Yakov Kreizberg dirigierte im Musikverein.

Foto: STANDARD/Marc Borgreve

SchülerStandard: Tschaikowskys sechste Symphonie wird ja als sein persönlicher Schwanengesang, sein Requiem bezeichnet. Wie ist Ihr Zugang zu solchen Werken?

Kreizberg: Die letzten Kenntnisse, die man über dieses Werk hat, zeigen, dass diese Symphonie nicht sein Requiem sein sollte. Tschaikowsky trank dieses vergiftete Glas Wasser unabsichtlich, denn er war zu dieser Zeit überaus glücklich. Diese Selbstmordgeschichte ist zwar eine gute Story, aber es handelt sich wahrscheinlich nicht um ein autobiografisches Werk in dem Sinn.

SchülerStandard: Sie arbeiten seit Jahrzehnten als Dirigent. Was bedeutet die Arbeit für Sie?

Kreizberg: Meine Arbeit als Musiker bedeutet für mich mein ganzes Leben: Ich wache auf und gehe schlafen mit Musik, ich denke an Musik, selbst wenn ich schlafe.

SchülerStandard:: Sie sind Erster Gastdirigent der Wiener Symphoniker, da hat sich sicherlich eine besondere Beziehung entwickelt?

Kreizberg: Wir treten bei vielen Konzerten auf und haben schon viele CDs aufgenommen (Anm.: Eine davon war für zwei Grammys nominiert), ich bin sozusagen "Teil der Familie" geworden.

SchülerStandard: Heute waren im Publikum nur Jugendliche, was halten Sie davon?

Kreizberg: Fantastisch! Es gibt heute zu wenig junge Menschen auf den Konzerten. Ich bin immer begeistert, wenn Jugendliche bei unseren Proben zuhören. Solche Veranstaltungen sind wichtig, da in der Jugend unsere Zukunft, die Zukunft der Musik, ja unserer Kultur liegt.

SchülerStandard: Apropos; Wie haben Sie als Kind die Musik erlebt?

Kreizberg: Mit fünf Jahren "untersuchte" mich ein Musiklehrer, er sagte: "Der Junge ist begabt, er muss Musik studieren." Damit war es entschieden: Ich lernte Klavierspiel und Komposition. Als ich 15 Jahre alt war, verließ ich St. Petersburg, um in New York Dirigieren und Musiktheorie zu studieren.

SchülerStandard: Wie lautet Ihre Botschaft an junge, werdende Musiker?

Kreizberg: Das innerliche Feuer für Musik nie aufzugeben; und wenn man sich entscheidet, sein Leben der Musik zu widmen, zu verstehen, was das bedeutet: entweder ganz oder gar nicht. Musik ist nichts, was man nebenbei machen kann.

SchülerStandard: Welche Rolle spielt die klassische Musik heutzutage?

Kreizberg: Unterhaltung wird immer wichtiger. Die Grenze zwischen Kunst und Unterhaltung wird immer unklarer. Ich verstehe aber das, was ich tue, als Kunst. Musik verändert die Welt, denn sie verändert die Menschen. Sie ist die einzige universale Sprache. Wenn man ins Konzert geht und Musik, die auch geistige Bedeutung hat, hört, geht man als veränderter Mensch. Schließlich ist immer ein bisschen Mystery dabei - die Welt ist ja nicht unmysteriös, und Musik ist es auch nicht. (Lalé Eleonora Cabuk/DER STANDARD-Printausgabe, 23. Oktober 2007)