Was von der jährlichen Gehaltserhöhung nach Abzug der Teuerungsrate (Inflation) übrigbleibt, freut Sozialversicherung und Finanzministerium: Sie können auch noch ein Stück abschneiden – und auf dem Gehaltszettel bleibt weniger.

Collage: STANDARD/Beigelbeck
Grafik: STANDARD
Montagabend könnte der Startschuss für eine Verbesserung der Einkommensentwicklung erfolgen. Doch selbst wenn die Verhandler der Metallerlohnrunde einen Abschluss von rund vier Prozent erreichen sollten, dürfte den Österreichern nicht viel mehr in der Brieftasche überbleiben. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo rechnet trotz guter Konjunktur und passabler Gehaltsentwicklung heuer und 2008 mit stagnierenden Realeinkommen.

Staat profitiert überproportional

Was nicht von der Inflation aufgefressen wird, streift der Staat ein. Er profitiert von jeder Auffettung der Gehälter überproportional, weil der Steuerzahler dadurch in höhere Steuerklassen aufrückt. Wie stark die sogenannte kalte Progression zu Buche schlägt, hat nun der Steuerexperte Karl Bruckner anhand eines Beispiels errechnet: Wer 1989 20.000 Schilling brutto verdiente, käme heute – unter Berücksichtigung der jährlichen Teuerung – auf 30.268 Schilling oder 2199,66 Euro monatlich. Während dem oder der Beschäftigten vor 18 Jahren 71,28 Prozent des Gehalts netto verblieben, so sind es heute nur noch 66,67 Prozent.

Obwohl seither zwei große Steuerreformen zur Entlastung der Lohnsteuerpflichten durchgeführt wurden, stiegen die Abgaben in diesem Fall von 28,72 Prozent auf 33,33 Prozent. Höhere Sozialabgaben und kalte Progression haben also zu einem Reallohnverlust von 4,61 Prozent geführt.

In höheren Einkommensstufen fällt dieser Effekt noch stärker aus, weil die zwei letzten Entlastungsschritte auf die unteren Verdienstgruppen fokussierten.

Dürftige Entlastung durch die letzte Steuerreform

Bruckners Berechnung deckt sich im Wesentlichen mit anderen Untersuchungen. Tenor: Brutto war die Einkommensentwicklung der letzten Jahre zwar mäßig, aber immerhin positiv; netto ist sie weit schlechter. Trotz der angeblich "größten Steuerreform aller Zeiten" hat die OECD eine ziemlich dürftige Entlastung durch das 2005 in Kraft getretene Machwerk erhoben. Die Steuer- und Sozialabgaben auf das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen von 36.000 Euro stieg demnach von 2000 bis 2006 von 31 auf 33 Prozent.

Auch in anderen Verdienstkategorien und gestaffelt nach der Anzahl der Verdiener in einem Haushalt sowie der Kinder gab es für die Österreicher in den letzten sechs Jahren durchwegs höhere Belastungen. Selbst Experten des Finanzministeriums gestehen ein, dass die Reform nicht einmal die kalte Progression der letzten Jahre abgegolten habe, geschweige denn die Steuerlast reduzierte.

Ähnlich die Einschätzung des Wifo: Seit 2000 beanspruchte der Fiskus ein Fünftel der ohnehin nicht gerade berauschenden Einkommenszuwächse für sich. Wie der Staat am Börsel der Bürger knabbert, ist auch an den Steuereinnahmen des Finanzministeriums abzulesen. Allein im Vorjahr kassierte der Finanzminister mehr als sieben Prozent zusätzliche Lohnsteuer. Dieser Trend wird anhalten, zumindest wenn man der Hochrechnung des Ressorts Glauben schenkt: Es rechnet bis 2011 jährlich mit einem Plus von nominell 6,1 Prozent, womit die Lohnsteuer bald die Mehrwertsteuer als aufkommensstärkste Abgabe ablösen wird. Die Gesamteinnahmen des Bundes wachsen dagegen "nur" um 4,5 Prozent jährlich.

350.000 zahlen Spitzensteuersatz

Wie sehr die kalte Progression diese Tendenz mitverantwortet, zeigt die steigende Zahl der Personen, die mit dem Spitzensteuersatz zur Kasse gebeten werden. Da die Grenze von 51.000 seit 18 Jahren nicht angehoben wurde, verdoppelte sich der Anteil der Betroffenen in den letzten Jahren auf 350.000. "Bei einer Valorisierung würde der Spitzensteuersatz heute erst ab einem Einkommen von etwa 75.000 Euro greifen", meint Bruckner. Ähnlich bei jenen, die die beiden unteren Steuerstufen erklimmen. Die letzte Reform hat diesen Effekt verstärkt, weil ein Tarif wegfiel. Nun springt man ab Erreichen der Schwelle gleich von null auf 38,33 Prozent Grenzsteuersatz.

Bruckner, der auch dem Fachsenat Steuern der Kammer der Wirtschaftstreuhänder vorsitzt, glaubt eher nicht an eine echte Korrektur durch die 2010 geplante Steuerreform. Eine spürbare Entlastung von 1000 Euro würde bei vier Millionen Steuerpflichtigen vier Mrd. Euro kosten. Wolle man auch kleine Einkommen (durch höhere Negativsteuer) begünstigen und Familien entlasten, liege man bereits weit über dem angepeilten Volumen von drei Milliarden Euro. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.10.2007)