Die letzte ihrer Art: Analoge Fotokabine der Schnellphoto AG vor dem Züricher Firmensitz in der Goldbrunnenstraße 128. Aufgenommen von Irene Stutz, die im November ein Buch über die Schweizer Kultkabinen herausgibt.

Foto: Irene Stutz
Foto: Irene Stutz

Irene Stutz

Foto: Irene Stutz

Es existieren nur wenige Orte auf der Welt, an denen die Wucht des Zufalls so stark zu spüren ist wie in einem Fotoautomaten. Besonders in den alten, analogen Kisten, die noch mit Chemie funktionierten. Jedes Mal ein kleines Drama: metallkalten Drehstuhl auf die richtige Höhe gebracht. Den speckigen Vorhang zugezogen. Augen auf, Mund zu. Geld klimperdimper eingeworfen. Doch wie konzentriert wir auch auf die spiegelnde Scheibe schauten, der Automat - paff! - blitzte unerbittlich in dem Moment, in dem der Blick nach unten ging. Paff, paff, paff. Jeder Blitz eine kleine Explosion, hörbar entlud sich das Gas in den Hochvoltlampen.

Zum Schreien dann oft die fotografischen Ergebnisse. Schon immer lag die eigentliche Stärke der Automaten darin, spaßige Momente abzulichten. Ob dies nun in der mäßigen Qualität der Bilder begründet ist oder daran, dass Fotokabinen nun einmal den Impuls auslösen, schnell ein Juxfoto herstellenzulassen. Sicher machen Handykameras dem Automaten auf der Straße mittlerweile Konkurrenz. Doch am besten entstehen Spaßbilder immer noch im geschützten Raum einer Kabine, mit Möglichkeit zur Selbstreflexion. Das beweist auch der "screampoint" der Linzer Künstlergruppe Wollle, welches das Geschrei ums Automatenbild einfach verdoppelt: Einen Schrei-Automaten haben die Stundenten Harald Moser, Thorsten Kiesl und Timm Oliver Wilks alias Künstlergruppe Wollle in Zusammenarbeit mit Sebastian Dietrich gebaut, ursprünglich für die Ars Electronica 2006 und das Bitfilm Festival in Hamburg. Von außen getarnt als gängige Fotokabine, erwartet den Nutzer innen ein Bildschirm samt Mikro - und in das muss man hineinbrüllen, um ein Foto zu schießen.

Eine eigens dafür geschriebene Software der Interface-Culture-Experten Wilks und Moser reagiert auf den Input aus Videokamera und Mikro. Ab einem bestimmten Lautstärkepegel nimmt die Kamera den Unschärfeeffekt vom Bild, speichert das Bild und lädt es auf die Website www.screampoint.ufg.ac.at hoch. Die Schrei-Box war ein voller Erfolg, berichtet Dietrich: "Nach anfänglicher Skepsis kamen alle mit einem dicken Grinsen wieder heraus." Da das Herzstück die Technik ist, ist die Fotokabine der vier mobil. Um Kamera, Mikro und Rechner kann an jedem Ort der Körper, die Holzkabine, herumgebaut werden.

Lebendiger Kult

Der Kult um die Kiste, er ist höchst lebendig. Mit Zahlen kann das auch die Firma Prontophot Austria bestätigen, die in Österreich nach eigenen Angaben 95 Prozent der Standorte betreibt. Denn: "Heute stehen sicher nicht weniger Automaten in Wien als noch vor zehn Jahren", sagt Geschäftsführer Wolfgang Franz, manche davon allerdings nicht mehr nur an klassischen Standorten wie U-Bahn-Stationen, sondern neuerdings auch bei einer großen Elektronikmarktkette. Dort bekäme man denn auch 50 Prozent Neu-Kunden in die Kiste. Österreichweit stehen rund 200 Automaten bereit, und laut Prontophot verzeichnet man trotz Fotohandy-Konkurrenz keinen Einbruch im Geschäft mit der Kabine. Analog geht allerdings auch in Wien nichts mehr, im Sommer dieses Jahres hat das Unternehmen die letzte ihrer Art, liebevoll 26er genannt, abgeholt. Nun lagert sie neben einem noch älteren Modell, einem Schätzchen von 25 Jahren, auf Paletten im Hochregallager des Firmensitzes in Gerasdorf.

