Amos Oz kennt die Mandatszeit und beschreibt die Sehnsucht nach einem eigenen Staat, die Aufbruchsstimmung der Dreißiger- und Vierzigerjahre, wie kein anderer. Dem Jerusalem seiner Kindheit hat er einige seiner schönsten Romane gewidmet. Auch in seinen Aufsätzen kehrt er immer wieder zu der Stadt zurück, die er als Jugendlicher verließ, um mehr als 30 Jahre im Kibbuz zu leben. Er betont, er sei nicht aus ideologischen, sondern aus familiären, gesundheitlichen Gründen in den 80er-Jahren mit seiner Familie nach Arad, einer Stadt am Rand der Wüste, übersiedelt.
Immer haftet seinem Jerusalem etwas Beunruhigendes, Geheimnisvolles an. Eine Atmosphäre unerfüllter Erwartung und eine sehnsüchtige Melancholie liegt über der Schönheit dieser Stadt, vielleicht am dichtesten und greifbarsten in der Erzählung Der Berg des bösen Rats und in dem Roman Mein Michael. Das Geheimnis, das die jüdischen Einwanderer quält, die Faszination, die sie erschreckt und gefangenhält, drückt das Prekäre ihrer Existenz in einer von der englischen Mandatsmacht besetzten und von feindlich gesinnten Arabern bevölkerten Stadt aus. Die Juden leben nicht nur physisch an den Rändern der Stadt, in den religiösen Vierteln wie Keren Abraham, Mea Shearim oder im bürgerlichen Südwesten, wie Rechavia oder der Deutschen Kolonie, sie sind auch psychisch aus ihrem geordneten, rationalen Selbstverständnis der Diaspora in die verführerische, geheimnisvolle und beunruhigende Wildheit des Orients geworfen. Wer Amos Oz einmal als den charismatischen Geschichtenerzähler erlebt hat, der bei Tisch mit unvergesslichen, lebendigen Anekdoten seine Zuhörer in Bann hält, kennt auch viele der Binnengeschichten aus seinem Roman Eine Geschichte von Liebe und Finsternis und ahnt, warum es gerade die Frauengestalten seiner Jerusalem-Romane sind, die dieser Verführung erliegen. Es gibt kaum einen Schriftsteller, dem so großartige, lebendige Frauenfiguren gelungen sind, wie Amos Oz.
In all ihrer Differenziertheit wissen sie mehr, ahnen mehr, sind dem Geheimnis, das seine Romane einkreisen und doch nie lüften, näher. Und trotzdem haftet auch seinen Frauenfiguren etwas Rätselhaftes an. Er würde ein paar Lebensjahre dafür geben, um zu wissen, wie es sich anfühlt, eine Frau zu sein, sagte er einmal. Sehnsucht und eine von Angst und Vorahnungen besetzte Ungewissheit sind Konstanten in seinem gesamten Werk. Sie sind das Gegengewicht zur Selbstgewissheit mancher (meist männlicher) Figuren, die sich eine Lebensphilosophie zurechtdenken und den Einbruch der irrationalen, anarchischen Mächte nicht verstehen. Aber aus dieser Nachtseite des Menschen und der Natur wird die großartige Bildwelt gespeist, die dichte Atmosphäre, die Komplexität seiner Romane, sie geben der Beschreibung der Landschaft, sei es nun Jerusalem oder ein Kibbutz oder die atemberaubenden Wüstenbilder späterer Romane wie Nenn die Nacht nicht Nacht eine symbolische Bedeutung.
Für den neun Jahre vor der Staatsgründung Geborenen war der Staat Israel nie eine unreflektierte Voraussetzung seines Selbstverständnisses, wie das bei der jüngeren Generation israelischer Schriftsteller der Fall ist. Das zeigt sich selbst in seiner radikalsten Kritik an der Politik seines Landes, die bereits früh in seinem Werk anklingt und auf vielerlei Weise variiert wird. Als politischer Schriftsteller, als kritische Stimme Israels wurde Amos Oz in Europa und den USA bekannt. Er ist Mitbegründer der Schalom-Achschav-Bewegung, die sich in den 70er-Jahren gegen die Besetzung der Westbank und des Gazastreifens aussprach und sich lange vor den offiziellen Friedensbemühungen für eine gerechte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts einsetzt.
Für Amos Oz war diese Haltung von Anfang an keine spektakulär revolutionäre Geste, sondern eine natürliche Konsequenz seines Gerechtigkeitssinns, wie er immer wieder betonte: Man muss seine Feinde nicht lieben, aber man muss ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihnen den Respekt entgegenbringen, den man für sich selbst in Anspruch nimmt. In seinen ethischen Grundsätzen scheint der Autor, der sich dezidiert von der Religion absetzt, seinen religiösen Wurzeln nah geblieben zu sein. Es geht Amos Oz immer um den Menschen, um den Einzelnen, der zum Prüfstein für die Menschlichkeit seiner Gesellschaft wird. Insofern war er immer ein Pragmatiker und stand stets jeder Ideologie ablehnend gegenüber. Aber er weist auch Illusionen, die der Westen über rasche Friedenslösungen hegt, als naiv zurück. Jede Utopie, jede Ideologie, die ins Präsens überführt werde, sagt er in einem seiner zahlreichen politischen Essays, würde auf der Stelle zu einem falschen Messianismus. Statt dessen plädiert er dafür, Widersprüche auszuhalten und für Kompromisse bereit zu sein.