Beeinflusst u. a. auch von Bach: Esbjörn Svensson.

Foto: Regell
Salzburg – Was zurzeit in seinem MP3-Player rotiere? Die neue CD von Radiohead, die bei Esbjörn Svensson, Dan Berglund und Magnus Öström alias e.s.t. bekanntermaßen hoch im Kurs steht? "Ich habe versucht, die Radiohead-CD runterzuladen, es hat aber nicht funktioniert", outet sich Trio-Vorstand Svensson als prominentes Opfer des Staus auf dem Datenhighway. "Aber ich höre zurzeit gerne die junge Britin Natasha Bedingfield, ich mag ihre Art zu singen, ihr Timing und ihren Sound."

Es gibt nur wenige Jazzmusiker, mit denen sich über Pop so fundiert diskutieren lässt wie mit dem Alanis-Morissette-Fan Svensson. Kein Wunder, sieht der 43-jährige schwedische Pianist diese Musik doch als gewichtigen Teil seiner musikalischen Sozialisation an, auf den er sich gerne bezieht. Und gilt das seit 1993 bestehende e.s.t. doch mit jährlich hundert Konzerten vor bis zu 2000 Menschen als Pop-Band des europäischen Jazz.

Das erneute Gastspiel beim Salzburger Jazzherbst legt nahe, zur Abwechslung nach Inspirationen durch die klassische Seite zu fragen: "Ich kann nicht sagen, dass wir an Mozart denken, wenn wir in Salzburg spielen, aber ich bin Mozart-Fan. Ich bin generell stark von klassischer Musik geprägt: Béla Bartók, Arvo Pärt, Chopin, Liszt, Ravel, Beethoven ... Klassische Musik ist mein Hobby, ich würde sie aber nicht vor Publikum spielen."

Eine besondere Funktion kommt offenbar Johann Sebastian Bachs Musik zu. Aus dem Booklet zur im November erscheinenden e.s.t.-Doppel-CD Live in Hamburg (ACT/Edel) geht hervor, dass Svensson sich anhand einiger Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier für das Konzert einspielte. "Bach ist ein ständiger Begleiter für mich", sagt er. "Ab und zu höre spiele ich seine Musik, öfter höre ich sie, durch Glenn Gould. Ich höre in meinem Klavierspiel mehr und mehr Bach. Sein Einfluss hat mich von einer traditionelleren Weise, Jazz zu spielen, weggebracht."

Damit ist das Stichwort gegeben. "Europe Invades!" – So titelte im Mai 2006 das Chicagoer Magazin Downbeat. Daneben sah man die Köpfe von e.s.t., zum ersten Mal in der 72-jährigen Geschichte des Jazz-Zentralorgans zierten Musiker aus der Alten Welt das Cover. Die Story heizte die vor allem von den Thesen des britischen Publizisten Stuart Nicholson provozierte Diskussion über die zunehmende Divergenz der (angeblich innovativen) europäischen und der (zunehmend konservativ-klassizistischen) US-Jazzszene weiter an. Wie Svensson darüber heute denkt?

"Generell kann man schon sagen, dass viele Jazzer in Amerika tendenziell traditioneller spielen. Andererseits gibt es auch in den USA so viele experimentelle Bands! Ich habe auch kein Problem mit Traditionellem, ich finde z. B. gut gespielten Swing fantastisch!" Es sei dasselbe wie in der klassischen Musik: "Wir haben Musiker, die Mozart und Beethoven wirklich erstklassig interpretieren, und wir haben solche, die zeitgenössische Musik spielen. Das Ziel jedes Musikers muss es sein, seine Stimme zu finden, und wenn dieser Weg ein traditioneller Jazzstil ist – okay!"

Was er von Branford Marsalis’ Meinung halte, nach der ein Jazzmusiker zumindest in den USA gelebt haben müsse, um diese Musik spielen zu können? Svensson, lachend: "Wenn er Jazz so definieren will, ist das okay, es ist nur ein Wort, es hat nichts mit Wirklichkeit zu tun. Ich bin sicher, dass es in Europa Musiker gibt, die nie in den Staaten gewesen sind und die so spielen können, dass Marsalis nicht sagen kann, ob sie Amerikaner oder Europäer sind. Ich persönlich denke nicht, dass es dafür wichtig ist, ob ich Jazzmusiker bin oder nicht." (Andreas Felber, DER STANDARD/Printausgabe, 27./28.10.2007)