Wien - Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat beim Sonderministerrat anlässlich des Nationalfeiertags am Freitag für ein Miteinander in der Regierung appelliert. Zur Offenheit gehöre es, dass die politische Willensbildung offen erfolge. "Hier kann es nicht um die starre Durchsetzung eigener Vorstellungen gehen, sondern um das Finden von gemeinsamen Lösungen", so der Kanzler wohl in Anspielung auf die zahlreichen Streitereien in der Regierung. Gusenbauer warb gleichzeitig indirekt für die gemeineinsame Schule der Zehn bis 14-Jährigen.

"Chancen sollen von eigenen Leistungen abhängen"

"Zur Chancengleichheit und Fairness einer Gesellschaft ist es auch notwendig, dass niemand ausgeschlossen bleibt und sich jeder gemäß seinen Fähigkeiten entwickeln kann", so Gusenbauer. Es sei eine Überlebensfrage für die Gesellschaft, auf kein einziges Talent zu verzichten. "Garantiert werden kann dies nur durch ein ausgezeichnetes Bildungssystem. Die Chancen in unserer Gesellschaft dürfen weder vom Geschlecht noch von der sozialen oder ethnischen Herkunft abhängen, sondern von der eigenen Leistung und der individuellen Leistungsbereitschaft." Daher benötige man Schulen und Bildungseinrichtungen, die allen die Chance auf eine bestmögliche Zukunft eröffnen, spielte Gusenbauer offenbar auf die von der SPÖ befürwortete Neue Mittelschule an.

Nicht nur anhören, auch annehmen

Angesichts der sich zur Zeit mehrenden Konflikte in der Regierung forderte der Regierungschef, dass man andere Meinungen nicht nur anhöre, sondern diese auch annehme. Als Beispiel für ein funktionierendes Miteinander nannte er die Sozialpartnerschaft.

Bekenntnis zur Neutralität

Ein klares Bekenntnis zur Neutralität hat Bundeskanzler Alfred Gusenbauer beim Sonderministerrat am Freitag abgelegt. Die Neutralität, die im Zentrum des heutigen Nationalfeiertags steht, sei eine "unverzichtbare außen- und sicherheitspolitische Grundlage Österreichs. Es ist mir daher wichtig, klarzustellen, dass wir die Menschen in dieser Frage nicht verunsichern dürfen", sagte Gusenbauer in Richtung ÖVP, deren Perspektivengruppe eine Debatte über die Neutralität angezettelt hatte.

Gusenbauer betonte gleichzeitig, dass "Neutralität und Souverenität kein Widerspruch" seien, sondern einander ergänzen. "Österreich hat seine Neutralität nie als ein 'Beiseite-Stehen' verstanden, sondern hat sich aktiv in Europa und der Welt engagiert", verwies Gusenbauer auf die Auslandseinsätze des Bundesheers. "Die Teilnahme an friedenserhaltenden Missionen unterstreicht, dass es Österreich nicht darum geht, selbst in keine bewaffneten Konflikte verstrickt zu sein, sondern dass sich Österreich auch für die Erhaltung des Friedens in der Welt engagiert", so der Kanzler, der auch die Leistungen der Soldaten im Inland hervorhob.

EU-Verfassung

Gusenbauer ging in seiner Ansprache auch auf die erst kürzlich erzielte Einigung auf eine EU-Verfassung ein. Er zeigte sich "glücklich", dass der Prozess der Selbstfindung beendet worden sei und durch den Reformvertrag das weitere "Funktionieren der Union sichergestellt" sei. Ihm sei es "besonders wichtig, dass die EU auf die Erwartungshaltungen der Menschen entsprechende Antworten gibt", denn viele hätten das "Gefühl, dass sie am großen Reichtum nicht oder nicht ausreichend beteiligt" seien, so Gusenbauer, der daher "die Fairness und soziale Balance wieder stärker in das Zenrtum" rücken wolle. Die Akzeptanz der EU bei den Bürgern werde sich nach den Antworten richten, die die Union geben könne.

