Der 43-jährige US-Songwriter Vic Chesnutt: hämische, sarkastische, zu Herzen gehende Balladen.

Foto: Jem Cohen
Vic Chesnutt aus Athens, Georgia, zählt mit Sicherheit zu den ganz großen - und nach wie vor vom großen Publikum sträflich vernachlässigten - Stimmen einer in den letzten Jahren mehr denn je aufblühenden, etwas schattseitigen und ihr Heil deshalb auf der dunklen Seite suchenden Songwriter-Szene.

Diese belebt das gute alte und vermeintlich behäbige Liedermachertum mit ungewohnt kruden Zugängen. Zwischen resignativen Alltagsbetrachtungen ("God hates me") und lapidaren Sichtungen des persönlichen wie allgemeinen Scheiterns, zwischen Fiktion und Faktischem wird hier im Falle Vic Chesnutts eine musikalisch meist sanfte, inhaltlich umso härtere Gegenwelt entworfen, die das Tragödische unbedingt in den Mittelpunkt rückt: "Do they say that the end it is a coming soon? Anyway A or B, it's alright with me."

Chesnutt, mittlerweile 43 Jahre alt und seit einem drogenbedingten Autounfall 1983 querschnittgelähmt, ist laut eigener Aussage der Verfasser "prätentiöser, pseudosymbolistischer und textlastiger Trauerballaden", wie er im Buche des Klischees steht. Und auf hervorragenden, weil stimmigen Alben wie Drunk und Is The Actor Happy? oder zuletzt in den von Van Dyke Parks und Bill Frisell inszenierten Geisterhausballaden der Songsammlung Ghetto Bells aus 2005 wird er seinem Ruf als jener Mann, der unser Leid an der Welt solange mit filigranen, großteils akustisch gehaltenen Balladen befeuert, bis jemand zurückschießt, auch so sehr gerecht, dass beim Hören eines geschieht: Wenn es einem schließlich wirklich schlecht geht, kann es nur noch besser werden.

Mit näselnder, hämischer wie tatsächlich oft auch verzweifelter, mindestens aber zweifelnder Stimme und einer gehörigen Portion Sarkasmus nahm Vic Chesnutt jetzt auch unter der Regie des New Yorker Filmemachers Jem Cohen (Benjamin Smoke, Chain, Instrument ...) die neuen Stücke von North Star Deserter auf: "It's OK, you can use a condom/ It's OK, you can take a Valtrex/ And it's OK, you can get an abortion/ And then keep on keepin' on."

Gemeinsam mit Musikern wie Guy Picciotto von den ehemaligen US-Hardcore-Göttern Fugazi und Mitgliedern der auch in dieser Zeitung wohlgelittenen kammermusikalischen kanadischen Grenzlandforscher Godspeed You! Black Emperor und Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra erarbeitete Chesnutt in zehn Tagen die von den Arrangements her wagemutigsten, mithin intensivsten Lieder seiner Karriere.

Im Rahmen seiner zwei Auftritte bei der Viennale wird Chesnutt mit diesen Musikern am 1. November im Gartenbaukino nun auch den Live-Soundtrack zu Jem Cohens unter anderem während der letzten Tage speziell für diese Aufführung in Wien gedrehten filmischen Impressionen beisteuern. Und Chesnutt wird am 2. November am selben Ort obendrein einen Querschnitt seiner seit 1990 veröffentlichten Alben präsentieren. Darunter hoffentlich auch die dunkle und zu Herzen gehende Jahrhundertnummer Free Of Hope: "Free of hope, free of a past. Thank you, God of Nothing, I'm free at last."

Soulmusik ohne falsche Götter. Oder: Warum werden die Menschen dauernd aus dem Paradies vertrieben - aber nie aus der Hölle?! Man wird ja noch fragen dürfen. Erwartungsgemäß einer der Höhepunkte des Festivals. Wegen besseren Wissens. (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 30.10.2007)