Tomi Ungerer, der Werbezeichner: Die unzureichend bekleidete Dame warb anno 1968 für eine Bostoner Kaufhauspassage.

Foto: Tomi Ungerer Museum Straßburg
Das Tomi Ungerer Museum - Internationales Zentrum für Illustration in Straßburg, das dieser Tage seine Pforten öffnete, ist eines der raren zu Lebzeiten eines Künstlers gegründeten Museen. Der 1931 in Straßburg geborene Ungerer kommentierte diese Museumsrarität mit einer seiner Formeln: "Das ist fast wie eine Beerdigung. Ich bin so ergriffen, dass ich Lust zum Heulen habe. Normalerweise ist das Genre Zeichnung nämlich die Fehlgeburt der Museen."

Obwohl Ungerer hervorhebt, dass diese Museumsgründung für einen Zeichner eine außergewöhnliche Form von Anerkennung sei, muss man gerechterweise ergänzen, dass er seiner Heimatstadt seit 1975 insgesamt 8000 Zeichnungen, zahlreiche Skulpturen, 5000 Blechspielzeuge sowie seine 1300 Bände umfassende Künstlerbibliothek schenkte. Auch sämtliche Originalzeichnungen seiner zukünftigen Bücher verspricht er der Stadt Straßburg.

Erotische Zeichnung ...

Straßburg trägt die laufenden Kosten für das Tomi Ungerer Museum allein - nachdem die Stadt die 2,66 Millionen Euro, die der Umbau der Villa Greiner, in der das Museum untergebracht ist, kostete, mit dem Kulturministerium, der Region und dem Conseil Général du Bas-Rhein teilte. Aber auch da 43 Prozent übernahm.

Das 700 Quadratmeter umfassende Museum zeichnet sich durch eine zurückgenommene, angenehme Innengestaltung aus, wo die Farbe Weiß dominiert. Ausgestellt werden jeweils 300 Papierarbeiten: Bleistift-, Feder- und Tuschzeichnungen sowie Aquarelle für Kinderbücher, künstlerische Plakatentwürfe mit politischem oder kommerziellem Impetus sowie erotische und satirische Visionen und Gesellschaftskritik. Dreimal pro Jahr wird die Präsentation aus konservatorischen Gründen gewechselt. Im Erdgeschoß präsentiert man die Kinderzeichnungen, im ersten Stock die Werbeentwürfe und Plakate, im Untergeschoß die erotischen Blätter und Skulpturen. Dass die Erotik sich im Keller befindet, amüsiert den genialen Zeichner, der dazu eine seiner Wortbomben abschießt: "Sie haben nur die Klitoris des Eisbergs gesehen! Eigentlich wünsche ich, dass meine erotischen Zeichnungen in die Hände der Kinder geraten."

... in Kinderhänden

Die hätten viel zu staunen, denn nach den kräftigen Farbblättern zu Grimms Märchen im Erdgeschoß trifft man im Keller auf die Pendants für Erwachsene: der zungenfertige Prinz küsst Dornröschen per Cunnilingus wach, Rotkäppchen beobachtet die Urszene zwischen ihrer jauchzenden Großmutter und dem Wolf. Ungerer erheitert auch mit Fröschen, die Kamasutra-Praktiken veranschaulichen. Zur bitteren Satire tendiert er, wenn er das Thema des Totentanzes via Eros und Thanatos aktualisiert oder Bleistift und Feder zur Denunziation des Krieges einsetzt (Rigor Mortis, Zürich, 1983). Seine Beobachtungen des Hamburger Prostituiertenmilieus führten zu einem (im Museum per Video) aufgeblätterten sadomasochistischen Zeichen-Skizzenbuch (Schutzengel der Hölle, Zürich, 1986).

Während seiner Tätigkeit als Werbe-Illustrator und Texter ab 1957 in den USA entwickelte Ungerer grafische Meisterschaft und Ökonomie der Mittel und Farben. Humorvoll erfand er griffige Slogans. Ein Werbeplakat für eine Bostoner Kaufhauspassage (1968) zeigt den Rücken einer nur mit roten Strümpfen und Schuhen bekleideten Dame, die ein Einhorn melkt. Für ein geeintes Europa wirbt eine blonde Walküre, aus deren Helm die Türme des Straßburger Münsters sprießen (1988).

Seine beißende Satire und Kritik an der US-Konsum- und -Industriegesellschaft sowie seine Karikaturen der High Society führten dazu, dass er nach dreizehn Jahren New-York-Aufenthalt nach Kanada übersiedelte (The Party, New York 1966, Zürich 1969). Inzwischen lebt er in Straßburg und Irland. Je nach Gesprächspartner oder Lust des Augenblicks wechselt er von einer Sprache in die andere, streut ein wenig Elsässisch ein und behauptet, er träume in der Sprache des Landes, in dem er sich gerade befindet. Da er Paradoxe liebt, behauptet er, dass er seine "Wurzeln überall hin mitnimmt". "Ich bin ein Chamäleonist", erklärt er seine von Grund auf rebellische Persönlichkeit. In seinen konzessionslosen (Kinder-)Büchern und Werbekampagnen denunziert er Unterwerfung, Ungerechtigkeit, Segregation, Rassismus. Trotz seiner 76 Jahre und mehrerer Herzinfarkte plant er gut zehn weitere Bücher, sofern "der Tod (mich) nicht früher einholt". (Olga Grimm Weissert aus Straßburg, DER STANDARD/Printausgabe, 03.11.2007)