"De son appartement" von und mit Jean-Claude Rousseau: Die Lektüre von Racines "Bérénice" gibt den Vorsatz für minimalistische Exkursionen.

Foto: Viennale
Wenn sich dieser Tage auch die Viennale selbst die Frage stellt, was ein Festival heute noch leisten kann, dann lautet eine mögliche Antwort: dass neben dem gebündelten Vorausblick auf das, was in näherer Zukunft dann regulär in den heimischen Kinos startet, auch Platz ist für jene Filme, die sich für einen derartigen Einsatz aus verschiedensten Gründen von vornherein nicht qualifizieren.

Die eigenwilligen, spröden, reduzierten Arbeiten des französischen Autors und Filmemachers Jean-Claude Rousseau etwa spielen selbst im Viennale-Kontext - zumal in der Sektion Spielfilm, in der sein jüngster Langfilm mit dem Titel De son appartement/ Von seiner Wohnung firmiert - in einer eigenen Liga. In einem Multiplex wären sie in mehr als einer Hinsicht schwer vorstellbar - das überladene, laute Ambiente schiene gänzlich unpassend für diese minimalistischen Arbeiten, gut könnte man sie sich stattdessen in einem Filmausstellungsraum wie jenem des Unsichtbaren Kinos vorstellen:

Ein Raum, der in seiner Kargheit jenen entspricht, in denen sich Rousseaus kleine Studien entfalten, die selten mehr benötigen als ein Zimmer, in dem eine Reihe von Aktionen und Variationen vor sich geht, die man als beiläufige dokumentarische Beobachtungen nehmen könnte, wären sie nicht so sorgfältig arrangiert (wenn dann allerdings durchs offene Hoffenster plötzlich Gesang in die Küche dringt und eine andere Nachbarin energisch Ruhe einfordert, dann wird klar, dass das Rousseau'sche Universum sich keineswegs hermetisch zur Außenwelt abschließt).

"Ich wollte schon lange sehen, ob es mir gelingen würde, eine Tragödie mit der simplen Handlung, wie in der Antike so bevorzugt, zu schaffen. Manche glauben, dass gerade diese Einfachheit ein Zeichen für Mangel an Einfallsgabe ist. Sie vergessen dabei, dass, ganz im Gegenteil, jede Erfindung darin besteht, aus nichts etwas zu machen." - so weit der buchstäbliche Vorsatz von De son appartement, ein Zitat von Racine, das den Film eröffnet.

De son appartement ist, ganz im Sinne der Einfachheit, ein Home-Movie. Eine Wohnung, ein Mann, eine Kamera. Einige Requisiten. Statische Aufnahmen von Körperhaltungen, Handgriffen. Viele kleine Stillleben. Detailaufnahmen oder Ansichten im Anschnitt, vertikale Strukturen dominieren. Fast unmerklich verknüpfen sich dennoch einzelne Motive quer durch den Film, so wie man auch eine Vorstellung von der Anlage der Räume und Flure, von ihrer Funktion und ihrem Mobiliar gewinnt:

Der Mann hantiert etwa vergebens mit einer Rohrzange an einem defekten Wasserhahn. Oder er sitzt in einem durchgesessenen Fauteuil, die Armlehne bietet improvisierte Abstellfläche für Rauchutensilien und ein Tässchen Kaffee. Das geht nicht immer gut.

Ab und an erfolgen kleine Exkursionen - in ein Café oder nachts an einen Quai, wo sich unter freiem Himmel ein hinreißender Pas de deux ergibt - eine ferne Erinnerung daran wird der Mann später alleine performen.

Ein wenig Wehmut schwingt da mit, aber auch ein Gutteil feiner Ironie, ein ausgeprägter Blick für den Effekt minimaler Eingriffe und feiner Perspektivwechsel - ein sprödes Highlight des Programms. (Isabella Reicher, DER STANDARD/Printausgabe, 27./28.10.2007)