Bridge, Klatsch, Champagner: Carter Page III (Woody Harrelson, M.), professioneller Unterhalter gelangweilter Washing-toner Damen (u. a. Lauren Bacall, li.; Lily Tomlin, re.), in seinem Arbeits-umfeld.

Foto: Viennale
Er ist "The Walker", ein Wiedergänger anderer Schrader-Figuren - einer, der sich in einer korrupten Welt bewegt, die seine Dienste bereitwillig annimmt, um ihn umso mehr abzulehnen.
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Regisseur und Drehbuchautor Paul Schrader hat ein Faible für Filmfiguren, die ihren Lebensunterhalt zum Lebensinhalt erkoren haben: Taxi Driver, American Gigolo, Light Sleeper. Alle sind sie schlaflos, verdienen ihr Auskommen als Nachtarbeiter und bewegen sich als Fremdkörper in einer korrupten Welt, die ihre Dienste bereitwillig annimmt, um sie als Person umso mehr abzulehnen.

Auch Carter Page III (Woody Harrelson) aka The Walker lebt am Rande und doch inmitten der offiziellen, machtgesättigten Gesellschaft der besseren und besten Kreise von Washington, Insider und Exilant zugleich. Als offen homosexueller und darum unverdächtiger Galan begleitet er die gelangweilten Frauen der Senatoren zu festlichen Empfängen und in Opernaufführungen, trifft sich mit ihnen zur wöchentlichen Bridge-Partie oder fährt sie zu heimlichen Treffen mit ihren Geliebten.

Doch der Glamour, in dem Page sich scheinbar selbstsicher bewegt, ist nicht seiner. Als letzter Träger eines Namens, unter dem zuvor Plantagenbesitzer und Politiker zu Reichtum und Ruhm gelangten, ist Carter Page III der abgefallene Spross einer einstmals mächtigen Familie.

So lebt auch er im Schatten, nicht der Nachtstunden, sondern seiner Herkunft. Abends legt er seinen aristokratischen Upper-Class-Habitus ab, bringt seine sorgsam gefalteten Seidenkrawatten in Reihe und die goldenen Manschettenknöpfe wieder an ihren Platz. Die Szene des rituellen Umkleidens darf als der heimliche Schlüsselmoment von Schraders Film gelten:

Geradezu begierig saugt die Kamera die Details auf, delektiert sich an edlen Holzvertäfelungen, gleitet schwerelos über die Accessoires eines Lebens, das in den dekorativen Nebensächlichkeiten seine Bestimmung findet. Nur auf Page selbst kriegt man keinen Blick. Dass der alternde Beau eine Perücke trägt, wird lediglich einen flüchtigen Augenblick sichtbar.

Gepflegte Oberfläche

Woody Harrelson, sonst auf den hinterwäldlerischen Rüpel mit Herz und Schnauze abonniert, liefert - auf den Spuren von American Gigolo Richard Gere - eine schauspielerische Glanzleistung als distinguierter Südstaaten-Kavalier, der an jedem Tisch mit ironischen Aperçus zu unterhalten weiß. "I'm not naive", sagt dieser Page über sich selbst, "I'm superficial." Die Oberfläche bekommt Risse, als Page in einen Mordfall verwickelt wird. Aus Loyalität zu einer seiner Klientinnen (Kristin Scott Thomas) wird er zum Hauptverdächtigen.

Unvermittelt steht er ohne Rückendeckung da, fallengelassen von einer Gesellschaft, die Freundschaft bestenfalls als bezahlte Dienstleistung begreift. Wie da einer im Ansturm der Beschuldigungen eine Fassade aufrecht hält, deren Stützen längst weggebrochen sind, zeichnet Harrelsons beherrscht-reduziertes Mienenspiel mit seismografischer Genauigkeit nach.

Paul Schraders berühmteste Drehbuchzeile - der Taxi Driver Travis Bickle vor dem Spiegel: "You talkin' to me?" - ist nicht zufällig ein Monolog. Schrader, der Bresson, Dreyer und Ozu als Vorbilder nennt, war schon immer mehr an den inneren Konflikten seiner vielfältig gebrochenen Helden interessiert, als an äußeren Entwicklungen. So ist auch The Walker am überzeugendsten als psychologische Studie eines verlorenen Mannes in einer Welt ohne Prinzipien, während der verknotete Plotverlauf entlang der Genrekonventionen des Whodunnit und eines bloß angedeuteten Polit-Thrillers eher Ablenkung als Erkenntnis bietet.

Dennoch markiert The Walker, nach einigen Missgriffen der vergangen Jahre, die Rückkehr Schraders zu (beinahe) alter Form. (Dietmar Kammerer, DER STANDARD/Printausgabe, 20.10.2007)