Gemeinschaft am Scheideweg: die "Alpensaga". Regie: Dieter Berner. Drehbuch: Wilhelm Pevny und Peter Turrini. Im Bild: Emanuel Schmied und Helmut Qualtinger.

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Wie können zwei überhaupt miteinander schreiben? Diese Frage begleitete uns durch die Zeit der Alpensaga. Wobei der Wunsch, etwas gemeinsam zu tun, aus dem Geist von '68 kommt, und nicht nur wir beide, Peter Turrini und ich, damals herauszufinden versuchten, wie so etwas in der Praxis funktioniert und ob es gelingt. Einen Roman gemeinsam zu schreiben, bei dem das subjektive Element geradezu im Mittelpunkt steht, wäre für uns nicht erstrebenswert gewesen - davon überzeugt, dass zu gewissen Bereichen, vor allem der persönlichen Tiefe, man besser allein vorstößt.

 

Bei einem Drehbuch allerdings - das bemerkten wir sehr bald - kann gemeinsames Arbeiten nicht nur (wie damals bis zu einem gewissen Grad) einem Anspruch genügen, sondern vor allem zur Qualitätssteigerung beitragen. Grob gesprochen: Zwei "Fähigkeiten" zu einer vereint, führen zu einem vielfältigeren Ergebnis, und vier Augen sehen nun mal mehr als zwei. Die Gefahr, die dabei lauert, heißt: Wie kommen wir uns mit unseren Gedanken und Fantasiegebilden nicht in die Quere. Die Aufgabe lautet somit: Wie lassen wir uns leben. Wie stören wir uns nicht gegenseitig und würgen uns nicht ab.

Geschichte erleiden

Dabei kam uns natürlich zugute, dass wir uns an Konkretem orientieren konnten. Die Alpensaga wollte ja Geschichten aus der Geschichte erzählen. Nicht so, wie wir sie in der Schule mehrheitlich erleiden mussten: Alexander eroberte Persien (Er alleine?), Maria Theresia erbaute Schönbrunn (Na, die wird geschwitzt haben!), sondern so wahrheitsnah und erdverbunden, wie es uns nur möglich war. Bei jeder Epoche versuchten wir, die "Essenz" derselben, sozusagen die "Überschrift" des jeweiligen Zeitabschnitts zu finden, den wir aus bäuerlichem Blickwinkel dann beschrieben.

Lösung gemeinsam

So hatten sich - nach eifrigem Studium in den Archiven - für die erste Folge, die um die Jahrhundertwende spielt, allmählich zwei Hauptthemen herauskristallisiert. Die bäuerliche Gemeinschaft (stellvertretend für die gesamte Gesellschaft) war zu dieser Zeit am Scheideweg zwischen genossenschaftlicher und monopolkapitalistischer Tendenz. Die Frage lautete: Kann man die wirtschaftlichen Probleme und Herausforderungen eher gemeinschaftlich durch die Gründung von Genossenschaften als durch Konzentration in der Hand eines Einzelnen (einer schafft an, die anderen folgen) bewältigen.

Das Zweite, auf das wir immer wieder im Zuge unserer Recherchen zur ersten Folge stießen, war das Bildungsproblem. Dass die Bauern die Kinder auf dem Feld und im Stall brauchten, und sie nicht zur Schule gehen ließen, wodurch sie generationenlang nicht in den Genuss von Wissen und Bildung kamen, für fälschliche Einflüsterungen und ihnen schädlichen Informationen daher leicht zugänglich waren, in ihrer Entwicklung und ihrem Fortkommen folglich arg behindert wurden.

Aus diesen beiden Themen ergab sich dann, als wir uns schließlich an den Schreibtisch setzten, die Personage: Der Großbauer Allinger, der eine Spiritusbrennerei errichten und die Bauern vergattern will, nur noch Erdäpfel für ihn anzubauen. Der Huberbauer, der sich für die Gründung einer Genossenschaft stark macht und anstatt auf Monokultur weiterhin auf die gewachsenen Strukturen vertrauen will - Mischwirtschaft, gemeinschaftlich vermarktet, produziert unter Mithilfe moderner gemeinsam erworbener Geräte.

In diese Ausgangsposition wurde als Nächstes das private Beziehungsnetz hineinverwoben, wobei jede Person sozusagen ein wichtiges Thema "trug". Auf der Seite des Huberbauern: die ausgestoßene Agerl (stumm, was als dumm galt - wie ging man mit Minderheiten um?), die "überstandige" Anna, die, so sie sich nicht bald einen Mann fand, als Übergebliebene gebrandmarkt wurde (der Zwang, sich zu verheiraten), die alte Mutter als personifizierte Sorge und Sinnbild des Bewahrenden, die hübsche Magd, in die sich der Bauer verliebt und dadurch die innere Ordnung am Hof durcheinanderbringt (seit wann sitzen die Mägde am Bauerntisch?), der rivalisierende Knecht, der nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit dem Bauern das Zünglein an der Waage im Kampf zwischen Allinger und Huber spielen konnte.