Österreich wolle er zu einem kinderfreundlichen Land machen und den Frauen eine gleichberechtigte Teilnahme garantieren, so der Kanzler. Eine gerechte Beteiligung setze jedoch nicht nur den individuellen Willen voraus, sondern auch materielle Grundlagen.

Van der Bellen pocht auf Bleiberecht

Die Forderung nach einem Bleiberecht für lange in Österreich lebende und gut integrierte Ausländer stellte Grünen-Chef Alexander Van der Bellen am Freitag ins Zentrum seiner Erklärung zum Nationalfeiertag. "Hilfe für Flüchtlinge ist gelebte Neutralität", meinte er in einer Aussendung, und warf der Regierung vor, eine "Politik der Unsolidarität und Angstmache" zu betreiben.

Eine historische Funktion der österreichischen Neutralität sei es immer auch gewesen, "ein sicherer Hafen für Flüchtlinge zu sein", konstatierte Van der Bellen. Damit wäre der Nationalfeiertag eine gute Gelegenheit für die Regierung, endlich ein Bleiberecht umzusetzen.

Der Fall der Familie Zogaj habe gezeigt, dass viele Menschen bereit seien, hier lebenden Ausländern zu helfen, in Österreich Fuß zu fassen. Die Regierung tue mit der Verunsicherung und Abschiebung selbst gut integrierter Menschen aber das Gegenteil. Und mit einer "Gleichsetzung von Asylsuchenden und Wirtschaftsflüchtlingen mit Kriminellen" versuchten SPÖ und ÖVP, "eine Stimmung der Angst zu erzeugen", kritisierte Van der Bellen.

BZÖ drängt auf Volksbefragung zu EU-Vertrag

BZÖ-Chef Peter Westenthaler bekräftigte in einer Aussendung zum Nationalfeiertag die Forderung seiner Partei nach einer Volksbefragung über den EU-Reformvertrag. Die Bürger selbst sollten entscheiden, "welchen Weg Österreich in der EU gehen soll", meinte er am Freitag und kritisierte den vor einer Woche beim EU-Gipfel in Lissabon vereinbarten Vertragstext.

Mit diesem würden Österreichs Mitbestimmungsrechte geschwächt. Die EU mische sich mit ihrer "Verbotspolitik" immer stärker selbst in die privaten Lebensbereiche und wolle Österreich "über unsere Köpfe hinweg zu einem Einwanderungsland machen", bemängelte Wesenthaler.

Er erinnerte daran, dass der 26. Oktober auch an die wiedergewonnene Souveränität und Eigenständigkeit Österreichs erinnere. Diese gelte es auch in einem gemeinsamen Europa zu erhalten, denn die "legitimen Staatsinteressen Österreichs stehen über den Interessen der Europäischen Union". Also wolle das BZÖ "den aufrechten Gang statt der EU-Buckelei", bekräftigte Westenthaler die Absicht, im Parlament eine Volksbefragung zum EU-Vertrag zu beantragen und in Kärnten eine durchzuführen.

Strache: Keine Opfer

FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache hat am Nationalfeiertag neuerlich eine Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag gefordert. "Österreichs Souveränität darf nicht auf dem Brüsseler Altar geopfert werden", betonte er in einer Aussendung.

Der Regierung warf Strache vor, "scheinheilig" zu sein - weil sie beim Sonderministerrat "mit heuchlerischem Lippenpatriotismus den Nationalfeiertag zelebriere, während sie gleichzeitig Demokratie, Neutralität und Souveränität Österreichs abschaffen" wolle. Wie schon am Vortag in einer Pressekonferenz liebäugelte Strache auch am Freitag mit einem EU-Austritt: Wenn sich die EU weiter in die Richtung entwickle, die mit dem Reformvertrag vorgegeben werde, müsse man sich "überhaupt ernsthaft überlegen, lieber aus der EU auszutreten". (APA)