Der Wahlsieg von Cristina Fernández de Kirchner in Argentinien ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil hier in einem demokratischen System das höchste Amt im Staat dem Ehepartner übergeben wurde.

Das Besondere an den Wahlen war, dass in einem Land, das noch vor einer Generation von tiefen ideologischen Gräben gezeichnet war, eine Kandidatin siegen konnte, die in ihrem Wahlkampf völlig auf politische Programme und inhaltliche Ansagen verzichtete.

Nun stammt Cristina Kirchner ebenso wie Ehemann Néstor aus dem peronistischen Lager, das sich nie in ein Links-rechts-Schema einordnen ließ, sondern stets einer besonderen Form des lateinamerikanischen Populismus verpflichtet war.

Populisten beziehen ihre Kraft aus zwei Quellen: Der Schaffung innerer oder äußerer Feindbilder, gegen die sie die Ressentiments der Bürger mobilisieren; oder einem breiten politischen Desinteresse als Zeichen allgemeiner Zufriedenheit. Fanatismus oder Apathie – diese so unterschiedlichen Emotionen kommen beide Populisten zugute.

In Argentinien überwog nach dem Kollaps von 2002 die Zufriedenheit über den Wirtschaftsaufschwung, der vor allem Präsident Néstor Kirchner zugeschrieben wird. In einem allein auf Charisma Schönheit und Show aufgebauten Wahlkampf konnte seine Frau dieses Gefühl erfolgreich in Stimmen umsetzen.

Eine ähnliche Stimmung herrscht derzeit in Russland, wo Wladimir Putin dank hoher Ölpreise auf hervorragende Umfragewerte zählen kann. Putin ist so populär, dass die Russen nächstes Jahr wohl jeden von ihm nominierten Kandidaten zu seinem Nachfolger wählen werden – selbst wenn es sein Hund Koni wäre.

Anstelle von Programmen setzte Kirchners Wahlkampf auf Einheitsparolen: Wenn alle Bürger zusammenhielten, so ihre Botschaft, dann könne das Land alle Probleme überwinden. Nun mögen es gerade die Argentinier als Erleichterung empfinden, dass sie ihre von linksradikalem Guerillakampf und rechtsextremen Militärdiktaturen gezeichnete Geschichte hinter sich lassen können. Und wenn Wahlen zum Referendum über den Erfolg einer Regierung werden, dann erfüllen sie genau jenen Zweck, den ihnen einst Karl Popper zugewiesen hat.

Doch das Fehlen politisch-ideologischer Werte ist ein demokratiepolitisches Krisenzeichen. Lebendige Politik ist mehr als nur kompetentes Regieren. Das Volk, das geschlossen an einem Strang zieht, ist eine gefährliche Mär. Wähler haben verschiedene Standpunkte und Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Interessen, die von einer Regierung umgesetzt werden oder nicht. Dort, wo es den Herrschenden gelingt, jede Debatte über Inhalte zu unterdrücken, existiert die Demokratie nur noch auf dem Papier.

Es ist daher kein Zufall, dass in Europas Demokratien Parteien mit unterschiedlichen Weltanschauungen einander gegenüberstehen und Wahlkämpfe in Form von echten, oft hitzigen Programmdebatten ausgetragen werden – zuletzt auch in Polen, wo ein gemäßigter Liberalismus den Feindbild-Populismus der Kazcyński-Zwillinge besiegte. Ebenso wohltuend sind die scharfen ideologischen Kontraste im laufenden Wahlkampf der USA. Und auch in Lateinamerika haben zahlreiche Staaten mit kontroversen Wahlen mehr demokratische Reife bewiesen als das apathische Argentinien.

Eine übertriebene Polarisierung kann eine Gesellschaft auseinanderreißen und im Extremfall die Grundfeste des Staates erschüttern – wie etwa im Österreich der 30er-Jahre. Aber solange die demokratischen Spielregeln eingehalten werden, ist jeder Wettkampf der Ideen als ein von oben verordneter und mit Propaganda betriebener Schulterschluss.

Der Erfolg von Schönwetter-Populisten wie Kirchner und Putin ist äußerst wetterabhängig. Sobald sich die wirtschaftliche Lage und politische Stimmung verschlechtern, fehlt ihnen jener Rückhalt, den ideologisch gefestigtere Bewegungen bieten. Das werden Peróns siegreiche Erben wohl auch noch zu spüren bekommen. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 30.10.2007)