", so die an der Universität Wien arbeitende Rubik. "Mit ihren Werken hat sie Politik erstmals für weibliches Schreiben erschlossen, ihre Protagonistinnen waren von Anfang an in linke Strömungen involviert und emanzipierten sich in neuen Rollenbildern." Gleichzeitig dürfe man Lessing in ihrer literarischen Qualität nicht auf den Feminismus reduzieren. "Nicht nur inhaltlich, auch formal ist Lessing eine sehr interessante Autorin."

Gegenstimmen

Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hingegen nannte die Entscheidung der Nobelpreis-Jury enttäuschend. Er sei der Ansicht, dass die angelsächsische Welt, "viele, jedenfalls mehrere bedeutendere, wichtigere Schriftsteller hat" und habe erneut erwartet, dass Philip Roth oder John Updike ausgezeichnet werden. Roth war auch der Wunschkandidat des Autors Michael Köhlmeier, Lessing habe den Nobelpreis aber "sicher verdient". (APA/Reuters/red)