Algen färben die "Freshies" – so heißen die Süßwasserkrokodile – leuchtend grün ein. Mehr Bilder gibt es in der Ansichtssache unserer LeserInnen.

Foto: Joe
Grafik: STANDARD

Am Vorabend der dreitägigen Kajaktour wartet bereits Post von Gecko Canoeing in der Rezeption des Motels. Ein Formblatt bezüglich eventueller Krankheiten, Allergien oder Phobien. Dazu eine Erklärung der Gefahren der Unternehmung: Giftspinnen und -schlangen, Hitze und eben auch Krokodile, obwohl der Katherine River hier im Landesinneren des Northern Territory, was die großen und unberechenbar gefährlichen Salzwasserkrokodile betrifft, im Gegensatz zu den Flussmündungen an der Nordküste Australiens, zumindest in der Trockenzeit als mehr oder weniger sicher gilt.

Alle damit aufgetauchten Bedenken bezüglich des trotzdem bestehenden Restrisikos sind aber spätestens am nächsten Morgen beim Hinuntertragen der Boote und Ausrüstungsgegenstände an den Fluss wieder vergessen.

Es ist kurz vor neun, doch selbst im Schatten eines hohen Paperbark-Trees schwitzt man. Paula und Jeff, die beiden Guides, erklären nicht nur Grundlegendes über die richtige Haltung des Paddels, schnelle Richtungsänderungen und das richtige Verhalten beim Kentern, sondern auch, dass am Fluss die Hitze weit erträglicher sein würde.

Um wie viel kühler es aber tatsächlich ist, fällt einem am Wasser angesichts der Leichtigkeit, die das Kajak schon mit dem ersten Paddelschlag gewinnt, anfangs gar nicht auf. Das erste Stück führt durch seichtes, ruhig fließendes Gewässer. Immer wieder fliegen Kookaburras mit ihrem seltsamen, nach kaputten Radlagern klingenden Geschrei über uns hinweg, aber auch Falken, Geier und andere, trotz der Erklärungen von Jeff und Paula, dem Nichtornithologen in ihrer Vielfalt unbenennbar bleibende Vögel.

Weil wir schon bei der Tierwelt sind, befrage ich Jeff, ob es auf diesem Abschnitt des Katherine Rivers tatsächlich nur die scheuen, relativ ungefährlichen Frischwasserkrokodile gebe. Im Grunde ja, so lautet seine Antwort, doch bleibe in den vergangenen Jahren nach der Regenzeit eine langsam, doch stetig wachsende Zahl an Salzwasserkrokodilen im Landesinneren zurück.

Schließlich könnten sie hier ihre Territorien weit bequemer verteidigen als in Küstennähe, wo das landesweit bereits seit zwei Jahrzehnten geltende Jagd- verbot dafür sorge, dass sich die Salties, wie die bis zu sieben oder gar acht Me- ter langen Ungetüme auch genannt werden, gegenseitig schon auf die Zehen stiegen.

Nach Ende der "Wet Season" stelle man aber Fallen auf, um sie entweder in ihre angestammten Gebiete oder auf kommerzielle Krokodilfarmen zu verfrachten. Doch absolute Sicherheit, jedes einzelne Exemplar zu erwischen, könne es natürlich nie geben.

Und so würden wir am dritten Kajaktag auch an einer Stelle vorbeikommen, wo schon seit drei Jahren ein großes Salzwasserkrokodil in einem breiten und tiefen Pool im Fluss wohne. Es lasse sich einfach in keine der Fallen locken, habe aber, fügt er hinzu, auch noch niemanden attackiert.

Lunch-Time, und zum ersten Mal wird sichtbar, was sich in Jeffs Kajak und Paulas Kanu alles an Ausrüstung verbirgt: nicht nur eine halbe Küche, die sich abends als noch weit umfassender herausstellen wird, sondern auch ein halbes, sich jedoch ebenfalls erst teilweise zeigendes Esszimmer. So sitzen wir in unseren Klappsesseln auf einer schattigen Sandbank am Flussufer und bauen uns Sandwiches aus vollreif getrockneten Tomaten, saftigem Schinken, süßen Gurkerln, Senf, Chili-Sauce, Ketchup und noch einer Reihe anderer, auf dem Klapptisch bereitliegender Köstlichkeiten.

Dass wir seit dem Morgen schon gute drei Stunden unterwegs sind, kommt einem völlig unwirklich vor. Dabei scheint die Zeit gar nicht wie im Flug vergangen, sondern vielmehr aus einem einzigen, langen Augenblick des Dahinpaddelns, Schauens, Horchens bestanden zu haben, zu dem mit kräftigen Schlägen durchsteuerte Stromschnellen genauso gehörten wie jene Momente, da einen die spiegelglatte Wasseroberfläche eines weiten und tiefen Pools zu bloßem Dahintreiben einlud. So als verberge sich in einem solchen Fluss eine Zeit, die einem letztlich zwar wie jede andere durch die Finger rinnt, und dies womöglich noch weit schneller, dabei jedoch um vieles angreifbarer erscheint.