Auf der Allingerseite, neben dem markanten Altbauern selbst, vor allem dessen präpotent und achtlos auftretender Sohn Vitus, der im entscheidenden Moment auf die Anna angesetzt wird (die eine Aussteuer beibringen muss, Geld, das eigentlich für die Genossenschaft bestimmt war), sein Bruder, der scheue gehemmte Peter (der sich in die Agerl verliebt) und der letztendlich (des Lustmordes verdächtigt) Allingers Triumph doch noch relativiert.

Das neue Jahrhundert

Dann waren da noch die Bauern, die anfangs auf der Seite Hubers standen. Der Dorfschullehrer, der wichtige Informationen beibrachte. Der Gemeindediener, der das Gute und Alte verkörperte und als einziger (außer Peter) sich um Agerl kümmerte. Natürlich auch der Pfarrer, ein Wirt und eine Kellnerin, die ebenfalls in das Geschehen richtungsgebend hineinspielten. Und last, but not least - als hoffnungsvoller Gegenpart zu all diesen verstrickten Leuten - ein Mädchen und ein Bub, die zum Schluss das neue Jahrhundert einläuten.

Prosaisch ausgedrückt waren das die Ingredienzien, aus denen sich dann die Handlungsabfolge ergab. - Womit beginnen wir? Was ist das Hauptthema, an welcher Beziehung wird das Ganze sich letztendlich entscheiden? Wie schlagen wir den Bogen? - Nachdem wir die sich bietenden Möglichkeiten allesamt durchgespielt hatten, ergab sich zwangsläufig die Lösung: Agerl und Peter. Mit dieser seltsamen Liebe zwischen einem Verschüchterten und einer Stummen sollte die Liebe im Dorf beginnen. - Was tun die beiden in dieser ersten Szene? Was sagt er zu ihr, wie antwortet sie, stumm. Was ist das allererste Bild ...

Themen der Zeit

Und so saßen wir beide einander gegenüber - zwischen uns die Schreibmaschine, bei jeder Folge wechselten wir ab - und redeten und malten uns aus, was gesagt und was getan wird, welche uns wichtig erscheinenden Themen der Zeit wir auf welche Weise zum Ausdruck bringen wollten und konnten. Bis wir (oft nach einem Jahr erst) mit der Folge fertig waren, wir wieder in die Archive gingen - später konnten wir dann schon Zeitzeugen befragen, um aus dörflicher und teils städtischer Sicht ein möglichst authentisches Bild der Ereignisse zu zeichnen. - In der zweiten Folge, die 1913 spielt, bot sich uns die letzte Möglichkeit, das geo-grafische Ausmaß der Monarchie zu zeigen und daher war es für uns klar, dass wir diese Folge in Triest beginnen lassen wollten, am Meer. Nur, welchen Zusammenhang gibt es zwischen einem Offizierskasino an der Adria, dem Bankrott der Allinger-Fabrik in einem oberösterreichischen Dorf und einem Großhandelsmann, der für die Verpflegung der Soldatenschaft (u. a. mit Spiritus und Schnaps) zuständig ist ...

Oft heißt es, die Alpensaga sei einmalig. Wenn sie es war, dann wohl auch, weil sie anders als heute geschrieben und produziert wurde. Schwer vorstellbar, dass heute noch über einen so langen Zeitraum hinweg zwei Autoren ihr Projekt entwickeln und der Regisseur, wie bei uns Dieter Berner, von Anfang an in die Arbeit eingebunden ist.

Schnell hinschreiben heißt die Devise, danach unter der Dominanz des Redakteurs immer wieder überarbeiten, ein halbes Dutzend Versionen sind keine Seltenheit, meistens sind es sogar noch mehr. Unsere Redakteure hingegen begleiteten uns zwar beratend, aber sobald das Buch fertig war, blieb es unverändert.

Bisweilen hat man von außen versucht hineinzuwirken und zu zensurieren, was aber nicht gelungen ist (im Gegensatz zu heute, wo dieses Hineinwirken zur Selbstverständlichkeit geworden ist - oder besser: gar keine Themen mehr gewählt werden, die solches erfordern). Heute würde man für eine ähnliche sechsteilige Spielfilmserie vermutlich höchstens ein Jahr aufwenden. Wir hatten sechs Jahre intensiv und acht Jahre mehr oder weniger damit zu tun. Vielleicht macht das, alles zusammengenommen, "das Einmalige" an der Alpensaga aus.