Die elsässische Weinebene zwischen dem Rhein im Osten und den Vogesen im Westen.

Foto: Christophe Meyer/Maison de la France

Die elsässische Lieblingsbeschäftigung: Weinverkosten.

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Hinter den Fassaden von Fachwerkhäusern verbirgt sich oft Ultramodernes.

Foto: Huber/Maison de la France

Wem gehört er jetzt genau, der Guglhupf? Den Österreichern, den Deutschen, den Elsässern? Glaubt man den Elsässern, dann ist der Fall sonnenklar und die Urheberschaft geht ganz eindeutig auf ihr Konto. Die beweisführende Legende reicht weit, man könnte fast sagen: haarscharf bis in vorchristliche Zeit zurück und besagt, dass die Heiligen Drei Könige auf ihrem Weg nach Bethlehem in einem Dorf an der elsässischen Weinstraße vorbeikamen, wo ihnen ein armer Handwerker selbstlos Kost und Logis gewährte und zum Dank eine Gugelhupf-Form erhielt, mit deren Hilfe er es zum Schöpfer der bauchigen Backware brachte.

Beliebtes Konversationsthema ist diese Geschichte überall dort, wo einer elsässischen Lieblingsbeschäftigung nachgegangen wird: der Weinverkostung. In Weinkellern wie der "Cave Vinicole du vieil Armand" im kleinen oberelsässischen Wuenheim zum Beispiel, wo der Winzer Tharcise Meyr außer den Proben seiner Winzergenossenschaft eben auch Guglhupf auftischt.

Jedenfalls passt er besser zum Weinverkosten als Käse, sagen die Elsässer, besser zu ihrem Tokajer, den sie gemäß einer EU-Verordnung seit dem heurigen Jahr "Pinot Gris" nennen müssen (weil die Bezeichnung Tokajer den Ungarn gehört), und zu ihrem Schaumwein Crémant, der nach der "méthode champagnoise" hergestellt wird, obwohl man auch das nicht mehr sagen darf, weil diese Methode eben dem Champagner vorbehalten ist. "Ab 1871 waren wir Elsässer deutsch und hatten die südlichsten Weinlagen im Land, ab 1918 waren wir wieder französisch und hatten damit über Nacht die nördlichsten", scherzt Meyr.

Wo's überall gilt

"G'sundheit", sagt Tharcise, als er das Glas zum Wohl hebt. So heißt's auf Elsässisch; zumindest im südlichen Teil des Elsass, sprich dem Oberelsass. Weiter im Norden – in der Gegend um Straßburg, bei der es sich um den Unterelsass handelt – sagt man "'s gilt". Doch wie das bei lokalen Alltagsmythen so ist, herrscht Unklarheit darüber, wo genau man sich wie zuprostet.

Was als elsässische Interpretation von "Fish 'n' Chips" gilt, lässt sich im Sundgau erforschen, dort, wo sich die Straßen zwischen Laubwald-bestandenen Hügeln durchwinden und kleine Städtchen durchqueren, in denen das Fachwerk selten ist. Der Sundgau ist das Land der Karpfen, die als Scheiben in einer Panier aus grobem Weizengrieß auf den Teller kommen – dazu gehören Mayonnaise und Pommes frites. "All you can eat" lautet die Devise im "Restaurant au Sapin" in Ueberstrass, in dem sich die Kirchgänger der Wallfahrtskapelle "Notre Dame d'Ueberstrass" den Bauch vollschlagen.

Noch weiter südlich – in den Ausläufern des elsässischen Jura – liegt die kleine Stadt Ferrette, zu Deutsch Pfirt. Johanna, Erbin der Grafschaft, die vom Jura über den Sundgau bis in die nördlicher gelegenen Weinebenen reichte, heiratete 1324 Albrecht II. von Habsburg und brachte ihre Grafschaft mit in die Ehe. Pfirt ist heute ein 1500-Menschen-Städtchen mit mittelalterlichen Stadtkern, der sich mit schmalen Hausfassaden in ein enges Tal quetscht, über dem auf einem hohen Hügel die Schlossruine der früheren Grafen von Pfirt thront. "Château (ruiné)" steht auf einem Wegweiser, der von untergegangener Macht kündet.

Zwischen dem Rhein im Osten und den Vogesen im Westen liegt die elsässische Weinebene. Nahe Mulhouse, wo im Dreiländereck der Flughafen von Basel, Freiburg und Mulhouse angelegt wurde, ist das Südelsass eine seltsame Mischung aus kleinteiliger ländlicher Puppenlandschaft und hypermodernen Industrieansiedlungen auf der grünen Wiese. Wohlhabend ist die Gegend, und wer aus dem Elsass kommt, fühlt sich zuerst als Elsässer, dann als Europäer und erst in dritter Linie als Franzose. Eine halb ernste, halb kokette Andersartigkeit, die jedenfalls so weit reicht, dass die Elsässer von anderen Franzosen als den Leuten "von drinnen" sprechen.

Fachwerkstatt

Die Hauptstadt des Südelsass, Colmar, besitzt einen Stadtkern von fast unwirklicher Schönheit und historischer Einheitlichkeit. Fachwerkhaus reiht sich dort an Fachwerkhaus, dazwischen Plätze und Kanäle, die die Fassaden und den üppigen Blumenschmuck spiegeln, um dessen Schönheit die elsässischen Städte in einem ewigen Wettstreit stehen. Abends taucht ein ausgeklügeltes Scheinwerfersystem die alten, restaurierten Fachwerkhäuser in sanftes, bläuliches Mondlicht. Wie durch eine Zauberstadt geht man – jeden Moment damit rechnend, ein paar Elsässer Frauen in traditioneller Tracht mit weißen Hauben ums Eck biegen zu sehen.

Aber hinter den Fassaden verbirgt sich nicht selten Ultramodernes wie das Restaurant "JY'S" des Colmarer Haubenkochs Jean Yves Schillinger. Jung und schön sind die Gäste, aus braunem und beigem Leder die Sitzmöbel und Wandbespannungen, Kellnerinnen in schwarzen Jeans servieren luxuriöse Fusion-Kitchen, in der die traditionelle Elsässer Gänseleberpastete auf mediterrane Feigen trifft. Flankiert von Elsässer Wein – und dieses Mal ausnahmsweise ohne Guglhupf. (Julia Kospach/Der Standard/Printausgabe/20./21.10.2007)