Mit vollem Bauch ist es nachmittags dann nur mehr eine kurze Strecke bis zum Lagerplatz für die Nacht. Der Fluss ist hier breiter, und das ist auch gut, da sich plötzlich etwas von einer Sandbank löst. Etwas, das zuerst nur in seiner Bewegung sichtbar ist, und vor dem Eintauchen ins Wasser gerade noch als langer Schwanz. Einer, der nicht nur wie der eines Krokodils aussah, sondern auch ganz bestimmt der eines Krokodils war, wie Paula das kräftige Schwappen kommentiert.

Die Frage ob Freshie oder Saltie stellt daraufhin keiner, denn solange es nicht vor uns auftaucht oder gar zu in einem jener Sprünge aus dem Flusswasser ansetzt, mit denen die großen Salzwasserkrokodile eineinhalb Meter und mehr in die Höhe schnellen, ist es egal, um welche Krokodilart es sich bei dem gerade verschwundenen handelt. Wenig später erreichen wir den Strand, an dem wir die Nacht verbringen wollen. Die Gestänge werden in die Moskitozelte geschoben, Unterlegematte und der dünne Schlafsack darin verstaut. Außenzeltes bedarf es jetzt in der Trockenzeit keines, es würde nur den Blick in den wolkenlos silbrigen Sternenhimmel der bevorstehenden Vollmondnacht verstellen.

Paula und Jeff haben in der Zwischenzeit nicht nur Küche und Feuerstelle, sondern auf einer leicht erhöhten Sandbank über dem Fluss auch schon den Dining-Room für den heutigen Abend aufgebaut: Tischtuch, Servietten, Teller, Besteck und sogar Weingläser und Kerze stehen bereit.

Man sitzt da und schaut über den Fluss, hört ihn gurgeln und ist, auch wenn es in Schultern und Armen ein wenig zieht, weder müde noch erschöpft, sondern sinkt in eine angenehme, schwere und warme Art der Bewegungslosigkeit. Die Sonne steht tief, der Himmel bekommt in seinem letzten leuchtenden Blaugrau eine respekteinflößende Tiefe, die Steaks über dem Feuer beginnen zu duften. Und sobald es dunkel wird, erzählt Paula, könne man die kleinen Freshies im Licht der Halogenstirnlampen auf der anderen Uferseite am roten Leuchten ihrer Augen erkennen.

Am nächsten Morgen kommt es einem dann fast schon vor, als bewegte man sich bereits das halbe Leben solche Flüsse hinunter. Und so ist es längst nicht mehr das Paddeln allein, das Hintereinander der richtigen Schläge über Stromschnellen hinweg oder an anderen Hindernissen vorbei, wofür man die meiste Aufmerksamkeit braucht, sondern immer mehr das Rundum: die wassertrinkenden Wallabys, das Kreisen der Raubvögel und der weiße Seeadler, der sich aus einer Baumkrone weiter vorn elegant in die Luft erhebt.

Wir kommen in einen größeren, von roten Sandsteinfelsen umgebenen Pool. Die Sonne drückt, keine Schatten, und auf einmal ist dieser Geruch da. Salzig und nach Fisch riechend, nach altem Fisch, eigentlich nach einer ganzen Fischhalle. Ein Geruch, der einem fast den Atem nimmt, so intensiv liegt er plötzlich über der Wasseroberfläche. Und Jeff sagt: Wir paddeln jetzt ganz gleichmäßig weiter. Denn das war ein Saltie, das gerade erst unter Wasser gegangen sein muss. Und wir paddeln tatsächlich ganz ruhig weiter. Ohne jede Panik, doch mit einer bislang ungekannten Art Angst, einer in Form höchster Konzentration.

Natürlich wissen wir, dass es pro Jahr in Australien durchschnittlich nicht mehr als einen Krokodiltoten gibt. Und dass unsere Kajaks auch von Salties gewöhnlich für zu große Gegner gehalten werden, um tatsächlich angegriffen zu werden. Doch gleichzeitig geht einem auch durch den Kopf, dass Salzwasser-krokodile als opportunistische Jäger gelten.

Dass des Nachmittags dann die kajaktechnisch bisher anspruchsvollsten Fluss-passagen folgen, ist eine gute Ablenkung. Auch angesichts der Tatsache, dass am nächsten Tag noch jener Pool im Katherine River auf uns wartet, der offenbar von einem alles andere als kleinen Salzwasserkrokodil bewohnt wird.

Glücklicherweise befindet sich unser Anlegeplatz für die Nacht davor an einem Sandsteinfelsen, auf dessen gut vier Meter oberhalb des Flusses sich erstreckenden Plateau dann nicht nur der Dining-Room Platz findet, sondern auch der Schlafsack: Hierherauf, das wissen selbst die in Sachen Furcht sonst so umtriebigen Einschlafvorstellungen, müsste das Krokodil schon fliegen können – das kann selbst ein Krokodil nicht einmal im Traum.

Und so scheinen am nächsten Tag auch die Erlebnisse des vergangenen spätestens an besagtem Pool nichts anderes als Einbildung gewesen zu sein. Keine Spur von einem Krokodil, nicht einmal ein Hauch. (Martin Prinz/Der Standard/RONDO/19.10.2007)