Geburt eines Ungetüms: An der Schiffswerft zeigt Peter Hutton in stummen Einstellungen ausschnitthaft das Werden eines monumentalen Frachters.

Foto: Viennale
Ein riesiger Kran dominiert die Vertikale des Bildes, die Spannung der Komposition entsteht aber erst durch eine horizontale Plattform, die es durchkreuzt. Sie baumelt an Schnüren, als wäre sie am Himmel befestigt. Ein paar Einstellungen später schwebt ein Lift an einem Metallgerüst entlang in die Höhe. Oder ein Arbeiter, der in dem Bild beinahe verschwindend klein erscheint, schweißt an einer Stelle eines Gerüsts. Welches Objekt hier hergestellt wird, das ist noch nicht richtig zu erkennen.

Peter Huttons betörender Film At Sea beginnt im Trockenen. Der Schauplatz ist eine Schiffswerft, in der eines dieser Ungetüme des Meeres hergestellt wird, das später Waren in Containern über die Kontinente verteilen wird. Die vollkommen statischen Einstellungen sind auf der zeitlichen Achse nicht linear arrangiert, sie geben keinen Konstruktionsprozess wider, sondern suchen Ansichten einer Industrielandschaft, in der alle Aufmerksamkeit auf das Bild selbst gerichtet ist: auf Proportionen, Kontraste und Raumtiefen, die von einer intrinsischen Schönheit sind. Nicht einmal Ton lenkt hier von der visuellen Hoheit ab, die Szenen bleiben stumm - und bisweilen braucht man sogar ein wenig Zeit, um überhaupt Bewegungen auszumachen.

Dem US-Amerikaner Hutton, der bereits mehrfach auf der Viennale vertreten war - unter anderem auch mit seinen Filmen über den Hudson-River, Study of a River und Looking at the Sea -, geht es somit weniger um eine politische Lektüre dieses Standorts (wie sie etwa in den globalisierungskritischen Fotografien des Künstlers Allan Sekula zum Ausdruck kommt). At Sea versucht sich vielmehr an einer Art phänomenologischen Biografie eines industriellen Objekts: So setzt sich die Arbeit denn auch aus drei Teilen zusammen, die Hutton "als Geburt, das Leben und den Tod" eines Schiffes beschrieben hat.

"Das Leben", es bedeutet nichts anderes als Bilder von Meeresfahrten. Aus der Führerkabine erscheint der mit bunten Containern vollbeladene Vorderteil des Schiffes wie ein abstraktes Gemälde. Hutton lässt seinen Protagonisten durch unterschiedliche Wetterformationen stampfen, der Himmel und das Wasser verändern laufend ihr Gesicht, mal glitzert der Mond über den Schaum der Wellen, mal taucht die Sonne am Horizont ins Wasser ein. In der Dauer der geradezu meditativen Einstellungen gewinnt man tatsächlich den Eindruck, Passagen unterschiedlicher Lebensabschnitte vorbeiziehen zu sehen.

Der dritte Teil von At Sea führt schließlich nach Bangladesh, zu einem Küstenabschnitt, an dem einzelne Teile von Schiffen wie gestrandete Wale über den Raum verteilt liegen. Hier wiederholt sich der Anfang des Films in umgekehrter Richtung: Wie Ameisen klettern Menschen an den Überresten der Ozeanriesen herum und zerlegen ihn in noch kleinere Stücke. Die Kamera erscheint an dieser letzten Ruhestätte wie ein Fremdkörper. Der Blick fällt hier endgültig auf den Filmemacher zurück. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 20.10.2007)