Berlin/Hamburg - Die verschollene Bibliothek des legendären Theaterkritikers Alfred Kerr (1867-1948) ist wieder aufgetaucht. Nach einem Bericht von 'Spiegel Online' wurden im Bestand der Staatsbibliothek Berlin 166 Bände identifiziert, die aus Kerrs Besitz stammen. Darunter befänden sich zahlreiche seltene Widmungs- und Besprechungsexemplare. Kerr war einer der prominentesten und bedeutendsten Berliner Kritiker vor allem in der Weimarer Republik.

Nach Recherchen des Berliner Historikers Karsten Sydow handelt es sich bei den Werken, die im Jahrbuch der Staatsbibliothek für 1933 als Erwerb "aus der Bücherei eines Berliner Theaterkritikers" angezeigt werden, um Bestände aus Kerrs Sammlung. Der von den Nazis verfemte Kerr war unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers Anfang 1933 aus Deutschland in die Schweiz geflohen. Am 10. Mai 1933 wurden von den Nationalsozialisten Bücher von Kerr öffentlich verbrannt. Kerr starb 1948 in Hamburg.

Übergabe an Kerr-Archiv

Seine Sammlung hatte der Kritiker offenbar unter großem finanziellem Druck für 100 Reichsmark abgegeben. "Es war ein schlimmer Notverkauf", erklärte Kerrs Tochter, die Schriftstellerin Judith Kerr ("Als Hitler das rosa Kaninchen stahl") im Interview mit dem Zeitgeschichts-Portal "einestages" von "Spiegel Online".

Nach einer Stichprobe der Staatsbibliothek haben etwa die Hälfte der damals übernommenen Bücher Kerrs den Krieg überstanden. Die Staatsbibliothek will die gefundenen Bände nun dem Kerr-Archiv in Berlin übergeben. Erbin Judith Kerr hat diesem Vorschlag zugestimmt. Im Bestand der Staatsbibliothek werden noch zahlreiche weitere Werke aus anderen Bibliotheks-"Übernahmen" durch die Nazis vermutet. (APA/dpa)