Eine der jüngsten Erwerbungen der Albertina und in der Ausstellung "Kunst nach 1970" zu sehen: Robert Longo "Untitled (Ping)", 2007.

Foto: Albertina
Angeblich zielte Robert Longo mit Tennisbällen auf seine Freunde, um ihnen die exaltierten Posen für seine wohl berühmteste Serie "Men in the Cities" (1981) abzugewinnen - aufgenommen auf dem Dach seines New Yorker Ateliers. Longo setzte ihre "Abwehrreaktionen" später in großformatige Kohlezeichnungen um, die das Lebensgefühl der 80er-Jahre sehr schön vermitteln und der Yuppie-Generation gleichzeitig ein ambivalentes Denkmal setzen: Angesiedelt zwischen Hingabe, Ekstase und Tanz hängen die elegant gekleideten Männer und Frauen nämlich seltsam in der Luft und scheinen mit dem Boden unter den Füßen auch den Bezug zur Realität verloren zu haben.

Robert Longo, der in den siebziger und Achtzigerjahren auch durch futuristische Multimedia-Experimente, Performances und Rockmusik von sich reden machte, arbeitete in seinem gattungssprengenden Werk von Anfang an mit medial vermittelten Bildern, in denen Gewalt und Vernichtung im Mittelpunkt stehen.

Beispielhaft dafür stehen seine Darstellungen von schwarzen Flaggen, riesigen Kreuzen oder überdimensionalen Pistolen, und in den letzten Jahren kamen düstere Zeichnungen von Atombombenexplosionen hinzu.

Himmel und Hölle

In den 80er-Jahren nahm der Künstler mit seinen Bronzefiguren und monumentalen Metallreliefs zweimal an der documenta in Kassel teil (1982 und 1987), und 1997 wurde bei der Biennale in Venedig sein Projekt "When Heaven and Hell Change Places" präsentiert. Mit der Installation aus Wachskreuzen nahm der stets sozial- und medienkritisch agierende Künstler auf die bosnischen Kriegsgräuel Bezug, und im Jahr 2000 begann er die Arbeit an dem Zyklus "The Freud Drawings".

Ausgangspunkt des mittlerweile auf mehr als 30 großformatige Kohlezeichnungen angewachsenen Projekts bilden die 1993 veröffentlichten Fotografien von Edmund Engelmann, der im Mai 1938 den Auftrag bekam, die Wohnung und psychoanalytische Praxis von Sigmund Freud nur wenige Tage vor dessen Emigration nach London zu dokumentieren.

In seinen Kohlezeichnungen übernimmt Robert Longo die Aufnahmen von Engelmann allerdings nicht direkt, sondern verstärkt oder eliminiert bestimmte Elemente, um die beklemmende Atmosphäre und das Moment der Isolation herauszuarbeiten:

"Was ich mit den ,Freud Drawings' gemacht habe, ist eine Psychoanalyse von Freuds Wohnung. Der Aspekt, der mich wirklich schockierte, war das Bewusstsein, dass in dieser Wohnung dieser Mann saß und sich mit den tiefen, dunklen Abgründen unserer Seele beschäftigte, während draußen die Nazis herumliefen und diese dunklen Dinge wirklich taten."

In den einzelnen Zeichnungen hebt er Teile der Einrichtung wie chinesische Skulpturen, Bilder, Bücherregale oder Freuds Schreibtisch hervor, verstellt Dinge in der Wohnung oder deutet Gegenständen wie etwa den Spion an der Wohnungstür zu einem Symbol für den faschistischen Überwachungsapparat um.

Präsenz von Absenz

"Alles, was dem Kohlestift zufällt", schreibt der Longo-Experte Walter Spies im Ausstellungskatalog von "Kunst nach 1970", "wird auf seine Weise bedeutsam: der Schreibtisch Freuds mit dem physiognomisch zu lesenden Armsessel; der Blick vom Platz des Patienten zum Schreibtisch, wo gewöhnlich das erste Gespräch stattfand, oder die gewaltige Bücherwand, die aus dem Dunkel des Raumes aufleuchtet wie von einem magischen Streiflicht erfasst."

Den menschenleeren Räumen schreibt Robert Longo damit nicht nur die Vertreibung Freuds durch die Nazis ein, er interpretiert auch die Perspektive von Freuds Patienten, denen der Künstler in seinem Zyklus durch die legendäre Couch oder ein weißes Kopfpolster Präsenz verleiht.

"Kunst nach 1970" zeigt eine Auswahl dieser beeindruckenden Bilder, und außerdem kommt dort mit der jüngsten Neuerwerbung der Albertina eine ganz neue Arbeit des Künstlers hinzu:

Die ebenfalls großformatige Kohlezeichnung zeigt das Gesicht eines schlafenden Kindes, das wie ein lautlos in sich ruhender Planet in einem ansonsten von Dunkelheit durchdrungenen Universum schwebt. (Christa Benzer /SPEZIAL / DER STANDARD, Printausgabe, 19.10.2007)