Von Wien zurück nach Linz. Sebastian Dietrich, der den Anstoß für den Schrei-Automat gab, sieht im Projekt auch ein Stück Nostalgie befriedigt: "Jeder kennt das doch, wenn man mit Freunden auf einen Automaten trifft und sich dort reinquetscht, um ein lustiges Bild zu machen." Er selbst nutzt auf Reisen immer Automatenbilder als Postkarten. Da sind andere weiter als wir: "In manchen Ländern ist extra ein Briefmarkenfeld auf der Rückseite des Prints vorgesehen", sagt Dietrich. Überhaupt lohnt der Blick über den Tellerrand, in die Schweiz: Dort hatte eine Firma die wahre Berufung des Fotoautomaten verstanden. Konsequent setzte die Schnellphoto AG auf analoge Spaßfotos in Schwarz-Weiß, für einen schlanken Franken. Gratis gab's den Schwefelgeruch beim Entwickeln dazu. Auch als andere Anbieter längst auf Farbe umgestellt hatten, blieb die Welt bei Schnellphoto grau - was ihren Erfolg nur verfestigte.

Wenig Verständnis für Kunst, Kultur und den Kult

Der Ruf der phänomenalen Kabine schallte bis nach Österreich. Die Fotos waren dafür bekannt, jeden toll aussehen zu lassen. Was an der Chemie-Lasur auf dem Papier lag, das eher rot-unempfindlich war: Rötliche Hautverfärbungen sah man kaum, der Teint erschien stets perfekt. In Vorarlberg, berichtet Kollege M., pilgerten Teenager kolonnenweise ins Rheinpark-Einkaufscenter gleich hinter der Grenze in St. Margrethen. Beim gegenüberliegenden Mister Minit standen sie sich die Füße in den Bauch, um Geld zu wechseln. Doch seit diesem Jahr weint die automatenverliebte Schweiz: Die Fotokabinen wanderten in die Schrottpresse. Nicht, weil Kundschaft ausgeblieben wäre. Doch das Papier war aufgebraucht, die es produzierende Firma pleite - und die beiden Betreiber der Fotoautomaten, die Brüder Balke, sehen die Sache nüchtern: "Die beiden haben wenig Verständnis für Kunst, Kultur und den Kult um die Fotokabinen", sagt Irene Stutz. "Für die Balkes ist der Lebenszyklus der Maschinen eben vorbei." Grafikerin Stutz aber wollte die Kisten nicht so einfach sterben lassen und hat deshalb die Geschichte der Schnellphoto AG in Wort und Bild festgehalten. Im November erscheint ihr Buch "Das Einfränklerimperium". Es ist ein Buch gegen das digitale Bildervergessen, sagt Stutz, und die Frage, wie man heute mit Bildern umgeht. Es enthält aber auch witzige Details, etwa die Flehanrufe an die Balkes, wenn die Bildausgabe versagt hatte - und es sich um ein Nacktbild handelte.

Auch wenn der Schweiz ein Stück Kulturgut verlorengeht: Weltweit besteht die Faszination Fotoautomat nach wie vor. Nostalgisch die analoge Technik dokumentiert www.photobooth.net mit Kabinenstandorten rund um den Globus. Andere übertragen alte Atmosphäre auf neue Technik: In japanischen Purikura-Automaten wählt man z. B. lustige Szenen aus. Und online, bei waves.tv, fotografiert die Webcam, das Bild in bewährter Automatenstreifen-Optik lässt sich gleich ins Web einspeisen. Ähnlich funktioniert auch die Bürger-Museumsgalerie unter www.zkm.de/flick_ka. Der Vorteil: Zuhause ist der Sessel immer schön warm.
(Mareike Müller/Der Standard/rondo/24.10.2007)