STANDARD-Montagsgespräch zum Thema Bundesheer und Grenzsicherung: "Was bleibt überhaupt noch von der traditionellen militärischen Aufgabe, der Landesverteidigung?", fragt Moderator Gerfried Sperl.

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Heide Schmidt: "Militärische Schleierfahndung wäre eine Bedrohung der offenen Gesellschaft."

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Peter Pilz: "Wir werden den Rekruten den Gang zum Verfassungsgericht finanzieren."

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Gerald Karner: "Die Wehrpflicht wird noch einige Zeit aufrechtzuerhalten sein."

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Franz Schnabl: "Ein großer Teil der Aufgegriffenen kommt über das Schengenbinnenland."

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Das STANDARD-Montagsgespräch förderte Brisantes zum Grenzeinsatz des Heeres zutage: Laut aktuellem Schlepperbericht des Innenministeriums kommen nur elf Prozent aller Aufgegriffenen über die grüne Grenze. Die Grünen wollen Rekruten bei Beschwerden vor dem Höchstgericht unterstützen.

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Der Nationalfeiertag steht an – und mit ihm mehr ungelöste Fragen zur Zukunft des Bundesheeres als je zuvor. „Was sind seine neuen Herausforderungen?“, will Standard-Kolumnist Gerfried Sperl beim Montagsgespräch im Haus der Musik von den geladenen Experten am Podium wissen. „Und was bleibt überhaupt noch von der traditionellen militärischen Aufgabe, der Landesverteidigung?“

Zumindest bei Letzterem ist sich die Runde rasch einig. Kaum etwas. Was an Inlandsagenden übrig ist, sei nur mehr „die Luftraumüberwachung und die Vorbereitungen für internationale Kriseneinsätze“, erklärt der Militärstratege Gerald Karner. Und daraus folgt für den ehemaligen Generalstabsoffizier im Verteidigungsministerium: „Ich fürchte, die Wehrpflicht wird noch einige Zeit aufrechtzuerhalten sein, weil man damit Kaderpersonal für die internationalen Einsätze rekrutieren kann.“

„Die Zeit der klassischen Landesverteidigung ist vorbei“, konstatiert auch Peter Pilz. Nicht aber, dass auch künftig „27.000 Buam eingezogen werden sollen, die dann im Gelände probehalber decken, kugeln, umfallen und sterben“. Für den grünen Sicherheitssprecher ist „völlig klar“, dass Ende des Jahres mit dem Fall der Grenzkontrollen im Osten wegen der EU-Schengenerweiterung auch jede Rechtfertigung für die Wehrpflicht von gestern sei. Für den Fall, dass sich Innenminister Günther Platter (ÖVP) und Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) tatsächlich entschließen, den Heereseinsatz an der Grenze zu verlängern, kündigt der Grüne an, dass seine Partei jeden willigen Präsenzdiener bei einer Individualbeschwerde vor dem Höchstgericht unterstützt. „Rekruten, die dann noch zum Assistenzeinsatz eingezogen werden, brauchen nur ein Formular auszufüllen, und wir finanzieren ihnen den Gang zum Verfassungsgerichtshof.“

Das Ansinnen, noch länger Soldaten an die Grenze zu stellen, stößt auf Unverständnis in der Diskussionsrunde. Ex-LIF-Chefin Heide Schmidt wird richtig heftig: „Jede Uniform hat für die meisten etwas Bedrohliches, erst recht für Flüchtlinge. Ich halte das für eine Bedrohung der offenen Gesellschaft. Denn was bedeutet diese angekündigte Schleierfahndung des Heeres im Landesinnern? Fragen da die Soldaten dann bei den Leuten in den Wirtshäusern nach, mit wem sie da eigentlich Karten spielen? Da schießt man doch mit Kanonen auf Spatzen.“

Franz Schnabl, bis 2002 Polizeigeneral der Wiener Sicherheitswache, nun als Security-Chef bei Frank Stronachs Magna tätig, kann mit aktuellen Zahlen aufwarten. Im jüngsten Schlepperbericht des Innenministeriums, ergab die Befragung unter den im Jahr 2006 etwa 39000 Personen, die auf Bundesgebiet wegen illegaler Einreise aufgegriffenen wurden: Nur elf Prozent wählten für ihren Übertritt die grüne Grenze, 69 Prozent kamen über die Straßen, zehn Prozent per Zug, fünf Prozent über den Luftweg. Und Überraschung: „Ein großer Teil“ der illegalen Grenzgänger reise nicht mehr über Ungarn ins Burgenland ein (acht Prozent), „sondern kommt über Schengen-Binnenland, also vor allem über Italien“, rechnet der Sicherheitsexperte vor. „Diese Gruppe macht 46 Prozent aus.“

Daher kann der Sicherheitsexperte zumindest einen Sinn darin erkennen, wenn die Regierung den Assistenzeinsatz noch bis zum Ende der Fußball-EM im Juni aufrechterhält, bei der die Schengenkontrollen ohnehin aus Sicherheitsgründen wieder kurzfristig in Kraft gesetzt werden sollen: „Denn die EURO 2008 wird für die Exekutive eine extreme Herausforderung ...“

Doch da fährt ihm Pilz sofort in die Parade: „Das Heer hat bei Verkehrskontrollen nichts zu suchen! Oder sollen die Rekruten die Alpenkämme nach Hooligans durchkämmen?“ Keiner widerspricht. Also offenbar wieder keine neue Herausforderung fürs Heer in Sicht. (Nina Weißensteiner, DER STANDARD, Printausgabe 24.10.2007)